Kunst in der Therapie

Die Besinnungsschau "Kunstraum DDR" in Apolda will den Aufstieg und Fall der Weimarer Ausstellung vergessen machen und propagiert die Verlangsamung der Geschichte.

Bloß tiefstapeln und nur keine Vergleiche mit der Weimarer Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne", war wohl die Devise gewesen, die Kurator Matthias Flügge schon früh im thüringischen Apolda ausgab. Viel sagende halbe Sätze regierten die Mitteilungen; ja, stern und Spiegel stünden natürlich schon in den Startblöcken, nein, auf den Bernd Kauffmann, den General der Kulturhauptstadt, sei man zwar sauer, aber "das wollen wir hier jetzt lieber nicht ausführen".

So wurden die Erwartungen hochgeschaukelt, und entsprechend sehnsüchtig wartete die Kunstwelt seit Wochen auf diese Ausstellung in Apolda. Hier, in der traurigen Hauptstadt des Weimarer Landes wollte man nun endlich die Antwort des Ostens auf die riesige DDR-Bilderschau sehen: auf die Skandal-Ausstellung des "Westimports" Achim Preiß, der im Sommer dieses Jahres 500 Werke aus staatlichen Sammlungen im Rahmen der dreiteiligen Ausstellung "Aufstieg und Fall der Moderne" (Jungle World, Nr. 32 / 99) dicht an dicht und in unmittelbarer Nähe zu Adolf Hitlers röhrenden Hirschen präsentiert hatte.

"In einer Wegwerfgeste", so damals die allgemeine Empörung, habe Kurator Preiß die DDR-Kunst "auf die Müllhalde der Geschichte befördert" (FAZ). Vielleicht nicht der schlechteste Ort zum Weiterleben - aber wie dem auch sei, der Worte waren genug gewechselt, nun, zur Eröffnung der Ausstellung "Jahresringe. Kunstraum DDR" sollten die Bilder sprechen.

Seinen Kommentar zu Weimar hatte Kurator Matthias Flügge außerdem schon früher abgegeben. Als Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste hatte er sich als einer der Ersten in die Debatte gemischt und die Weimarer Ausstellung harsch als "skandalösen Rückfall" in Kalte-Krieger-Mentalität gewertet, als einen Pauschal-Angriff auf die gesamte figürliche Nachkriegskunst. Besser machen war jetzt die Devise für Ausstellungsmacher Flügge im Kunsthaus "Apolda Avantgarde", und ganz offensichtlich dachte er dabei nicht daran, die DDR-Kunst tot zu sagen, wie Preiß dies mit seiner etwas faden Parole vom Ende der DDR/BRD-Geschichte intendiert hatte.

Was der Kurator jetzt als "Kunstraum DDR" präsentiert, ist eine ästhetisch karge Ausstellung auf weißen Wänden und neben verhängten Fenstern. Es ist gelungen, eine ausreichende Menge kleiner Kunstwerke zusammen zu stellen, gesammelt in jenem Zwischenraum von Offiziell / Inoffiziell, der so schmal denn auch wieder nicht ist, wie es die tumbe Dichotomie suggeriert.

Statt Auftragskunst die Rückkehr zur "Arbeit am Bild", jedem der 44 DDR-Jahre sein Spiegelbild aus Malerei, Fotokunst, Plastik. So das protestantische Konzept; hoch symbolisch endet das 1989 beim Prenzlberg-Artisten Michael Diller und seiner Übermalung eines Frühwerks. Doch Flügge hat sich davor gehütet, seine Chronologie als einen Parcours anzulegen. Der Betrachter in der Gründerzeit-Villa auf ihrem Miniatur-Feldherrenhügel nahe dem Bahnhof wandelt denn auch eher durch eine kleine Topografie Ostdeutschlands als durch dessen didaktisch aufpolierte Kunst-Geschichte.

Ein paar Nischen, ein paar Übergänge und hier und da ein gewagter Blick aufs Ganze. Eine Ausstellung, sagt diese Ausstellung, ist eine Ausstellung. Wenn man sich darauf einlässt, dann hat auch das seine Vorzüge. Abseits im Erdgeschoss etwa findet man Dresden: In satter Farbigkeit spiegelt sich hier ein früher Penck (1964) in den informellen Energien Max Uhligs; dazwischen, zurückhaltend, ein Fundstück: Wilfried Dierskes "Schaufenster" von 1959. In der Schwebe von Bild und Abbild schillert das kleine Tafelbild als merkwürdiges trompe l'Ïil: Tassen, Teller und Salzstreuer ziehen sich in ihre Flächigkeit zurück. Kleine Preistäfelchen aber, die Scheinwesen des Apriori, stoppen die Bewegung in die Abstraktion.

Nicht alle Räume sind so geschlossen wie die Dresdener Enklave. Zwischen Müritz und Stalinallee - Arno Fischers Berliner Foto-Flanerien - zwinkert durch die weitgeöffnete Tür aus dem Nebenraum Otto Niemeyers impressionistische Küstenlandschaft. Walter Libuda schützen zwei Säulen gegen seine vorschnelle Einverleibung ins Leipziger Malerfürstentum. Und ganz bescheiden reihen sich diese Hohen Herren - Werner Tübke, Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer - ins sanfte Versteckspiel von 52 DDR-Individualisten, die noch gerne ihr Wort zur Kunst sagen möchten, auch wenn sie die Moderne nicht als Widerpart, sondern lieber als Ausweg beschreiben.

Als habe der Kurator aus dem Weimarer Allerlei mit ein paar Schnitten die wichtigeren Bilder herausgelöst, erscheinen diese 52 Gerechten nun in Apolda - eigenbrötlerisch und in fremd anmutenden Dialogen. Ziemlich schön kann das sein, in seinem neidlosen Nebeneinander der Dresdener, Leipziger, Berliner und Rostocker - man verfällt da plötzlich auf ganz altmodische Begriffe, selbst wenn diese Ausstellung in ihrem Anspruch auf "Verlangsamung" der Geschichte (Flügge), sprich: als eine Therapie für die Kunst der neunziger Jahre, dann doch wieder ziemlich komisch wirkt. So aber steht es in dem wunderbar altertümlichen Katalog, dem man selbst dieses Vorwort schnell verzeiht: Ganzseitige Reproduktionen von fast allen Bildern der Ausstellung ergänzen sozio-ikonografische Miniaturen von den beiden neue bildende kunst-Autoren Flügge und Michael Freitag.

"Behutsamkeit" ist das Stichwort, unter dem sich die Werke hier samt und sonders versammeln. Graziös ordnet sich diesem Imperativ nicht nur Gerhard Altenbourgs "Selbst" (1947), ein wundersamer einäugiger Blick ins doppelte Innen, unter, sondern auch Thomas Florschuetz' ironische Porträts seiner alten Genossen, des Schriftstellers Bert Papenfuß, von Sascha Anderson und Christoph Tannert (1986).

Im Gegensatz zum Weimarer Bildersturm ist diese Ausstellung dicht, in ihrer Traditionalität fast melancholisch. Sie gehorcht der rückwärts gewandten Fiktion vom großbürgerlichen Sammler, der sich 44 Jahre hindurch dem Wahren und Guten - "dem Authentischen" - verschrieben hat. Natürlich ist dieser Sammler irgendwie identisch mit Flügge, dem Kurator. Dieser aber ist dafür ein paar Jahre zu jung.

So unschuldig wie die Ausstellung daherkommt, ist sie dennoch nicht. Idiosynkrasie, so macht der Katalog deutlich, ist ihr Antrieb, der Affekt gegen die "historisierende Weltanschauungskunst" der Leipziger Malerfürsten, die hier auf die Schippe genommen werden, und gegen deren jahrzehntelange Definitionsmacht über das, was DDR-Kunst war.

Auf der anderen Seite - nicht minder boshaft - versteht sich "Kunstraum DDR" als ein Seitenhieb auf die WestKunst und ihre "aggressiven Kampfbegriffe der 'weltsprachlichen' Abstraktion". Besinnung statt eines beliebigen Vorwärts ins Zeitalter der Club Culture ist die Botschaft. Das aber ist möglich nur mit Hilfe eines fetten blinden Flecks beim Blick auf die DDR-Kunst.

In Flügges Retro sind die Aufbrüche in den achtziger Jahren kaum vorhanden. Die medialen Synästhesien von Film, Literatur, Kunst, die zersplitternden Gesamtkunst-Happenings, die "Punk- und Frustrationsattacken" (Tannert) im Ballsaal des Klubhauses von Coswig oder Jörg Herolds "Reaktionsplastiken" in Leipzig entziehen sich Flügges Definitionsmacht einer "zweiten Moderne", die auf "Geschichtlichkeit künstlerischen Handelns" setzt. Es sei denn, alles wäre irgendwie geschichtlich. Der 36-jährige "Autoperforationsartist" Via Lewandowsky beispielsweise, findet der Kurator, habe sich der "DDR-Bezüglichkeit" schon immer verweigert: Grund genug, dass er nicht nach Apolda gehört. Stattdessen deckelt Flügge seine Ausstellung lieber mit den Requisiten von Lutz Dammbecks Herakles-Projekt (1986) und schließt das DDR-System einmal mehr kurz.

"Jahresringe. Kunstraum DDR". Kunsthaus Apolda Avantgarde,
Apolda. Bis 12. Dezember