Hoch die Kampf dem!

Das rebellische Kind

oder: "Nie wieder erwachsen!" Zur Funktion der Kinder-Ikone in der autonomen Propaganda.

In der Selbstpräsentation der militanten, linksradikalen Bewegung dominierten vom Beginn der achtziger Jahre an "die Kämpfenden". Sie veranschaulichten verschiedene bewaffnete Kämpfe gegen schwierig zu visualisierende, mächtige Feinde: Bullenstaat, Imperialismus, Faschismus oder Patriarchat. Ihr politischer Kontext, der Befreiungskrieg oder die polarisierte Konfrontation von Macht und Gegenmacht, charakterisierte die Kämpfenden-Ikonen.

Nur starke, optimistische SiegerInnen oder zornige, konzentriert und ernsthaft angreifende KriegerInnen wurden den Ausdrucksbedürfnissen der Militanten und ihrer Konzepte gerecht, nur diese Bilder konnten in der subjektiv als zugespitzt wahrgenommenen Situation bestehen. Sie verkörperten den Willen, neues Recht und neue soziale Beziehungen mit Gewalt durchzusetzen oder Herrschaftsprojekten bedingungslos zu widerstehen. Witz, Ironie und Chuzpe blieben den Seyfried-Figuren vorbehalten, deren Ästhetik für revolutionäre Militante nur Klamauk war und die die Bilddominanz der "Kämpfenden" nicht in Frage stellten.

Es waren andere Prozesse, die dazu führten, dass sich viele Militante nicht mehr von dieser alten Ikone repräsentiert sahen. Ausschlaggebend waren wie so oft Ereignisse, die schlagartig bereits registrierte Unstimmigkeiten in offene Kritik und Opposition umschlagen lassen. Die Ermordung einer Kommandantin der Guerilla in El Salvador durch ihre eigenen Genossen wegen politischer Konflikte 1982, die Erschießung des GI Pimental durch die RAF 1985 oder die beiden toten Polizisten nach den Schüssen an der Startbahn West 1987 waren Anlässe, die eigene Theorie und Praxis grundsätzlich zu hinterfragen.

Die politischen und ganz praktischen Niederlagen der Massen-Autonomie, der sozialen Bewegungen und der Guerillagruppen taten ein Übriges, um die Identifizierung mit der Kämpfenden-Ikone schwinden zu lassen. Die politisch-strategische und sozial-emanzipatorische Qualität der absoluten Militanz, des revolutionären Befreiungskriegs und der Guerilla-Mentalität wurde "neuen Fragen" unterworfen. Ist das Ergebnis revolutionärer Siege Herrschaft und Despotie? Ist der Kampf nur für den Verlust moralischer Integrität zu haben? Was alles wird dem revolutionären Soldaten geopfert? Sind militante Strategien noch Antworten auf gesellschaftliche Verhältnisse oder ignorieren sie diese?

Werden diese Auseinandersetzungen verweigert oder delegitimiert, wird die Kämpfenden-Ikone zum autoritären Fetisch einer unkritisierbaren "Identität". Sie wandelt sich vom Mittel der Mobilisierung gegen einen äußeren Feind zum Instrument des Regierens in der radikalen Linken - was sie immer schon auch war. Sie dient der Stabilisierung eines Binnen-Milieus und wird traditionsstiftende Militanz-Mythologie. Die Selbstvergewisserung der eigenen tugendhaften Gesinnung wird zum Hauptargument für politische und ästhetische Technik der Präsentation, des Beeindruckens und der sinnlichen Überwältigung.

Kämpferisch zu sein ist nicht mehr Bestandteil unmittelbarer Erfahrung und politisch kontrollierbarer Sinnhaftigkeit, sondern Image einer ästhetisierten Politik. Sie will als kämpferische erlebt werden, ankommen und beeindrucken - ohne einen Maßstab außer dem Verkaufserfolg ihrer Autorität selbst.

Der Durchbruch der rebellischen Kinder begann 1987/88. Ein kleiner baskischer Junge, der verspielt, nachahmend und probend mit seiner Zwille zielt (Abb. 1 und 2), tauchte auf Plakaten, Aufklebern und Broschüren der autonomen Kampagne gegen den IWF und Weltbank-Kongress 1988 auf (Guckt mal, jetzt komm ich!), ein fröhlich lachendes Mädchen springt Seil zur Parole "Die Revolution ist großartig - alles andere ist Quark" (Nicht süß genug ...) der revolutionären 1. Mai-Demonstration in Berlin 1988 (Abb. 5 und 6) und das gemischte Doppel Anna und Arthur (Wir petzen nix!) machte eine fulminante Karriere in der Aussageverweigerungs-Kampagne nach der Repression gegen StartbahngegnerInnen (als Folge der Schüsse am 2. November 1987) und der Razzia am 18. Dezember 1987 gegen Revolutionäre Zellen und Rote Zora (Abb. 9 und 10).

Die sich schnell verbreitende und akzeptierte Ikone "rebellisches Kind" symbolisierte den Optimismus und das Selbstbewusstsein einer aufstrebenden, leistungsbereiten Schicht der Autonomen. Sie bebilderte die Legende der unbeschwerten, jugendlichen, erfolgreichen und schönen Autonomen, einer überlegenen, militanten Avantgarde.

Für die "Autonome Partei" hatte die Ikone "rebellisches Kind" verschiedene Funktionen, eine war die visuelle Außendarstellung. Die Autonomen waren gerade 1986 und 1987 konfrontiert mit einer massiven Medienkampagne, oder militärisch gesprochen: mit psychologischer Kriegsführung, in welcher der vom Staatsschutz erfundene Begriff "gewaltbereite Autonome" begierig aufgegriffen und weitererzählt wurde. Inhalt der Verklammerung von Gewaltbereitschaft und Autonome ist die Behauptung, dass Politik für Autonome nur Anlass und Vorwand der Gewalttätigkeit, Gewalt der eigentliche Zweck und das wahre Ziel all ihrer Bemühungen und jedes andere proklamierte Motiv nur vorgetäuscht sei.

Diese konstruierte Bösartigkeit wird vom "natürlichen Gutsein" der Kinderbilder unterlaufen. Sie sind nicht bedrohlich, sondern kreativ und lustvoll. Sie laden ein zu einem anerkennenden Lächeln, sie sind ein Angebot, emotional teilzuhaben an ihrer fröhlichen Militanz. Die Ikonen der rebellischen Kinder spekulieren mit ihrem kindlichen Charme, ihrer sympathischen Ehrlichkeit (Abb. 3 und 4).

Der bis heute andauernde Erfolg des baskischen Jungen beruht auf der Bildkonstruktion. Er ist der alleinige Mittelpunkt des Bildes; er ist eine narzisstische Projektion, die den Raum mit ihrer Lust, ihren Interessen und Bedürfnissen füllt. Kein Zielobjekt ist sichtbar, auf das der Junge schießt. Die Harmonie der Konstruktion würde zerstört, wenn es eine Katze oder Taube wäre. Die Grausamkeit würde die Projektionsfläche zerstören, das Bild würde nicht mehr funktionieren.

So aber ist die Militanz nur eine selbstverliebte Geste, die aus dem Fotoalbum einer Kleinfamilie stammen könnte. Erst der Zusammenhang mit der jeweiligen Parole wie "IWF angreifen" schärft das Bild, macht es politisch bedeutungsvoll. Trotzdem bleibt der Junge harmlos klein. Er wächst nicht mit dem politischen Kontext, sondern bleibt, wie er ist: duldbar, so wie der Hofnarr der schärfste Kritiker des Königs sein darf. Der Junge kann lustvoll und kinderleicht militant sein, ohne dafür mit Angst und Bestrafung bezahlen zu müssen.

Die Militanz in der Bildkonstruktion macht diese erst interessant, das Kind muss rebellisch, mutig und selbstbewusst wirken, um bei den Betrachtenden erfolgreich zu sein und mit Aufmerksamkeit und Anerkennung belohnt zu werden. Gleichzeitig begrenzt die Form den realen Gehalt der Rebellion, sie ist nicht existenziell, sondern verspielt, nicht tödlich, lieber lebendig. Es ist offensichtlich, dass diese Bilder vom Image kleiner Kinder in der deutschen Metropolengesellschaft profitieren und zumindest einige Effekte ähnlich von der Werbung und Warenästhetik ausgebeutet werden.

Wesentlich wichtiger waren jedoch die Funktionen, welche die rebellischen Kinder innerhalb der Autonomen erfüllt haben. Die Ikone illustrierte neue politische Zielvorstellungen. Nach den Bauzaun-Schlachten und der Sabotagewelle 1986 gegen das Atomprogramm, die sich praktisch nicht mehr steigern ließen, entstand die Parole "Den Kampf in die Städte tragen". Für diese Losung gab es mindestens zwei Interpretationen. Die eine verstand unter ihr die Radikalisierung des Kampfes gegen das Atomprogramm zu einem breiteren antikapitalistischen Kampf und suchte thematische Anschlüsse wie die Leiharbeit in Atomanlagen oder die Profiteure des Atomgeschäfts (Siemens, KWU, Degussa, RWE u.a.).

Die andere dockte bei schon vorhandenen Praktiken wie dem Häuserkampf neu an und setzte "Erobern wir uns die Stadt" wieder auf die Tagesordnung. Es ging um Aneignung, den Widerstand gegen eine durchkapitalisierte, verwaltete und sozial kontrollierte "Lebenswelt". Symbole dieser Interpretation waren der Volkszählungsboykott, die 1. Mai-Revolte in Berlin-Kreuzberg und der Kampf um die besetzten Häuser der Hafenstraße in Hamburg 1987. Das Plakat mit dem Luxemburg-Zitat veranschaulicht, dass diese unterschiedlichen Positionen 1988 vereinbar waren und sich zu "einem Kampf" verbünden und integrieren ließen.

Die Ikone "rebellisches Kind" drückte die Wünsche und Phantasien der Autonomen aus. Es sind proletarische Straßenkinder, die den öffentlichen Raum aneignen, kollektiv nutzen und eigensinnlich gebrauchen. Die rebellischen Kinder sind Symbole für unabhängige Kinderkollektivität (die Mama am Herd wird erst abends wieder wichtig), kreative Respektlosigkeit, ungebrochene Neugier, optimistische Weltzugewandtheit und Aktivität. Sie sind die idealisierte Charakterisierung einer verlorenen, aber wiederzugewinnenden Utopie, eines radikalen Humanismus, der einer feindlichen, erwachsenen Außenwelt trotzt, ein "so soll es sein" und "so sind wir" zugleich. So etwa lassen sich einige damalige Grundzüge autonomer Ideologie entziffern.

Eine dritte Funktion der Kinder-Ikone, so meine These, ist die Entsexualisierung der eigenen Repräsentation. Die Kämpfenden-Ikone war noch sexuell, Ché Guevara erotisches Objekt. Die Geschlechtlichkeit trat zurück, blieb sekundär unter Vermummung, hinter Waffen und Blicken, aber die Bilder zeigten sexuell Erwachsene. Die Spannung der Körper, ihre Aktion und Konzentration war auf den zweiten Blick erotisch. Gerade die Verwischung von Geschlechtergrenzen, Eindeutigkeiten, machte die Kämpfenden anziehend. Das biologische Geschlecht hinderte Frauen nicht, sich mit Militanten zu identifizieren, Waffen und Körper waren nicht männlich besetzt. Sekundäre "männliche" Geschlechtsmerkmale wie Körpergröße, Muskelmasse oder Breitschultrigkeit spielten keine Rolle, die Kämpfenden waren weder besonders groß noch kräftig, die Dreiecksform nicht ausgeprägt, oder sie verdankte sich der bei Frauen und Männern beliebten Motorrad-Lederjacke.

Einige produzierte Bilder von Kämpfenden repräsentierten nicht alle, sondern nur "die Männer". Bilddiskursiv reproduzierten sie die Geschlechterpolarisierung mit und definierten intern, was "männlich(er)" ist und was nicht. Bilder von Schwäche oder Stärke wurden im Ausschluss-Einschlussverfahren mit Intellektualität oder Militanz assoziiert, was zusammen mit der Kritik am Sexismus der Männer die Opposition gegen den Streetfighter verstärkte. Die Kämpfenden waren nicht mehr unumstritten, sondern harter Kritik ausgesetzt. Dies ging so weit, dass Militanz mit sexualisierter, Frauen bedrohender Gewalt gleichgesetzt und nicht mehr unterschieden wurde. Es waren doch immer die gleichen Männer: "Genosse auf der Straße, Faschist im Bett".

In einer reformbereiten Männerfraktion hatte die politische Trennung der Frauen und die 1987 bis 1989 stattfindende Patriarchats-Debatte Folgen: Es gab vielfältige Bemühungen, den Konflikt zu rationalisieren, einzugrenzen und aushaltbar zu machen. Die Ikone "rebellisches Kind" kann ein Reflex dieses Konfliktes und seiner Konsequenzen sein. Die Kinder-Ikonen zeigen keine bedrohliche Sexualität oder Gewalt, kein genitales Begehren. Kleine Jungs können sogar in Frauengruppen toleriert werden. Sie wecken "Mutterinstinkte" oder spekulieren zumindest auf die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für die soziale Liebesarbeit, das Sorgen, Schützen und Helfen. Den Kleinen verzeiht frau gerne, das Verzeihen ist die Bestätigung der Beziehung und Angebot eines symbiotischen Friedens, von dem beide profitieren.

Die rebellischen Kinder präsentieren entgegen den oft harten Zügen der Kämpfenden weiche, lustbetonte Sinnlichkeit, sorglosen Hedonismus und Schwelgen in Gefühl und Spiel. Versteckt ist darin vielleicht ein gewünschtes (von Männern? von Frauen? von beiden?) Verhältnis der Geschlechter und der Heterosexualität: ohne Konflikte, Angst, Sorgen, Getrenntsein, Trennung und Grenzen.

Die politisch entscheidenden Ereignisse seit Herbst 1989, die Auflösung der staatskapitalistischen Strukturen der realsozialistischen Länder und eine nationalistische Deutschlandbewegung in der ehemaligen DDR, der zweite Golfkrieg 1991 und insbesondere die rassistische Mobilisierung und Terrorwelle vor und nach Hoyerswerda im selben Jahr markierten die weitgehende Zerstörung der westdeutschen Legende der überlegenen Autonomen, selbst wenn sich diese individuell bis heute borniert behauptet.

Die Autonomen mussten feststellen, dass es eine reaktionäre, autoritäre Massenbewegung ist, die erfolgreich militant und außerparlamentarisch auf der Straße agiert, "völkisch-proletarische" Interessen vertritt und politisch konzentriert. Überrascht stellten sie fest, dass sie weder alleine auf der Straße sind noch das Monopol auf Militanz und Rebellion innehaben. Die Autonomen mussten ihre Präsenz mühsam organisieren, ihre praktischen Antworten kamen wie in Rostock viel zu spät.

Die von Teilen der Autonomen erhoffte proletarische Rebellion entlud sich 1991 und 1992 als faschistischer Pogrom, als wilde Durchsetzung einer rassistischen Ordnung, die im Kern eliminatorisch ist. Zwölfjährige Baby-Skins in Trabantenstädten und an dörflichen Bushaltestellen sind das grausame Zerrbild der eigenen Kinder-Ikonen. Deren Rebellion war eine für mehr Autorität, für gesellschaftliche Teilhabe und Sättigung an der überwältigten Beute. Diese erschreckenden Erkenntnisse veränderten die politische Praxis der Autonomen nachhaltig.

In dieser Zeit schob sich neben die gewinnende, optimistische Militanzparole die aggressive, defensive Antifaparole. Mit neuen politischen Erfahrungen und durch die Selbsterkenntnis und Veränderung des politischen Bewusstseins geriet die politische Repräsentation durch die Ikone der rebellischen Kinder ins Wanken. Autonome entdeckten sich selbst in der rassistischen Gesellschaft als weiße Deutsche.

Das rebellische Kind repräsentierte ein "An-sich-Gutsein", das sich nur gegen eine ihm äußerliche Unterdrückung behaupten müsse, im Kampf "unten" (gutes Kind) gegen "oben" (böser Erwachsener). Die Kultivierung des politischen Status "rebellisches Kind" ignorierte die gesellschaftliche Bedingtheit des eigenen Sprechortes und Blickwinkels, die verinnerlichte Gesellschaftlichkeit.

Die Vergesellschaftung der Individuen in einem kapitalistischen, rassistischen und autoritär demokratischen Deutschland prägt die Inhalte, Werte, Interessen und Phantasien der autonomen Opposition mit, lässt sie nicht unberührt. Beispielhaft dafür ist die Ikone "rebellisches Kind" selbst, ihre Bildkonstruktion und Auswahl.

Sie ist instrumentell, um eine Schicht der Autonomen zu repräsentieren: Es sind lustige, kecke, gut genährte, unverletzte und freie Kinder, die Bilder schließen Depression, Brutalität, Sucht, Armut, Hunger, Rigidität, Arbeitszwang und Abhängigkeit aus, alle Eigenschaften, die das antiautoritäre, glückliche Kinderbild trüben würden. Sie reflektieren daher nicht die Sozialisationsbedingungen, die aus kleinen Kindern NationalistInnen und RassistInnen machen. Die Beliebtheit der Kleinen Strolche (Abb. 7 und 8), ein Produkt der frühen US- amerikanischen Kulturindustrie, ist ein Hinweis darauf, dass die Ikone "rebellisches Kind" ein integratives Projekt ist. Sie versöhnt die kindliche Rebellion mit der Erwachsenenwelt, sie ist ein Bild, wie sich Erwachsene Kinderwelten wünschen.

"Alle" können über die Kleinen Strolche lachen, weil sie drollig sind und gewinnen, den dummen Polizisten entkommen. Sie sind Identifikationsfiguren für Kinder und Erwachsene. Sie sind keine fremden Kinder, die im eigenen Garten Äpfel klauen und Vogelnester zerstören, im Bus unangenehme Zoten reißen, provokativ gegen Mülleimer treten, Wände bekritzeln und in Museen lärmen. Sie sind in ihrer drallen Liebenswürdigkeit das innere, narzisstisch geliebte Kind. Die Bilderbuchkinder entkommen den fremden, feindlichen Autoritäten, der Wunsch wird virtuelle Wirklichkeit, denn es findet sich immer noch ein Loch im Zaun, durch das der Erwachsene nicht folgen kann.

Die Eltern bleiben von diesem erzählten Autoritätskonflikt merkwürdig unberührt, die Familie ist kein entmutigender, total beherrschter Binnenraum ohne Fluchtchancen, im Gegenteil, Pippi Langstrumpf zum Beispiel verehrt ihren Papa. Die Popularität der "rebellischen Kinder" (solange es nicht spielende Roma-Kinder sind) in einem liberalen, antiautoritären, alternativen Milieu spiegelt sich in der immer gleichen Namensgebung für Krabbelstuben und Schülerläden.

Für Autonome, die diese Ikone im Zusammenhang mit Parolen wie "Bildet Banden" benutzten, wurde sie durch ganz alltägliche Ohnmachtserfahrungen demontiert. Zu oft war eben keine Lücke im Zaun, der blöde Wachtmeister entpuppte sich als perfektes Zielfahndungskommando, Wunsch und Wirklichkeit fielen auseinander. Das freche Lachen erstarb, und die alte Angst saß in allen Gliedern. Dass Autonome von gesellschaftlichen Autoritäten (RichterInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen u.a.) "wie Kinder" behandelt und vorgeführt wurden, konfrontierte sie mit den Ohnmachtserfahrungen ihrer eigenen Kindheit. Das "Was wir tun, ist gut" und "So wie wir sind, sind wir komplett" der rebellischen Kinder entlarvt sich als Abwehr massiver Versagensängste: "Alles was wir tun, ist falsch" und "So wie wir sind, sind wir unvollständig".

Das einstige Überlegenheitsgefühl der Autonomen, welches als Omnipotenzphantasie zum Streit mit Mächtigeren ermutigte und vor Strafängsten schützte, zerbrach. Es regrediert zum autoritären Charakter, wenn es sich als Dünkel und Engstirnigkeit gegen andere Linke richtet. Die Kinder-Ikonen können auch "kleine Tyrannen" und "eifersüchtige Prinzessinnen" verkörpern.

Diesen Konservativismus der Kinder-Ikonen, mit strenger Scheidung in Fremdes und Eigenes, entschlüsselt auch die Betrachtung der Sexualität in der bildhaften Repräsentation. Autonome Frauen und Männer versuchten nach der Auseinandersetzung um Sexismus ihre erwachsenen sexuellen Beziehungen, Wünsche und Begehren zu thematisieren. Die "Sexualität"-Ausgabe der Zeitschrift arranca (Nr. 8 / 1996) war nicht schnell ausverkauft, weil sie so gut war, sondern weil überhaupt eine Öffentlichkeit für dieses Bedürfnis entstand.

Für Sexualität gibt es in der autonomen Linken keine öffentlich legitimierten Bilder, die nicht-pornografisch sind und die von Frauen gesetzten Grenzen und ihre Interessen respektieren. Der erigierte Penis, den auch der kleine Junge hat, was in der Ikone unsichtbar bleibt, ist aus guten Gründen tabuisiert, aber ohne dass dadurch die Ambivalenzen aufgehoben wären. Die entsexualisierte Kinder-Ikone "das rebellische Kind" repräsentiert jedenfalls kein erwachsenes Begehren und keine Sexualität, die ihre Grenzen und Ambivalenzen anerkennt, die nicht wegsieht, sondern sich ein Bild macht.

Die rebellischen Kinder symbolisieren eine Haltung, die jede auf Anerkennung und Autonomie beruhende Beziehung zu Erwachsenen verweigert. Sie akzeptieren nicht die Subjektivität des Gegenüber, der sich nicht unterordnet und aufgibt. Das "Nie wieder erwachsen" der kleinen RebellInnen ist anmaßend: Jedes Anerkennen eigener Schuld und Verantwortung, jedes Einfühlungs- und Einsichtsvermögen, das die Abstraktion von eigenen Interessen und Sichtweisen voraussetzt, ist für sie ungeheuerliche, erwachsene Zumutung.

Die scharf gezogene Grenze zwischen bunter Kinderwelt und der fremden Welt der Erwachsenen dichtet die Eigengruppe hermetisch ab und eröffnet die Möglichkeit eines moralischen und politischen Rigorismus gegenüber anderen. Je höher der Wert der eigenen Gruppe geschätzt wird, desto stärker erwächst daraus ein Vorrecht gegenüber allen anderen. Die ideologische Abdichtung der Kinderwelt wird erkennbar, wenn die fast durchgängige Abwesenheit von pubertären Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen auf den Bildern festgestellt wird, alles Bilder, die das mögliche Erwachsen-Werden der Kinder sichtbar machen.

Die Selbstrepräsentation "rebellische Kinder" ist widersprüchlich und sehr fragwürdig, ihr sind viele Autonome Männer und Frauen entwachsen. Ob eine visuelle Selbstinszenierung überhaupt emanzipativ sein kann oder ob sie unmöglich geworden ist, darüber kann nur die politische und kulturelle Auseinandersetzung in der radikalen Linken entscheiden.