Champions in Tüten

Gefährliche Orte LXXVIII: Hitlers Olympiastadion, wenn Hertha BSC mal wieder verliert und die "Dreckstürken" schuld daran sind.

Wie hört es sich an, wenn Hertha BSC Berlin gegen eine türkische Mannschaft verliert? "Das ist ja hier wie in Hoyerswerda", "Scheiße, das sind ja alles Nazis", "Was für ein Mist, dass man hier auf die Bullen vertrauen muss". Galatasaray Istanbul hatte gerade bei einem Spiel der Champions League die Herthaner mit vier zu eins eingemacht. Deutlich, verdient und für die Berliner Mannschaft ziemlich blamabel.

"Boah, können die aber schlecht verlieren", ärgert sich zum Beispiel Yasar, der wegen Stress auf der Arbeit schon ziemlich schlecht gelaunt gekommen war. Im Olympia-Stadion aber wurde seine Stimmung von Minute zu Minute - genauer von der 48. bis zur 90. - besser. Nun ist er zusammen mit anderen Galatasaray-Fans am Stadionparkplatz angekommen. Dort warten an den zahlreichen Bier- und Wurstständen mehrere Hundert Hertha-Hools: "Kanaken immer in die Fresse" ist noch einer der harmloseren Sprüche, die aus dem deutschen Schultheiss-Spalier kommen.

Yvonne, Reenie aus Lichtenberg, will gleich "alle Türken vergasen", den Frauen "aber vorher noch ihre kleinen Titten abschneiden". Ihr Freund, der augenscheinlich zum Stiernackenblock der Jungen Nationaldemokraten gehört, hat so viel gesoffen, dass er nichts mehr ergänzen kann. Er greift die türkischen Fans an, wird aber von der Polizei abgedrängt. Die restlichen Hertha-Nazis variieren rasch ihren St. Pauli-Hass-Spruch: "Wir bauen eine U-Bahn von Istanbul nach Auschwitz."

Bevor ein Missverständnis aufkommt: Nicht alle Hertha-Fans sind so. Am Kottbusser Tor sollen in der Nacht zwei von ihnen beobachtet worden sein, wie sie zusammen mit den türkischen Fans feierten. Von drei weiteren ist überliefert, dass sie auf dem Stadionparkplatz zu schlichten versuchten und dabei von anderen Fans auf die Nase bekamen. Und gewiss: Es gibt ja auch noch die schweigende Mehrheit - die vielen echten Herthaner, die die Innere Emigration einer Auseinandersetzung vorziehen oder einfach nur schnell zum Auto mussten.

Der Verein kann sich wahrlich gratulieren: Das Motto "Wir gegen Rechtsextremismus", das Stürmer Michael Preetz vor dem Spiel grinsend über die Leinwand verbreitete, wird von den Fußball-Anhängern offenbar voll akzeptiert. Die Rufe "Preetz raus" hatten sicher nur damit zu tun, dass er nicht seinen besten Tag hatte. Auch die Integrationsversuche des neuen Vereinsmaskottchens Hertinho - ein brunzdumm aussehender brauner Bär mit blau-weissem Spitzbart - hatten unzweifelhaft Erfolg: Als Hertinho sich vor dem Spiel bei einer türkischen Sängerin unterhakte, pfiffen höchstens 20 000, nicht aber alle 50 000 Hertha-Fans.

Selbst die Fan-Transparente sind deutlich differenzierter geworden. Okay, einige Unverbesserliche gibt es immer: "Sudel Ultras", "Frankfordia Korps", "Deutsche Eiche", "Sturmflut", "Rollkommando Berlin", "Kommando Nord", "Ultra Szene" und wie die Namen noch alle heißen, die man genauso bei einem Nazi-Skin-Konzert erwarten würde. Aber zwischen sie haben sich die ersten Hertha-Gutmenschen gemogelt: "Schlumpfhausen" sowie "Sinn und Fuß", die Selbstbezeichnung "Men in Blue" lässt sogar bescheidene Anzeichen von Humor erkennen. Und: Sie sind nicht so dumm wie ihre Kollegen.

Das zeigt sich beispielsweise daran, dass sie dem Aldi-Tüten-Affront der anderen Herthaner nicht folgen. Als die Fans von Bayern München vor zwei Jahren bei einem Heimspiel ihres Vereins gegen Besiktas Istanbul einige Hundert Aldi-Tüten hochhielten, stachen diese deutlich von den roten Trikots und Schals ab. Die rassistische Volte war geglückt. Bei mehreren Dutzend Hertha-Hools, die darin nach dem Motto "mach mit, mach's nach, mach's besser" ein originelles Beispiel sahen, floppte der Nachahmungsversuch in der vergangenen Woche gründlich: Über blau-weißen Trikots, blau-weißen Schals und blau-weißen Mützen sind blau-weiße Aldi-Tüten kaum zu erkennen. Auf die Idee, bei Lidl einzukaufen, war niemand gekommen.

Yvonne hat sich an den Aldi-Tüten sogar die Hand verbrannt. Einer ihrer Nazi-Freunde hatte eine Bengalische Fackel in den Tütenstapel geworfen. Bei dem Versuch, die Aldi-Souvenirs zu retten, griff sie in geschmolzenes Plastik. René, ihr Freund, hat dann einfach ein alkoholfreies Bier (im Stadion gibt es keinen Alkohol) über ihre Hand geschüttet - und Yvonnes deutsche Welt war wieder in Ordnung. "Das Plastik kratz' ich morgen in der Berufsschule ab", sagt sie. Und: "Die Dreckstürken sind schuld. Die haben uns voll provoziert." Mit was, weiß Yvonne nicht mehr. Sie geht erstmal kotzen.

Yasar hingegen weiß, wer provoziert hat: "In der U-Bahn, als ich hergefahren bin, waren überall diese Sprechchöre: 'Galatasaray - Fenerbahce - Istanbul - wir hassen die Türkei.' Überall Aldi-Tüten, immer wieder Beleidigungen und Stöße." Wenn im Stadion dann die Galatasaray-Fans nach dem zweiten Tor auf Deutsch "Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen" singen, sei das doch lustig. Recht hat er. Sein Freund Tancar ruft, als die U-Bahn bei der Rückfahrt am Ernst-Reuter-Platz hält, einigen umstehenden Hertha-Fans zu: "Bald spielt ihr wieder gegen Leipzig." Alle im Abteil lachen. Auch jene, die keine rot-gelbe Galatasaray-Ausrüstung tragen.

Nur die Angespochenen lachen nicht. Einer schlägt vor Wut erstmal eine Lampe kaputt - und verletzt sich dabei an der Hand. Bestimmt findet auch er, dass die "Dreckstürken" schuld daran sind. Hätte der Hertha-Fan doch lieber den Aufruf des Vereinspräsidenten Walter Müller an die "lieben Fußballfreunde aus Berlin und dem Umland" erhört: "Lasst uns gemeinsam mit unseren türkischen Freunden ein großes Fußballfest feiern, bei dem die sportliche Fairness und der Respekt im Mittelpunkt stehen", hatte Müller im Vorwort des offiziellen Stadionmagazins Wir Herthaner geschrieben.

Man gibt sich Mühe bei der Hertha, gewiss: Wer am Eingang mit drei kleinen Halbmonden auf der roten Fahne - dem Symbol der faschistischen Grauen Wölfe - gesehen wird, muss draußen bleiben. "Alles finden wir aber nicht", sagt ein Ordner. Deshalb können die zahlreichen "Ich-bin-stolz-ein-Deutscher-zu-sein"-Aufnäher an der Jacke bleiben, die das "Hitler-on-European-Tour: 1939-1945"-T-Shirt (bei ihnen heißt das natürlich T-Hemd, wie Yvonne erklärt) überdeckt.

Gegen die Grauen Wölfe hat Yvonne überraschenderweise nichts: "Das sind zwar auch Kanaken, die lieben aber wenigstens ihr Vaterland. Nicht so wie die Scheiß-St. Pauli- und TeBe-Zecken mit ihren Juden-Vereinen." Froh über den Ausschluss der Grauen Wölfe sind hingegen Yasar und Tancar: "Wenn wir verloren hätten, hätten die richtig Randale gemacht. Nicht nur gegen die Nazis, sondern gegen alle." Aber die Ordner hätten ja gar nicht alle gefunden. "In unserem Block waren bestimmt 25 von denen."

Am U-Bahnhof Nollendorfplatz steigen die beiden aus. Sie heben einige zerknautschte Aldi-Tüten vom Boden auf und werfen sie in die nächste Tonne. "Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen", singt Tancar. "Hertha kann ja immer noch weiterkommen, wenn sie gegen Chelsea gewinnen", ruft Yasar noch aufmunternd.

Schade, bis dahin wirkte er so sympathisch.