The Love Movement

Lyrik und Politik, Straße und Lounge: Mos Def bringt mit »Black On Both Sides« alle Möglichkeiten von HipHop zusammen.

Die Gründe, warum man in den letzten Jahren das Interesse an HipHop hat verlieren können, sind vielfältig. Da gibt es eine politische Skepsis, aber auch eine musikalische Ermüdung - die Zeiten, in denen HipHop das Modell für eine emanzipatorische Symbolpolitik der Straße abgeben konnte, sind auf jeden Fall seit Mitte der Neunziger vorbei. Selbst wenn man dieser eh nie so recht trauen wollte - schon gar nicht in ihrer hiesigen Rezeption, die so oft nur Getto-Romantik meinte und aus jedem dummen Gangsterism oder Nationalismus noch eine sozialrevolutionäre Aussage destillierte. Als diese Idealisierungen und Projektionen weißer Hörer in sich zusammenbrachen, setzte aber auch noch etwas anderes ein: Die Lufthoheit der eklektizistischen New School - der De La Souls, Poor Righteous Teachers, A Tribe Called Quests, Jungle Brothers, Brand Nubians, Gang Starrs, X-Clans und Divine Stylers dieser Erde - über die Rapgeschäfte ging über in die Hände Puff Daddys.

Das bedeutete: Elf-Meter-Samples aus der Hitparade statt aus Papas Plattenkiste und die Transformation von schwarz-nationalistischer Politik in Begriffe ökonomischen Erfolgs. Das war ein Payback mit der Kreditkarte, der im besten Fall einfach dreist zurückkaufte, was sich weiße Musiker über Jahrzehnte aus der afro-amerikanischen Kultur zusammengeklaut hatten. Dass die Resultate dann an ein weißes Mainstream-Publikum mit ordentlicher Rendite zurückverkauft wurden, kam tatsächlich einer Art höheren Gerechtigkeit gleich. Wollte man einen richtig slicken Sound, dann war man bei der - zumindest die Geschlechterverhältnisse ansprechenden - Soul-Politik von R'n'B an der besseren Adresse. Oder man wandte sich gleich dem ganz anderen Potenzial elektronischer Musik zu, die so viel näher an den eigenen Lebenswelten schien und weniger historischen Ballast mit sich schleppte.

Aber auch in den USA brachten die Platin-Verkäufe eines Puff Daddy ihre Gegenbewegung mit sich. Ein unübersichtliches Netzwerk kleiner und kleinster Indie-Labels entstand, das HipHop als historische Form der Performanz gegen ihren Ausverkauf für sich reklamierte. An Stelle eines Sinfonie-Orchesters mit abgehalfterten Rockgitarristen sollten wieder zwei Plattenspieler und ein Mikrofon reichen, um eine der HipHop-Kardinaltugenden unter Beweis zu stellen: skills. Manchmal nahm diese handgefertigte Revitalisierungsbewegung des Könnens von hiphop as an artform geradezu muckerhafte Züge an. Live-Shows von DJ-Crews wie den Invisibl Scratch Picklz blieben oft eher als elektrifizierte Versionen der Superdrumming-Idee im Gedächtnis. Weniger eitle Connaisseure führten ihre Plattensammlungen wie Pitbulls Gassi. Hier wird ein Begriff von Kompetenz deutlich, der sich eben nicht nur technisch versteht, sondern als ein über lange Zeit gewachsenes, historisches Wissen, dessen Nähe zum Material sich auch als Liebe buchstabieren lässt.

Ein Zentrum dieser Bewegung ist die Lyricist Lounge, ein Club in Manhattan, der von Rawkus Records mitorganisiert wird, dem finanzkräftigsten der HipHop-Kleinlabels. Hier reicht sich alles, was Rang und Namen hat, das Mikrofon. Die Freestyle-Traditionspflege, die man dort treibt, reimt sich genauso auf die Last Poets, das Black Arts Movement und Jazzpoetry wie auf Boogie Down Productions. Und das funktioniert, weil New York die schlimmsten Acid-Jazz-Exzesse erspart geblieben sind und es den Betreibern der Lyricist Lounge nicht um das Retro-Moment geht, sondern um Kontinuitäten des künstlerischen Ausdrucks, in denen HipHop nur Teil einer viel weitergehenden Erfahrung von Community ist.

Einer der Stars aus dieser Aktivisten-Szene ist Mos Def, der zum ersten Mal auf dem De La Soul-Album »Stakes is High« in Erscheinung trat. Und »Black On Both Sides«, sein bei Rawkus Records erschienenes Debütalbum, stellt alles in den Schatten, was in den Neunzigern an Sprechgesang auf Vinyl festgehalten wurde. Wenn nicht in den nächsten Tagen noch etwas schief geht - das gleich vorweg -, dann wird sein »Black On Both Sides« für den HipHop der Neunziger das sein, was »What's Going On« von Marvin Gaye für den Soul der Siebziger war: Die präzise Verfeinerung aller zur Verfügung stehenden musikalischen Mittel und die geschlossene, persönlich-spirituelle Vision einer Ära als Gesellschaftsbild. Mos Defs Platte könnte damit für einen Wendepunkt im amerikanischen HipHop stehen, schickt sich der Underground doch gerade zum ersten Mal an, den amerikanischen Mainstream-Markt zu knacken.

Nachdem Mos Defs Label-Kollege Pharoahe Monch mit »Simon Says« kürzlich den ersten Indie-Hit gelandet hat, der selbst auf der New Yorker HipHop-Radiostation Hot 97 von Funkmaster Flex, einem ausgewiesenen Mann fürs Grobe, ohne Unterlass gespielt wird, kommt Mos Defs »Black On Both Sides« zu einem strategisch außerordentlich günstigen Zeitpunkt. Wie »The Love Movement«, dieses vielfach unterschätzte Vermächtnis von A Tribe Called Quest, geht Mos Def mit zwei Behauptungen ins Rennen, die er nicht müde wird, wortmächtig zu wiederholen. Dass mit HipHop etwas falsch läuft, weil auch in der afro-amerikanischen Community etwas falsch läuft. Und dass nur »Liebe« - im emphatischen Sinne James Baldwins - die Lösung sein kann. Liebe zu der Möglichkeit von HipHop, die Sprache eines sozialen Anliegens zu sein, Liebe für dessen Geschichte und zu guter Letzt Liebe zur afro-amerikanischen Community und für deren Befreiungsgeschichte: »So - if HipHop is about the people, and HipHop won't get better until people get better, then how do people get better?«

In vielerlei Hinsicht erinnert das an die erste Platten der Native Tongues in den späten Achtzigern, nur dass deren Bezug auf den schwarzen Nationalismus der sechziger Jahre hier als Referenz auf Marcus Garvey wiederkehrt. Black Star heißt das Projekt, das Mos Def mit seinem Rawkus-Kollegen Talib Kweli betreibt - wie jene Schiffslinie, mit der Garvey Anfang des Jahrhunderts die Versklavten aus der Diaspora nach Hause führen wollte. Und weil der Black Star Liner gerade in der Mythologie des Rootsreggae eine so wichtige Rolle spielt, sind auch die Ragga-Einflüsse nicht fern. Wie Black Star in großer Verbeugung vor KRS-One über dem »Remix for P is Free»-Break ihren »Stop the Violence»-Hook rappten, so chattet Mos Def nun in strategisch eingesetztem Patois »I used to speak the King's English« und kommt in verzwickten Assoziationsketten vom morgendlichen Glas Wasser über das Sklavenschiff, das in ihm schwimmen könnte, zu den ökonomischen Verhältnissen der New World Order.

Selten hat man dabei einen MC gehört, der über eine so große stilistische Bandbreite verfügt: Props werden da zwar auch durch beiläufig eingesetzte Samples vergeben, ein leises »Go Brooklyn« im Hintergrund hier, zwei angespielte »Hard to Handle»-Takte da, genauso sicher aber bewegt sich Mos Def in den Styles anderer, als würde es noch einmal darum gehen, das MCing an und für sich zu definieren. Damit platziert er sich in einer Reihe mit solch rhyme-technischen Trickstern wie Divine Styler, Freestyle Fellowship oder den Poor Righteous Teachers, die alle daran arbeiteten, Rap auf eine nächste Ebene der Referenzialität zu heben.

Musikalisch hängt über »Black On Both Sides« ein elegant-verkiffter, deeper Rare-Groove-Vibe, der bisweilen an die so konzentrierte wie sexy Schlappheit eines Roy Ayers erinnert - oder an Gil Scott-Heron in seinen besseren Tagen. Das mag an den Beteiligten liegen: Neben ATCQ-DJ Ali Shaheed, Q-Tip, Talib Kweli, Busta Rhymes und der Sängerin Vinia Mojica, findet sich nämlich genauso die Jazzlegende Weldon Irvine auf der Creditliste. Daddelig oder klischeehaft ist das dennoch nie, vielleicht aber »Jazz«, wenn damit ein Raum musikalischer Freiheit benannt wird. Sicher ist, dass diese Platte in jeder Hinsicht ziemlich allein auf weiter Flur steht. Und uns noch lange beschäftigt halten wird. M-O-S-D-E-F-initely.

Mos Def: »Black On Both Sides«. Rawkus (Zomba)