Offensive West

In Nordrhein-Westfalen könnte die PDS zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament einziehen. Die Affären der SPD kommen ihr dabei ganz gelegen.

Ist es eigentlich eine dankbare Aufgabe, die PDS im Westen zu managen? Diether Dehm muss einen Moment lang überlegen. »Nach Dankbarkeit«, sagt er schließlich, »wird in der sozialistischen Politik nicht gefragt.« Gut anderthalb Jahre ist es nun her, dass der Sozialdemokrat die Schröder-SPD verließ, um Anfang letzten Jahres stellvertretender Vorsitzender der PDS zu werden.

Leicht hat er es dort nicht. Nur langsam geht es voran mit dem demokratischen Sozialismus in den alten Bundesländern. Doch nun hofft der Mann aus Frankfurt/Main, dass die PDS zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament einziehen kann. In Nordrhein-Westfalen, wo am 14. Mai ein neuer Landtag gewählt wird - und wo sich der Konkurrent um die sozialdemokratischen WählerInnen mit einer Flugaffäre herumschlagen muss. Nach dem Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde erreichte die PDS hier im vergangenen September 51 Sitze in Stadträten und Bezirksvertretungen. Zur Zeit liegt sie in Umfragen zwischen 1,5 und 3 Prozent. Dehm glaubt, dass die Partei die fehlenden zwei, drei Prozent noch hinzugewinnen kann.

»In der Partei gibt es schon einige Verrückte, die ernsthaft glauben, dass wir es schaffen«, heißt es aus dem Umfeld des NRW-Vorstandes. Der Kampf um die besten Listenplätze steht am Wochenende auf dem Parteitag in Duisburg an. Zumindest ab Platz vier: Denn die ersten drei Plätze sind dem Vernehmen nach bereits ausgekungelt. Die Bochumer HBV-Funktionärin Annette Falkenberg soll Spitzenkandidatin werden, während Klaus H. Jann - zunächst auf dem Ticket der DKP, dann dem der Demokratischen Linken seit Jahren Ratsherr in Wülfrath - wohl den männlichen Spitzenplatz ergattern wird. Auf dem dritten Platz soll die Duisburger Stadträtin und Studierendenfunktionärin Irina Neszeri kandidieren. Platz vier soll auf Wunsch des Landesvorstandes für einen Migranten freigehalten werden.

Doch eines ist schon vorab klar. Die Versammlung wird nicht dem Beispiel der Düsseldorfer PDS folgen, die ihre RatskandidatInnenliste gleich doppelt quotierte: nach Geschlecht und nach sexueller Orientierung. Auch der Spitzenheteromann Thomas Heuvelmann weist eine astreine Vita auf: »1968 in Emmerich geboren, jüngster Sohn von zehn Geschwistern« sei der Mann auf Platz 4, verriet die PDS-Wahlkampfzeitung. »In NRW ist das Personaltableau exzellent«, sagt Diether Dehm.

Einer gehört nicht mehr dazu: Karl Heinz Strohmeier, bis vor kurzem noch Wortführer der AG Realpolitik in der NRW-PDS. Doch nachdem es auf einer Sitzung der von ihm geführten PDS Gelsenkirchen beinahe zu einer Prügelorgie kam, warf Strohmeier das Handtuch. Mitte Januar verließ er mit 20 anderen eher realpolitisch orientierten GenossInnen die Partei. »Die West-PDS ist eine andere Partei als die PDS im Osten«, sagt der 58jährige Malermeister heute. »Deswegen geht es mit ihr auch nicht voran!« Im Landesvorstand dominierten »Hardliner« - und das sei »noch sehr milde ausgedrückt«. Strohmeier: »Die warten darauf, dass Josef Stalin aus dem Grabe aufersteht und uns alle in die lichte Zukunft führt!« Der André-Brie-Fan, der bis Mitte 1998 der CDU angehörte, setzt lieber auf konkrete Inhalte. Demnächst außerhalb der PDS: Zusammen mit seiner Frau Marion unterstützt er ein Kinderheim und setzt sich für die Rettung von 28 Ahornbäumen ein, die nun wahrscheinlich nicht gefällt werden. Die Lokalpresse ist begeistert. Strohmeier nicht. »Die Genossen sagen: Das hat doch nichts mit Politik zu tun«, klagt er.

Doch nicht nur im Ruhrpott hat die PDS Probleme, sondern auch im Osten. Im Osten Westfalens. Allerdings sind diese Probleme mehr organisatorischer Natur: Da die Gysi-Truppe bei der Landtags- im Gegensatz zur Kommunalwahl flächendeckend antreten will, sucht sie derzeit händeringend nach ostwestfälischen DirektkandidatInnen. Auch im Hochsauerlandkreis sieht es noch nicht gut aus. Doch dafür wird es im Ruhrgebiet keine Personalprobleme geben - trotz des Abgangs Strohmeiers. Denn im Pott ist die PDS seit letztem Herbst eine Macht: Ob in Gelsenkirchen, Recklinghausen, Essen, Oberhausen, Moers oder Witten - überall sitzt die Partei seit den Kommunalwahlen mit einem oder zwei Stadtratsabgeordneten in den Parlamenten. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie in Duisburg: Mit 4,2 Prozent der Stimmen und einem DKPler zog sie dort in Fraktionsstärke in das Kommunalparlament ein.

Aber was machen die Ratssozialisten dort? »Unsere Leute in den Räten sind noch dabei, sich einzuarbeiten«, berichtet Knut Vöcking, Sprecher des PDS-Landesvorstandes. Bisher hätten sie schon mit einigen Initiativen durchaus kleine Erfolge erringen können. Doch warnt Vöcking seine GenossInnen schon heute davor, über das »parlamentarische Kleinklein« die Parteiarbeit zu vernachlässigen. Grundsätzlich, ergänzt Diether Dehm, sollten die West-GenossInnen, »die Kommunalparlamente als Tribüne des Klassenkampfes nutzen«.

Denn die PDS könne auf der kommunalen und der Landesebene um Vertrauen für ihre Politik werben, um so sukzessive die kulturelle Hegemonie zu gewinnen, meint Dehm. Vor allem wolle man in soziale Brennpunkte gehen, Menschen gewinnen, die von der Politik abgeschrieben werden und die die Politik abgeschrieben haben. Aber auch als Ansprechpartner für enttäuschte Grüne, Sozialdemokraten und GewerkschafterInnen solle man sich profilieren. Immerhin, so NRW-Landeschef Vöcking, hat sich die Mitgliederzahl der PDS NRW in den letzten Jahren verdoppelt - auf 1 200. Unter den Neuzugängen seien kaum Grüne oder SPDler gewesen, versichert Vöcking.

»Ehe wir im Westen richtig Fuß fassen, wird es noch eine Weile dauern«, hatte der PDS-Bundestagsfraktionsvize Wolfgang Gehrcke vor einem Jahr prophezeit. Das liege auch an den kulturellen Unterschieden zwischen Ost und West, meinte der ehemalige Hamburger DKP-Spitzen-Kader damals.

Doch mit einem bisschen guten Willen können sich Ossis und Wessis vielleicht doch näher kommen. Wie in Witten an der Ruhr. Da war Gregor Gysi im NRW-Kommunalwahlkampf zu Besuch. »Das ist sehr intelligent, was du sagst, aber undeutlich«, erwiderte der PDS-Bundestagsfraktionschef auf den Ruf eines West-Punks, der es gewagt hatte, Gysis Rede zu stören. »Deshalb meine Empfehlung: etwas weniger Alkohol, hattu auch mehr Geld, kanntu mal ein Buch lesen. Hilft in jeder Hinsicht!«

»Wieso machst du mich so nieder, he?« stellte der Wessi den Ossi bei dessen anschließender Autogrammstunde zur Rede. »Weil du mich ooch niedermachst!« rief Gysi zurück. - »Ich hab doch nur gesacht: Politik is scheiße!« meinte der Punk, ehe er den Kugelschreiber in der Hand Gysis sah. »Oh, ej! Ich will auch ein Autogramm.« - »Ja klar, komm!« schmunzelte der gelernte Rinderzüchter, während er seinen Namen auf einen Bierdeckel kritzelte. Eine Woche später errang die PDS in Witten zwei Ratsmandate.