Cagney & Lacy tun es

Toughe Kommissarinnen und schwule Legionäre. Zum 14. Mal wird auf der Berlinale der schwul-lesbische Filmpreis Teddy verliehen.

Der Berlinale-Eklat 1970, der dem Festival als glamourösem Event ohne politischen Tiefgang ein Ende setzte, holte auch die Filmauswahl aus der Frontstadt-Agonie der Nachkriegsjahre. Zum neuen Konzept gehörte nicht nur das Forum des Jungen Films, sondern ab 1986 auch das Panorama. Von Anfang an hatte dabei dessen damaliger Chef Manfred Salzgeber - ursprünglich Mitbegründer des Forums - Filme, die im Kontext schwuler und lesbischer Thematiken standen, im Blick.

Hier zeigten Pedro Almod-var, Gus van Sant, Heiner Carow, die Dokumentaristinnen Greta Schiller und Andrea Weiss oder Cheryl Dunye erstmals ihre Filme dem Publikum eines A-Festivals. Inzwischen wird in bereits vierzehnjähriger Tradition der Filmpreis Teddy (für Forum-, Panorama- und Wettbewerbsfilme) verliehen, der nicht unwesentlich zur Präsenz schwul-lesbischer Filme auf den Berlinale-Leinwänden beigetragen hat. Aids- und Coming-out-Geschichten waren Hauptthemen der Filme, ebenso wie Transsexualität, binationale Lovestorys und sardonische Sexploitation-Streifen von Leuten wie Bruce La Bruce, Rosa von Praunheim oder Monika Treut.

Mittlerweile geht der Trend zu zwischentönigen Geschichten mit homosexuellen Kontexten, die die scheinbare oder tatsächliche gesellschaftliche »Normalität« thematisieren. Ein Beispiel dafür ist der Spielfilm »Segunda Piel« (»Die zweite Haut«) von Gerardo Vera. Es beginnt als ein Spiel mit dem Licht. Sich überschneidende Körperlinien, Schattenrisse, die an frühe fotografische Experimente oder die Rayografien von Man Ray erinnern. Von außen, von den Umrissen her, nähert sich der spanische Spielfilm dem emotionalen Geflecht seiner Figuren. Um sich dann ohne Eile, aber konsequent, den jeweiligen Definitionen von Liebe zu nähern, die die Protagonisten umtreibt.

Da wäre erst einmal eine Ehe im Wartestand, die ihren erotischen und intimen Reiz verloren hat. Alberto (Jordi Mollá) und Elena (Adriana Gil) vertrödeln das »wirkliche Leben«, das sie führen könnten, in spanischem Ikea-Schick auf gemütlichen Sofas, auf denen genausowenig läuft wie im Schlafzimmer. Ein Leben in der dritten Person, leidenschaftslos und kühl. Dass Alberto seit einiger Zeit einen Geliebten hat, ändert nix, Lügen und Halbwahrheiten reichen vorerst aus, um die Untiefen des Alltags zu überbrücken.

Die katalytische Hauptfigur des Films, Diego, wurde von Regisseur Gerardo Vera mit Javier Bardem besetzt, dessen ruhiger Stil gelegentlich an Hongkong-Star Chow Yun Fat erinnert. Bardem, der in dem Texmex-Thriller »Perdita Durango« (çlex de la Iglesia, 1996) einen sensiblen Killer spielte, ist hier ein Mann, der für seine Liebe zu dem verheirateten Alberto bereit ist, einiges in Kauf zu nehmen, aber an der Unentschlossenheit und Feigheit seines Gegenübers scheitert. Wohlgemerkt, der Film spielt im Madrid von heute, Diego ist klinischer Pathologe, Alberto Flugzeugtechniker, Elena Druckgrafikerin.

Den Stress des Klemmschwulen macht sich Gatte Alberto selbst und erkennt zu spät, dass ein Leben auf Pump nicht funktioniert, schwul oder nicht. Da bemerkt Cecilia Roth, die hier als Bardems beinharte Chefin auftritt, denn auch folgerichtig: »Hör mal, falls du einen echten Kerl suchst, der einzig brauchbare bin ich!« Nicht nur, weil beide, Roth und Bardem, mit Pedro Almod-var als Regisseur gearbeitet haben, ist der Einfluss des spanischen Regie-Stars spürbar, wobei »Segunda Piel« mehr auf Introspektion setzt denn auf Exzess.

Der neue Film von Jochen Hick, »No One Sleeps« dagegen jagt mit viel Dramatik durch die Bars und Rammel-Kaschemmen des schwulen San Francisco und befasst sich geheimnishuberisch mit der schon etwas angejahrten These, der HIV-Virus sei eigentlich ein aus biologischen Versuchen an Kriminellen entfleuchtes Übel. Alles verpackt in einen Fantasy-Krimi-Plot, bei dem eine grimmige lesbische Kommissarin natürlich nicht fehlen darf. Neben unfreiwilliger Komik in einigen Szenen ist vor allem der Hauptdarsteller (Tom Wlaschiha) bemerkenswert, weil man ihm die Rolle als Ermittler von eigenen Gnaden einfach nicht abnimmt. Versöhnlich könnte die omnipräsente Musik aus Puccinis Oper »Turandot« stimmen, aber auch sie wird in den Begründungszwang der durchsichtigen Handlung gezwungen.

Ein Fall für Cagney & Lacy wäre auch die Mörder-Plotte des finnischen Beitrags »Pelon Maantide« (»Geografie der Angst«) von Auli Mantila. Hier treibt eine weibliche Guerilla - auf die zumindest in Revenge-Movies Verlass ist - ein Spiel mit dem Entsetzen ihrer männlichen Opfer. Wobei der Film auf explizite Gewaltdarstellung verzichtet. Er basiert auf dem in Finnland umstrittenen Buch von Anja Kauranens, das eine fiktive Stadt in Bereiche aufteilt, von denen einer für die latente Gewalt gegen Frauen steht.

In die paramilitärische Welt der Fremdenlegion führt »Beau Travail« von Claire Denis. Trainingslager und nackte Männeroberkörper in der Wüste nahe Djibouti - vor dieser Kulisse choreografiert die Regisseurin ein zwiespältiges Hohelied auf Disziplin und gestählte Mannesehre mit homoerotischen Untertönen. So schön wären Rammstein auch gerne.

Zuverlässig seinem Ruf als Berlins John Waters treu bleibt dagegen Lothar Lambert mit »Verdammt in alle Eitelkeit«, dessen englischer Titel »From here to Vanity« fast noch schöner ist. In bekannter Manier begibt sich Lamberts ehrenamtliche Schauspieler-Crew wieder einmal in die Abgründe des Trash, nach dem Motto: Handlung egal - Hauptsache, stilistisch genial. Und beweist, dass es ein Leben nach der Haupstadt gibt.

Hier spielt auch der Debütfilm von Andreas Struck, »Chill Out»: Eine Studie zum Lebensgefühl zwischen Techno-benebelten Clubs und der Lebenskünstlerexistenz zweier Endzwanziger, die immer gerade auf dem Weg ins »21. Jahrhundert« sind oder von da kommen - so heißt nämlich ihre Lieblingskneipe. Eine richtige Dreiecks-Kiste wie in »Segunda Piel« ist die Liaison von Max, Anna und Johann allerdings nicht, leiden verboten. Millennium, Existenzminimum sind keine tragischen Themen, ebenso wenig wie Homo- oder Hetero-Binaritäten.

Wer sich noch an Wong Kar-Wais tragische Schwulenromanze »Happy Together« erinnert, die den Hongkong-Look nach Argentinien verlegte, kann in »Buenos Aires Zero Degree: The Making of Happy Together« noch einmal in die Welt der zerbrochenen Liebe eintauchen und sich von Wong Kar-Wai - sogar ohne Sonnenbrille - ironisch den Weg zu ehemaligen Drehorten weisen lassen. Alles in allem eine adäquat verwackelte Reportage zu Arbeitsweise und Credo des Regisseurs, der für eine Saison das Honkong-Kino revolutionierte.

Die besten Sequenzen in »Night Waltz - The Music of Paul Bowles« von Owsley Brown sind die, in denen der Schriftsteller selbst zu Wort kommt. Mit Eleganz plaudert der Schriftsteller und Komponist, der in Tanger lebte und dort in diesem Jahr verstarb, über die Musik und das Schreiben. Trotz der manchmal naseweisen Nachfragen und der schlichten Kombination von Stadtaufnahmen und Musikstücken, ist der Film vor allem ein Dokument, bei dem man wenig über die Musik erfährt, aber viel vom Charisma Paul Bowles'. Ein Lied, das ihm sein marokkanischer Chauffeur ins Ohr wispert, beschließt die Dokumentation. Dass dem Film der Zeitdruck, unter dem er entstanden sein mag, auch anzusehen ist, scheint da zweitrangig.

Die Teddy-Award Gala 2000 findet am 19. Februar, 21 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt statt. Info unter Tel. (030) 215 74 30 und www.teddyaward.org