»Wir wollen diese Regierung weg!«

Österreichs Kunstszene probt den Lucky Art Strike und gebärdet sich mitunter staatstragender als der Staat selbst.

Die derzeitige Situation in Österreich hat Ähnlichkeit mit einem Propaganda-Streifen der frühen Fünfziger: Man forderte die Festigung der jungen österreichischen Identität und zugleich den Abzug der Alliierten. In diesem Film kam ein »Österreich-Lied« vor, das sich über die Ungerechtigkeit der alliierten Welt mit dem subtilen Refrain beklagte: »Die Sonne scheint auf alle gleich / Warum nicht auch auf Österreich?«

Dieses Lied wird heute den Ländern, die sich zum diplomatischen Boykott Österreichs alliiert haben, wieder vorgesungen. Doch während man die Welt darüber aufklärt, dass der österreichische Rechtsextremismus nicht ganz extrem sei, sondern nur »ein bissl« extrem, kommt es zu weiteren Boykott-Drohungen an der Heimatfront. Die österreichischen Kunst- und Kulturschaffenden wollen sich nicht so recht überzeugen lassen. Die schärfsten Attacken gegen den Machtwechsel kommen aus ihren Reihen; zumindest finden sie - durch Prestige, Prominenz und symbolisches Kapital - am ehesten in die Medien.

Die Kunstszene wird dabei nicht immer nur von antifaschistischen Prinzipien motiviert, sondern auch von einer wechselseitigen Intimfeindschaft, der eine lange Geschichte des freiheitlichen Kulturkampfes vorausgeht. So lancierte die FPÖ eine Plakatkampagne gegen Elfriede Jelinek, Claus Peymann und sozialdemokratische Kulturpolitiker, denunzierte Vertreter der Wiener Gruppe als Kinder-Pornografen und rückte gegen Hermann Nitschs Mysterienspiele mit Demonstrationen, veranstaltungspolizeilichen Schikanen und Tierschutz-Argumenten vor. Mit seinem inzwischen sprichwörtlichen Kommentar zur Gegenwartskunst brachte der FPÖ-Landesrat Hans Jörg Schimanek, Vater eines verurteilten Neonazis, das freiheitliche Kulturprogramm auf den Punkt: »Wir wollen diese Dinge, äh, weg!«

Kulturboykott

»Wir wollen diese Regierung weg!« könnte über dem Protest der KünstlerInnen stehen. Über das »Weg« besteht Einigkeit, bloß über das »Wie« wird gestritten. Die Diskussion dreht sich vor allem um die Frage, ob und in welchem Ausmaß weiterhin symbolisches Kapital an eine Regierung unter Einschluss der rassistischen Rechten transferiert werden darf. Das Spektrum der Antworten reicht von der Forderung nach einer Total-Blockade bis hin zu persönlichen Gesten Einzelner.

Der ehemalige Bundeskurator für bildende Kunst, Robert Fleck, nimmt auf der Blockade-Skala die radikalste Position ein. Fleck, für den die FPÖ »eine der härtesten faschistischen Formationen Europas« und »direkte Fortsetzung der Nationalsozialistischen Partei« ist, fordert einen lückenlosen Boykott der österreichischen Kunstinstitutionen, bricht seine kuratorische Arbeit in Österreich sowie die entsprechenden Austauschprogramme der von ihm geleiteten Kunsthochschule in Nantes ab und sucht um die französische Staatsbürgerschaft nach.

Auch der Architekt Raymond Abraham gibt seine österreichische Staatsbürgerschaft zurück und will die Eröffnung des von ihm erbauten österreichischen Kulturinstituts in New York boykottieren, sollte die Regierung dann noch im Amt sein. Selbst der Austro-Popper Georg Danzer ruft die ausländischen Künstler zum Boykott auf. Mit dieser Forderung nach Total-Blockade treffen sich österreichische Künstler mit vielen Nicht-Österreichern: etwa mit dem Literaturnobelpreisträger José Saramago, dem Regisseur Constantin Costa-Gavras, dem Leiter des Kulturkanals Arte, Jérome Clément, dem Dirigenten Sylvain Cambreling wie auch dem internationalen Schriftstellerparlament.

Andere beschränken ihren Protest lieber auf humanistische Gesten. So 200 österreichische Filmschaffende, die auf der Berlinale der »Menschenverachtung und dem Rassismus« Haiders ein fettgedrucktes »NEIN!« entgegenschmetterten, aber sonst nichts. Oder 100 österreichische Schriftsteller (unter ihnen H.C. Artmann und Friederike Mayröcker), die in einer Deklaration zur »Kulturnation Österreich« der von FPÖ und ÖVP gebildeten Regierung das Recht absprechen, »sich im Namen der Kunst und Kultur, in ihrem Interesse oder für ihre Ziele aussprechen zu können. Nicht erst wegen mangelnder fachlicher Voraussetzungen, sondern wegen der ihr fehlenden moralischen Qualifikation.«

Fast identisch lautet eine Resolution des Berufsverbandes bildender Künstler Österreichs. Und die IG Autoren plant weitere Image-verschmutzende Proteste bei der Expo 2000, denn dort wird Östereich sich als Kulturnation vorstellen. Und schließlich wird am privatistischen Ende der Blockade-Skala darüber diskutiert, ob man nun »dableiben« oder »auswandern« solle. Jelinek bleibt wegen ihrer kranken Mutter, der Salzburger Galerist Ropac verlegt seinen Hauptsitz nach Paris, und so weiter.

Die Vehemenz, mit der überhaupt um die Frage der Zusammenarbeit mit dem Staat gestritten wird, ist außerhalb Österreichs nur verständlich, wenn man die hohe Durchstaatlichung des österreichischen Kulturlebens miteinbezieht. Zum ersten fehlt privates Kapital in Form von Stiftungen, zum zweiten ist die politisierte linke Öffentlichkeit zu klein, um entsprechende Projekte selbst tragen zu können, und zum dritten gibt es eine josephinistische Tradition der »Aufklärung von oben«.

Diese Kulturpolitik des aufgeklärten Despotismus - oder der repressiven Toleranz - steht nun auf der Kippe zur Intoleranz pur. Obwohl keineswegs alle der Kultur-Protestanten Subventionsempfänger sind, wie Haider das darstellt, existiert bei vielen eine Staatsfixierung. Unter diesen Umständen formuliert sich der kulturelle Protest gegen den Kulturstaat schnell einmal staatstragender als der Staat selbst.

Hochkultur und Streikbrecher

Und doch, die mentale wie finanzielle Durchstaatlichung des Kulturlebens in Österreich hat auch eine andere, positive Seite. Denn ein Boykott des Kulturstaats, der im Stiftungsland Großbritannien etwa nur lächerlich wäre, erreicht in Österreich sehr wohl sein Ziel. Er trifft das Land am Exportgut Nummer eins und an seinem Selbstbild. So können österreichische (Groß-) Künstler enorme mediale und politische Aufmerksamkeit generieren.

Der historische Grund: die Entpolitisierung der Politik. Politische Auseinandersetzungen wurden vom neo-korporatistischen Arrangement der Sozialpartner bereinigt, bevor sie überhaupt aufbrechen konnten, was dazu führte, dass Streiks in Österreich statistisch in Sekunden gemessen werden. Ein Phänomen, das sonst nur in Einparteien-Regimes anzutreffen ist.

Ein Effekt dieser Situation war, dass seit den fünfziger Jahren politische Kämpfe immer wieder zu Kulturkämpfen sublimiert wurden. Ein Radikalmisanthrop wie Thomas Bernhard, sicher kein politischer Autor, konnte mit seinen Rundumschlägen zur zentralen politischen Ikone werden, um die die weltanschaulichen Lager Aufstellung nahmen. Die Angriffe der Freiheitlichen gegen die »Kulturschickeria« und die »Staatskünstler« waren immer zu lesen als Angriffe auf die Hegemonie der SPÖ und deren Herrschaft über den Staatsapparat.

Der Staatsapparat wurde nun erst mal von der FPÖ (mit Hilfe der ÖVP) erobert, zumindest on the top. Aber die politische Bedeutung, die kulturellen Äußerungen zugeschrieben wird, bleibt bestehen. In dieser Situation sind auch die eher staatstragenden und moralisierenden Boykottdrohungen nicht zu unterschätzen, vor allem wenn sie aus der geliebten Hochkultur heraus formuliert werden und einem Art Strike gleichkommen.

Natürlich sind gerade in der Repräsentationskultur Streikbrecher am Werk, die fürchten, ihnen könnte ihre Festival-Planung durcheinanderkommen. Von den Salzburger Festspielen und vom so genannten Avantgarde-Festival steirischer herbst haben sich schließlich schon ausländische Großsponsoren zurückgezogen. So überrascht es nicht, wenn herbst-Intendant Peter Oswald den Kunstboykott-Aufruf Robert Flecks als »heuchlerisch, pharisäerhaft und inhaltlich zutiefst ablehnenswert« bezeichnet und der Chef der Wiener Festwochen, Luc Bondy, mit Engelszungen alle noch unentschiedenen KünstlerInnen zum Kommen überredet. Die Begründung ist immer die gleiche: Man dürfe den anderen nicht das Feld oder die Bühne überlassen. »Wem kann es nützen, wenn die Ästhetik des Widerstands fortan im Ausland stattfindet?« fragt die NZZ.

Unterstellt wird dabei, dass jede Form von »qualitativ wertvoller« oder avancierter Repräsentationskultur schon an sich widerständig sei und ihre Bestreikung automatisch den Rechten das Feld überließe. Eine absurde Annahme: Heißt das etwa, man dürfe rechten Sopranistinnen nicht die Arien überlassen, rechten Orchestern nicht die Symphonien? Und deshalb dürften die Boston Symphoniker die Absage ihres Österreich-Auftritts auf keinen Fall wahrmachen? Denn wer weiß, ein FPÖ-Blasmusikverein aus Kärnten könnte ja einspringen und das Konzerthaus auf Dauer besetzen. Selbst auf die Befürchtung des durchaus boykottfreudigen Gérard Mortier, die Salzburger Festspiele könnten unter einem rechtsextremen Direktorium zu einem Jodelwettbewerb verkommen, kann man nur sagen: So what?

Der Feind ist die ÖVP

So erübrigen sich auch zynische Kritiken wie die Jens Jessens in der Zeit, der glaubt, durch den Boykott würden sich Haiders Feinde selbst abschaffen. Jessen missversteht die Boykottierung der neuen Regierung als eine Art Selbstboykott der Künstler und fragt: »Was wird aus seiner (Haiders) Regierung werden, wenn die Intellektuellen fehlen, gegen die sich das Ressentiment der Kleinbürger mobilisieren ließe?« Was Jessen nicht versteht: Die Proteste und Boykottdrohungen richten sich - ganz so wie jene der EU-Mitgliedsstaaten - überhaupt nicht an Haider, sondern an dessen Koalitionspartner ÖVP.

Für den Schauspieler Paulus Manker zum Beispiel, der seine Auftritte abbrechen würde, sobald Neu-Kanzler Wolfgang Schüssel oder Jörg Haider im Publikum sitzen, ist gerade der Opportunist Schüssel der Feind: »der Blockwart, der schaut, ob alle beim Gruppenturnen waren. Das ist die wirkliche österreichische Seele, wie sie der Helmut Qualtinger nicht furchtbarer hätte zeichnen können«.

Auch die ÖVP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, zuständig für die Museen, und der neue Staatssekretär Franz Morak, zuständig für Kulturförderung, hatten bislang feierliche Schwüre geleistet, sie würden einer Koalition mit einer Partei wie der FPÖ nie angehören. Der Ex-Schauspieler Morak, der seine Zeit als Ensemble-Sprecher des Burgtheaters vor allem mit der Bekämpfung Claus Peymanns verbrachte, hatte für den Fall einer Koalition mit der FPÖ sogar angekündigt, die Politik zu verlassen. Jetzt sitzt er im Ministerrat. Seine Haltung wird in den Zeitungen mit jener der Wendehälse von 1938 verglichen, die am Anfang alle gegen den »Anschluss« und am Ende alle dafür waren. Gerade diese zum eher liberalen Flügel der ÖVP gerechneten Politiker, werden derzeit mit einer Härte beschimpft und verhöhnt, wie sie selbst Jörg Haider nicht zu spüren bekommt. So ließ Jelinek der Bildungsministerin Gehrer über die Zeitung ausrichten: »Grundsätzlich würde ich vor jedem ÖVP-Politiker, der diese Koalition mitträgt, nur noch ausspucken. Daher sollte Frau Gehrer mir nicht zu nahe kommen.«

Die liberalen Bildungsbürger, zu denen Gehrer selbst zählt, sind die strategischen Hauptadressaten des Hochkultur-Streiks. Sie sind es auch, die als Wähler der ÖVP immer mehr abhanden kommen und zu den Grünen und Liberalen wechseln. Wenn ein Pianist wie Andras Schiff sein Konzert absagt oder Nicolaus Harnoncourt, wie das Gérard Mortier fordert, die Leitung des Neujahrskonzerts niederlegen sollte, wird das auch in den etwas feineren Kreisen wahrgenommen werden. Die Prognosen für die nächste Wien-Wahl bescheinigen der Stadt-ÖVP den Abstieg auf den vierten Platz nach den Grünen. Eine Möglichkeit, die selbst auf Bundesebene nicht mehr ganz auszuschließen ist.

Gegenkunst: Art Strike From Below

Dagegen ist die Bestreikung alternativer, sub- oder gegenkultureller Projekte und Veranstaltungsorte sinnlos. Während Lou Reeds Absage seines Österreich-Konzerts wenigstens noch in die Medien kam, würde kein Hahn danach krähen, sollte die letzte lebende Straight-Edge-Band ihren Tourstopp in Österreich ausfallen lassen. Auch im Land selbst nimmt der Subkultur-Streik natürlich nicht die Form der Verweigerung, sondern die Form des Aktivismus und Aktionismus an. Unter dem offenen und multipel verwendbaren Label get to attack haben sich alle möglichen Gruppen und Personen aus der jüngeren Kunst- und Kulturszene gefunden und mit antirassistischen Gruppen verbündet.

Die bislang dominanten, vom ehemaligen Bundeskurator Wolfgang Zinggl geförderten Kunstprojekte mit seriös-sozialarbeiterischer Ausrichtung haben sich schlagartig zu politischen Propaganda-Gruppen gewandelt. Dabei entstehen fast naturwüchsig Agit-Prop-Strategien, die man alle schon mal in den Geschichtsbüchern gesehen hat. Neben media-pranks und den unvermeidlichen Diskussionsveranstaltungen und Clubbings werden plötzlich so scheinbar historische Agitationsformen wie Straßentheater und »revolutionäre Plakatkunst« wiederentdeckt.

Grund dafür ist wohl die von den sich überschlagenden politischen Ereignissen diktierte Dringlichkeit des Handelns und die Anbindung an eine neu entstandene Demo-Kultur. Über die hat sich eine weitaus breitere Allianz gebildet, als das bei den Wohlfahrtsausschüssen der Fall war. Mainstream-Organisationen wie SOS Mitmensch oder die Demokratische Offensive bis hin zur Caritas demonstrieren zusammen mit Autonomen, Grünen, Gewerkschaften und trotzkistischen Sekten. Das einzige, was sie zusammenhält, ist die Feindschaft gegenüber der ÖVP/FPÖ-Koalition. Aber das reicht auch schon.

Gerade in der jüngeren Szene wird gegen Robert Fleck darauf hingewiesen, dass Solidarität von außen durchaus erwünscht ist - und nicht nur Boykott. Ein Boykott sollte staatliche Kulturinstitutionen und die Repräsentationskunst treffen - während mit der freien und sich gegenüber der FPÖ/ÖVP freispielenden kulturellen Opposition Solidarität gezeigt werden sollte.

Eva Grubinger und Jörg Heiser haben - vom »Ausland« her - Fleck entgegengehalten, dieser hätte besser den von ihm kuratierten Teil der »Jungen-Szene»-Ausstellung in der Wiener Kunsthalle nicht abgesagt, sondern die Ressourcen oppositionell umgewidmet. Preise sollten nicht abgelehnt, sondern das Preisgeld antirassistischen Organisationen zu Verfügung gestellt werden. Tim Sharp und Lisl Ponger fordern alle KünstlerInnen auf, sich genau zu überlegen, ob sie vom Staat als Repräsentanten Österreichs vereinnahmt werden könnten: »It is time to develop and display a consciousness of the politics of art and the art of politics.«

Aber es geht noch deutlicher. Vom schon erwähnten freiheitlichen Kunstexperten Hans Jörg Schimanek (»Wir wollen diese Dinge weg!«) ist ein weiteres Bonmot überliefert: »Wir sind für die Freiheit der Kunst, aber das ist keine Kunst.« Manche der gegenwärtigen Projekte - etwa um get to attack - scheinen Schimanek beim Wort genommen und die Kunst überhaupt hinter sich gelassen zu haben. Nicht etwa mit dem verzweifelten Avantgarde-Gestus der Überwindung oder der Zusammenführung von Kunst und Politik, sondern mit dem Gestus des jetzt Selbstverständlichen: Wir kommen halt nun mal aus der Kunst (daran lässt sich nichts ändern), aber das ist keine Kunst, könnten sie sagen. Das ist so simple wie notwendige Agitation: Wir wollen diese Nazis weg!