Streit um IWF-Vorsitz

Nachhaltige Verwicklung

Beim Streit um die Besetzung des IWF-Chefsessels geht es auch um die Funktion der Institution bei künftigen Finanzcrashs.

Einmal ist keinmal, scheint das Motto der Bundesregierung zu sein. Nachdem der Versuch, Caio Koch-Weser an die Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu hieven, für die Bundesregierung mit einer peinlichen Niederlage endete, hat sie nun einen zweiten Anlauf unternommen, um einem Deutschen den begehrten Posten zu verschaffen.

Der neue Wunschkandidat Horst Köhler ist derzeit Präsident der in London ansässigen Osteuropabank. Das CDU-Mitglied war von 1990 bis 1992 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und wohl deshalb nicht erste Wahl für die SPD-Regierung. Von einem Deutschen an der Spitze des IWF kann sich die Bundesrepublik kaum reale Vorteile erhoffen; schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die 13 Jahre dauernde Lenkung des Washingtoner Instituts durch den Franzosen Michel Camdessus Frankreich einen materiellen Gewinn einbrachte. Berlin scheint vor allem Wert auf den symbolischen Gehalt zu legen.

Beim zweiten Anlauf gingen sie nicht weniger ruppig vor als beim ersten: Auch die Nominierung Köhlers scheint nur mit wenigen Ländern vorher abgestimmt worden zu sein. Bis Anfang dieser Woche war nicht bekannt, ob die Bundesregierung alle EU-Länder für Köhler gewinnen kann. Der portugiesische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Ant-nio Guterres erklärte zwar unmittelbar nach der Nominierung Köhlers seine Unterstützung. Und auch die Regierungen der meisten Länder der Europäischen Union, darunter die von Frankreich und Großbritannien, sowie Südkorea und EU-Kommissionschef Romano Prodi äußerten sich zustimmend. Die Regierung in Rom aber sähe wohl lieber den italienischen Finanzminister Giuliano Amato als Direktor des IWF.

Schlaflose Nächte dürften den Kabinettsmitgliedern in der Bundeshauptstadt vor allem die Reaktionen aus den USA bereiten: Die sind nämlich genauso verhalten wie nach der Nominierung Koch-Wesers, der an der Ablehnung durch die US-Regierung gescheitert war. Weder Präsident William Clinton noch Außenministerin Madeleine Albright äußerten sich bislang offiziell zu Köhler. Albright erklärte gegenüber Prodi lediglich ausweichend: »Wir haben immer gesagt, dass die USA für einen europäischen Kandidaten eintreten, der die Qualifikation hat und vom Konsens getragen wird.«

Einem Bericht der Washington Post zufolge herrscht im Weißen Haus Uneinigkeit hinsichtlich des neuen deutschen Vorschlags. Der Spiegel meldet hingegen, dass Clinton rund um den Globus telefonische Lobbyarbeit gegen Köhler betreibe. Die US-Regierung verfolge »Geheimpläne«, wonach der IWF privatisiert werden solle. Die Kredite für hilfsbedürftige Krisenländer sollten dann von den Kapitalmärkten kommen.

Indes hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse seinen Parteifreund Gerhard Schröder gegen Kritiker aus der CDU verteidigt, die dem Bundeskanzler mangelndes diplomatisches Geschick vorwarfen. Schröder habe zunächst davon ausgehen müssen, dass Koch-Weser auch Clintons Unterstützung genieße. Der US-Präsident habe die Ablehnung »erst später aus innenpolitischen Gründen nachgereicht«, zitiert ihn der Spiegel.

Die Washingtoner Regierung hatte eine Gruppe afrikanischer Staaten überredet, den derzeitigen Interimsdirektor des IWF, den US-Amerikaner Stanley Fischer, für die Wahl zu nominieren, und mit großem Eifer auf der ganzen Welt um Unterstützung für ihn geworben. Fischer und der US-Finanzminister Larry Summers gelten als eng befreundet und fördern sich gegenseitig. Nach Angaben der FAZ hat Summers bei Fischer, der früher Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) war, studiert. Seit langem versuche Summers, Fischer zu protegieren und in das Amt des IWF-Chefpostens zu befördern. Schon während des Weltwirtschaftsforums in Davos habe Summers im kleinen Kreis gesagt, dass Fischer der nächste IWF-Direktor und im Gegenzug in zwei Jahren ein Europäer Weltbankpräsident werde.

Wenn die USA zum zweiten Mal einen Favoriten von Schröder ablehnen würden, käme das einem Gesichtsverlust für die Bundesregierung gleich. Der Konflikt um Koch-Weser verleitete den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler schon zu der Bemerkung, dass das Verhalten der US-Amerikaner auf eine »allmählich offener ausgetragene transatlantische Spannungsagenda« hinweise, die über die Besetzung des Direktorenpostens beim IWF hinausgehe.

US-Präsident Clinton hatte seine Ablehnung Koch-Wesers damit begründet, dass dieser nicht profiliert genug sei. Doch diese Erklärung wirkt vorgeschoben. Die wahren Gründe für die Ablehnung Koch-Wesers durch die US-Regierung liegen wohl in den unterschiedlichen Auffassungen über die zukünftige Rolle der Washingtoner Organisation auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Europäer streben eine langfristige Einflussnahme des IWF auf die Politik insbesondere der Schwellenländer an. Camdessus wollte den IWF zur Armutsbekämpfung einspannen, was er mit der »systemischen Bedrohung« durch die Armut begründete. Er befürchtet wohl eine mögliche Beeinträchtigung der Kapitalverwertung durch die Revolten der von der Verwertung Ausgeschlossenen.

Der US-Regierung hingegen sind solche langfristigen Programme zu kostspielig. Eine vom US-Kongress eingesetzte Sonderkommission zur Überprüfung der Rolle von IWF und Weltbank hat in der vergangenen Woche ihre Ergebnisse veröffentlicht: Die Finanzorganisationen seien an der Aufgabe, ihren Mitgliedsländern in der Dritten Welt zu wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum zu verhelfen, weitgehend gescheitert. Die Mehrheit der Mitglieder der Kommission fordert daher, dass der IWF sich aus den Schwellenländern in Asien, Lateinamerika und Osteuropa zurückzieht und generell keine subventionierten Darlehen für arme Länder mehr vergibt. »Sein bisheriges kurzfristiges Krisenmanagement ist zu teuer«, heißt es in dem Bericht. Stattdessen solle sich der IWF auf die Krisenfinanzierung solcher Länder konzentrieren, die vorübergehend von den Kapitalmärkten abgeschnitten sind.

Diese Kritik ist nicht neu. Von liberaler Seite ist der IWF in den letzten drei Jahren wiederholt heftig attackiert worden. Bei den jüngsten Finanzkrisen in Südostasien und Russland habe er kläglich versagt. Statt diese seiner Bestimmung gemäß zu verhindern oder wenigstens einzudämmen, habe er sie sogar noch befördert, wenn nicht gar erst ausgelöst. Die Existenz des IWF - so die Argumentation - habe Anleger dazu ermutigt, hochspekulative Investitionen zu tätigen, denn sie hätten sich darauf verlassen, dass der IWF einen möglichen Kollaps mildere und ihre Verluste dann nicht so hoch wären. Dadurch seien riskante Finanztransaktionen getätigt worden, die die Krise herbeigeführt hätten.

Neben seiner offiziellen Aufgabe, Friktionen im internationalen Finanzgefüge zu verhindern, hatte der IWF immer auch die inoffizielle Bestimmung, die Länder der kapitalistischen Peripherie dem Kapital der Metropolen gefügig zu machen. Finanzielle Unterstützung mussten sich die Trikont-Staaten mit der Liberalisierung ihrer Märkte erkaufen. Doch seit sich alle Regierungen wie Teenager vor dem Hotel des von ihnen angebeteten Popstars verhalten und unablässig kreischen: »Liebes Kapital, bitte, bitte, verwerte uns! Beute uns aus!« könnte man diese Mission als erfolgreich abgeschlossen bezeichnen. In dieser Hinsicht hat sich der IWF überflüssig gemacht