Balkan-Konferenz in Brüssel

Der Angriff der Geber

Während die Geber-Konferenz in Brüssel weitere Aufbauhilfen für den Balkan beschließt, ist der nächste Krieg nicht weit.

Der Balkan-Stabilitätspakt, dessen Finanzierung die Geber-Konferenz vergangene Woche in Brüssel beschlossen hat, erfüllt gleich drei Wünsche auf einmal: Erstens nimmt er den Kritikern der Bombardierung Jugoslawiens den Wind aus den Segeln, zweitens hilft er, die Krisenregion ökonomisch zu stabilisieren und drittens ermöglicht er es der Nato, ihren Einfluss in dem Gebiet zu sichern.

Bodo Hombach, Koordinator des Stabilitätspaktes, jedenfalls war begeistert: Das Ergebnis sprenge »alle Erwartungen«, die Konferenz sei »ein starker Beitrag zur Vertrauensbildung« gewesen. Doch so wichtig, wie sie vorgeben, scheint der Pakt den westlichen Regierungen dann doch nicht zu sein. 4,9 Milliarden Mark haben die Geberländer und -organisationen den Staaten für die nächsten zwei bis drei Jahre zugesagt. Die Zuschüsse sollen nach Kroatien, Albanien, Bosnien-Herzegovina, Bulgarien, Mazedonien, Rumänien, Montenegro und in das Kosovo fließen sowie der serbischen Opposition zugute kommen.

Doch die rund fünf Milliarden Mark sind nicht viel, wenn man die Summe mit anderen vergleicht: Zwölf Milliarden Mark hat der Nato-Krieg von vergangenem Jahr gekostet, 33 Milliarden Mark hat die Europäische Union in den letzten Jahren schon auf den Balkan gepumpt, und weitere 35 Milliarden Mark würde nach Ansicht der EU die Beseitigung der Kriegsschäden kosten. Die US-Regierung geht sogar von rund 800 Milliarden Mark aus. Der vereinte Beitrag aus 44 Ländern wirkt erst recht bescheiden, wenn man ihn mit anderen Transferleistungen vergleicht: Etwa 1 500 Milliarden Mark hat die Bundesregierung in den letzten zehn Jahren nach Ostdeutschland geschaufelt.

Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Gelder gleich wieder an die westlichen Firmen zurückfließt, die mit der Realisierung der Projekte beauftragt werden. Die Filetstücke bei den Unternehmen im Kosovo haben sich bereits westeuropäische Konzerne unter den Nagel gerissen: Der Leiter der UN-Administration im Kosovo, der Franzose Bernard Kouchner, hatte den einheimischen Direktor von Kosovo Telekom seines Amtes enthoben, als dieser sich geweigert hatte, das Unternehmen an den französischen Telekommunikationskonzern Alcatel zu verkaufen. Ein Angebot von Siemens schien dem Kosovo-Albaner vorteilhafter gewesen zu sein. Und der Schweizer Zement-Hersteller Holderbank hat gleich die größten Zementwerke im Kosovo für zwölf Jahre gepachtet. Ein lukrativer Deal - schließlich müssen alleine 120 000 Häuser in der Region wieder aufgebaut werden.

Auch der ehemalige Kanzleramtsminister von Gerhard Schröder weiß, was sich seine Auftraggeber von dem Stabilitätspakt erwarten: »Man muss im Übrigen auch sehen, dass unsere exportorientierten Volkswirtschaften auf Auslandsmärkte dringend angewiesen sind«, erklärte er vergangene Woche in Brüssel. Drei Viertel der Hilfsgelder sind für Infrastruktur und für die wirtschaftliche Entwicklung vorgesehen.

Tatsächlich sind die versprochenen Gelder überlebenswichtig für die Länder, damit sie ihre Verkehrswege und Kommunikationssysteme wenigstens teilweise sanieren können. Denn ökonomisch ist die gesamte Region völlig ruiniert. In Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Mazedonien und Rumänien beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1 600 und 2 800 Mark. Im Kosovo gibt es heute nur noch 70 Prozent der Betriebe, die vor dem Krieg existierten. Bei den großen Unternehmen sieht die Situation noch wesentlich düsterer aus: Das Bergbau-Unternehmen Trepca beispielsweise, das Metalle fördert und früher damit das wichtigste Exportgut der Region lieferte, beschäftigte einst 24 000 Menschen. Heute sind es nur noch einige Hundert. Die Arbeitslosenquote liegt im Kosovo bei 50 Prozent, in Mazedonien sogar noch wesentlich höher.

Da die Wirtschaftsstruktur in Trümmern liegt, ist ein großer Teil der Bevölkerung gezwungen, sich um anderen Formen der Existenzsicherung zu kümmern. Wer nicht regelmäßig von Verwandten in Westeuropa einen Scheck geschickt bekommt, versucht, mit Drogenhandel, Schmuggel oder Subsistenzproduktion im heimischen Garten sein Auskommen zu finden. In den Zerfallsformen des Staatskapitalismus kehren archaische Formen der Vergesellschaftung zurück.

So zitiert etwa die britische Financial Times den von der EU und den USA finanzierten Think Tank mit dem sprechenden Namen International Crisis Group (ICG) mit der Warnung, dass das vom Krieg zerrissene Kosovo großartige Möglichkeiten biete, Drogen aus dem Mittleren Osten nach Westeuropa einzuführen. Und ein leitender Ökonom der Vereinten Nationen, erklärte kürzlich, dass Entführungen, an denen Ex-UCK-Mitglieder beteiligt seien, mittlerweile »ein großes Problem« für die Region darstellten. Auch die ICG ist überzeugt, dass sich die Rivalitäten zwischen den ehemaligen UCK-Führern bereits auf die Ökonomie ausgedehnt haben. Als Beispiel führte die ICG eine große Shopping-Mall in Pristina an, die von einem früheren UCK-Kommandeur geleitet wurde und die im Februar unter mysteriösen Umständen ausbrannte.

Etwas gesitteter geht es da noch bei den rivalisierenden Hilfsorganisationen Weltbank, Osteuropabank, EU-Ministerrat, EU-Kommission und den Institutionen des Stabilitätspakts zu. Doch auch hier macht man sich gerne gegenseitig das Leben schwer. Die EU-Kommission ist mit ihrem Außen-Kommissar Chris Patten vertreten, Ex-Nato-Chef Javier Solana sieht sich stellvertretenden für den Ministerrat für den Balkan zuständig. Kein Wunder, dass der Koordinator für den Stabilitätspakt bei dem Gerangel nicht zurückstehen will: »Ich kann recht ruppig sein«, gibt Hombach umstandslos zu. »Jeder Balkan-Experte versucht sich auf Kosten des anderen zu profilieren. Die Wiederaufbauhilfe steckt in einem heillosen Durcheinander«, zitiert die Süddeutsche Zeitung einen nicht namentlich genannten »hohen EU-Beamten«.

Damit sich die bewilligten Finanzmittel nicht sofort wieder in dieser ausufernden Bürokratie verlieren, sollen nun zwei Drittel der Gelder innerhalb eines Jahres ausgegeben werden. Diesen »Schnell-Starter-Projekten« werden innerhalb des Stabilitätspaktes größte Priorität eingeräumt. Eines der ersten Projekte, das unter der Aufsicht des Europarates durchgeführt wird, soll sich dem Umschreiben der Geschichtsbücher widmen und einseitige historische Darstellungen entfernen. Die EU will sicher gehen, dass den Schulkindern die richtige Sicht auf die Dinge vermittelt wird.

Doch es dürfte nicht lange dauern, bis die Lehrbücher wieder veraltet sind, denn der nächste Krieg in der Region scheint schon in Sichtweite zu sein. Während die UCK in Südserbien und dem Kosovo immer neue Scharmützel provoziert, hat die mazedonische Armee ihre Kontrollen an der serbischen Grenze verstärkt, nachdem Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark und Nato-Generalsekretär George Robertson die Regierung in Skopje Mitte Februar besucht hatten. Schlagzeilen wie »Gibt es wieder Krieg auf dem Balkan?« in mazedonischen Zeitungen veranlassen die Bevölkerung in den letzten Tagen zu Hamsterkäufen. Die Brücken und Straßen, deren Bau die Stabilitätspakt-Konferenz gerade beschlossen hat, werden wohl nicht lange bestehen. Vorausgesetzt, sie werden überhaupt gebaut.