Die Welt als Supermarkt

Die Welt als Super-Markt

Aus Angestellten werden Co-Unternehmer. Die New Economy untergräbt die Bedeutung der traditionellen Tarifparteien.

Harte Zeiten für die Gewerkschaften - der Kapitalismus hat sie in der Zange. Längst hat er alle Grenzen gesprengt, sich als globaler Markt etabliert und damit die nationalen Gewerkschaften immer häufiger zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Doch ebenso rasant, wie sich die Welt in einen Super-Markt verwandelt, kolonisiert der Kapitalismus auch die Mikro-Ebene - von der betrieblichen Organisation bis hin zu der scheinbar privaten Lebenswelt. Ganz individuell werden die einst machtvollen Arbeiterorganisationen unterlaufen. Die New Economy, von Bundeskanzler Gerhard Schröder heftig propagiert, macht's möglich: Aus Angestellen werden Co-Unternehmer.

Wie die meisten wirtschaftlichen Transformationsprozesse entwickelt sich auch die Neue Ökonomie zunächst vornehmlich aus den Nischen der Gesellschaft. Die Garagen-Unternehmer, die in Turnschuhen und T-Shirts die späteren Imperien der New Economy - wie etwa Microsoft oder Apple - begründeten, erzielten ihre Erfolge gerade durch ihre Ablehnung der traditionellen fordistischen Arbeitsorganisation, der strikten Trennung zwischen privater und beruflicher Sphäre, zwischen Konsum und Arbeit. Ihr Aufstieg basierte auf der Entgrenzung der verschiedenen Lebensbereiche, auf der Fusion von individueller Lebenswelt und betriebswirtschaftlicher Effizienz: Die Kreativität des ehemaligen Undergrounds erweist sich als eine entscheidende Ressource für die so genannte dritte industrielle Revolution.

In der Bundesrepublik hat diese Entwicklung erst mit einiger Verzögerung eingesetzt. Das Modell des »rheinischen Kapitalismus«, geprägt durch Sozialpartnerschaft, staatliche Regulierung und standardisierte Produktion, war zwar maßgeschneidert für die bisherige Wirtschaftsstruktur. Doch jetzt erweist sie sich gerade wegen des hohen Regulierungsgrades als unzulänglich. »Deutschlands größtes Problem ist, dass hier zu viele mit Krawatte und Anzug herumlaufen«, erklärte kürzlich Michael Dell, Gründer des Dell-Hardware-Imperiums, auf der Cebit in Hannover.

Doch auch hier hat der Underground der siebziger und achtziger Jahre viele Entwicklungen der Neuen Ökonomie vorweggenommen. Flache Hierarchien, Beteiligung am Betriebsvermögen, flexible Gestaltung der Arbeitszeiten und Schuften im Team gehörten schließlich einmal zum Selbstverständnis fast jedes »Kollektivs«.

Was sich zunächst als Rebellion der Alternativbewegung gegen die regulierte Gesellschaft definierte, hat sich spätestens mit der neuen Regierungskoalition als Mainstream etabliert. Schließlich pflegten die Grünen von Beginn an große Vorbehalte gegen die Institutionen des regulierten Kapitalismus und standen ihnen, allen voran den Gewerkschaften, skeptisch bis feindselig gegenüber.Befreit von den ideologischen Altlasten, verstehen sich heute ihre Vordenker, wie etwa Oswald Metzger oder Matthias Berninger, als die wahren Protagonisten eines deregulierten Kapitalismus. Und in der taz wird die New Economy ebenso begeistert gefeiert wie im Handelsblatt.

Dabei vollzieht die Politik nur nach, was sich auf individueller Ebene schon durchgesetzt hat. Für viele ist das Private schon längst ökonomisiert und die Ökonomie privat. »Nach Feierabend saßen wir sowieso die ganze Zeit zusammen und haben nur über die Firma geredet. Da haben wir gedacht, dass wir auch gleich zusammen ziehen können«, zitiert die Junge Karriere einen jungen Existenz-Gründer. Die Start-up-Unternehmer haben das Loft ein Stockwerk oberhalb ihrer Firmenetage eingerichtet. Das spart Zeit und Geld. Gewerkschaften sind hier ungefähr so angesagt wie Rabatt-Marken aus dem Tante Emma-Laden.

Solche Start-up-Unternehmer sind längst nicht mehr die Ausnahme. In Berlin gehen beispielsweise nur noch 50 Prozent der Beschäftigten einer abhängigen Vollzeit-Tätigkeit nach. Die andere Hälfe versucht sich als Existenzgründer oder arbeitet in prekären, ungesicherten Dienstleistungsunternehmen. In dem vergangenen Jahrzehnt hat der DGB rund ein Drittel seiner Mitglieder verloren.

Auch in den Betrieben ist die neue Ökonomie schon angekommen. So präsentiert sich VW mit seinem Zeitarbeitsmodell gerne als Konzern der Zukunft. Die Mitarbeiter können ihre Überstunden auf einem Konto gutschreiben lassen und später individuell darüber verfügen: Die geleistete Mehrarbeit wird entweder ausgezahlt oder als Zeitguthaben verrechnet. Wer will, kann früher in Rente gehen oder zwischendurch ein Sabbat-Jahr einlegen.

Die flexiblen Modelle sind auch deshalb erfolgreich, da sie zumindest teilweise auf Bedürfnisse der Beschäftigten reagieren. Während das alte Fabrik-Kommando fast ausschließlich auf Disziplinierung und standardisierten Abläufen basierte, ermöglicht die flexible Produktion nicht nur einen neuen Rationalisierungsschub, sondern individualisiert auch die jeweiligen Betriebsabläufe. Der Flächentarifvertrag wird so zu einem Relikt aus einem vergangenen Jahrhundert.

Diese Individualisierung wird noch beschleunigt durch den rasanten Boom bei der Börsenkapitalisierung. Bei dem Namen Dax dachten vor wenigen Jahren vermutlich die meisten Bundesdeutschen noch an eine ausgestorbene Tierart, wer Aktien besaß, galt als Exot. Heute ist ein Idiot, wer noch über keine Beteiligung verfügt. Noch nie zuvor schien es möglich, so schnell reich zu werden - und zwar einfach, indem man die richtige Aktie besitzt. Die öden Streitereien der Tarifparteien um ein paar Prozente erscheinen als Kinkerlitzchen, wenn sich individuell in kürzester Zeit unvergleichlich größere Gewinne erzielen lassen.

So ist es vor allem in vielen Informationstechnologie-Firmen mittlerweile üblich, zumindest einen Teil des Gehalts in Aktienoptionen auszuzahlen. Die Rechnung ist dabei so einfach wie erfolgreich. Eine Beteiligung am Unternehmensgewinn steigert die Motivation und damit die Leistung der Mitarbeiter. Dies erhöht wiederum die Wettbewerbsfähigkeit und damit die voraussichtliche Rendite. Aus Angestellten werden Co-Unternehmer.

All diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie in hohem Maße auf die individuellen Dispositionen der Beschäftigten setzten - und damit den Gewerkschaften tendenziell ihre Existenzberechtigung entziehen. Denn diese stellten zwar die grundsätzlichen Kategorien des Kapitalismus - Arbeit, Markt, Geld - nie in Frage; dennoch leiteten sie ihre Legitimation aus zwei Faktoren ab: Dass zwischen Kapital und Arbeit widersprüchliche Interessen bestehen, die vermittelt werden müssen. Und dass die Gewerkschaften als Repräsentanten der kollektiven Interessen fungieren.

Was aber, wenn diese Gegensätze nun in der New Economy zusammenfallen - und traditionelle Lohnarbeiter zu Co-Unternehmern werden? Wenn die Beschäftigten zu Volkskapitalisten mutieren, die sich zwar individuell mit dem Aktienkurs ihres Unternehmens, nicht aber mehr mit ihrer früheren Interessensvertretung identifizieren? Aus dem alten bürgerlichen Credo Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wird so die Parole life, liberty, and property.

Durchaus denkbar, dass die Zukunft der Gewerkschaften sich dann nur noch auf betrieblicher Ebene abspielt, um zum reibungslosen Co-Management zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitung beizutragen. Nicht auszuschließen, dass in absehbarer Zeit Gewerkschaften und Unternehmerverbände im Bündnis für Arbeit miteinander fusionieren.

Doch so harmonisch, wie die schöne neue Beteiligungsgesellschaft in den Reden von Bundeskanzler Gerhard Schröder oder Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt erscheint, ist sie nicht. Zwar nehmen die Konflikte zwischen den Interessensverbänden ab, wie dies vergangene Woche bei den Tarifverhandlungen zu beobachten war. Dafür entstehen neue Widersprüche, deren eigentliches Ausmaß noch gar nicht abzusehen ist.

Denn nur, wer über die entsprechende Kompetenz verfügt, erhält die Möglichkeit, schnell reich zu werden - und dazu noch die angenehmeren Arbeitsbedingungen. Diese Schicht tritt in einen verschärften Verdrängungswettbewerb mit all denjenigen, die nicht für die New Economy geeignet sind. Wer zu alt ist, nicht über die entsprechende Schlüsselqualifikationen verfügt oder einfach keine Lust mehr hat, sein Leben der permanenten Beschleunigung zu unterwerfen, hat schließlich in der neuen Shareholder-Gesellschaft nichts zu suchen. An die Stelle des Tarifkonflikts tritt die Segmentierung der Gesellschaft und die Konkurrenz aller gegen alle.