Konzern-Lifting bei der Bahn

Rail & Control

Konzernlifting bei der Bahn heißt: Outsourcen, Löhne-Senken, An-die-Börse-Gehen. Über Klassenkampf-Gefühle und den Triumph der Konsumption im Bahnhof

Natürlich. Es muss Glas sein. Glas in Verbindung mit Stahl. Das steht für Transparenz und Stärke. Glas, Stahl und historische Bauteile, das ergibt die Billigassoziation postmoderne Architektur. Und dazu ein Einkaufszentrum. Und ein Dienstleistungszentrum, die »Colonaden«. Mit dem bekannten Branchenmix aus Qualitätsimbissen, Boutiquen und Cafés. Applaus. Foto. Wolfgang Clement und Hartmut Mehdorn geben sich die Hand. Es ist Mittwoch, 29. März. Der neue Kölner Hauptbahnhof ist eröffnet. Nach der Sanierung des Leipziger Kopfbahnhofs ist in Köln das zweite Großbauprojekt von Deutscher Bahn AG und ECE Projektmanagement abgeschlossen worden. Kostenpunkt: 200 Millionen Mark. Nächste Etappe ist die Eröffnung des Hannoveraner Bahnhofs am 27. Mai, kurz vor Beginn der Expo 2000, die die Bahn für ein großes Erlebnismarketing nutzt und bei der erstmals der neue ICE-3-Typ eingesetzt werden soll - mit einem extra-teuren Zuschlag von bis zu 24 Mark.

Der Bahnpartner ECE gehört zum Hamburger Otto-Konzern. Er managt über 50 Einkaufszentren in der BRD, darunter die Potsdamer-Platz-Arkaden und die Promenaden am Leipziger Hauptbahnhof, die mit ihren 30 000 Quadratmetern Verkaufsfläche den Prototyp des postindustriellen Bahnhofs als Archipel von Konsum und Kontrolle darstellen. Seit ihrem Umbau in eine bundeseigene Aktiengesellschaft 1994 zählt die Bahn zu den wichtigsten Akteuren in der Stadtumstrukturierung. Sie sorgt für die kommerzielle Vermarktung ihrer Betriebsflächen, die Umgestaltung der Großbahnhöfe zu Malls und ihre Säuberung von Subjekten, die das alte Wärme-, Reise- und Kommunikationssystem Bahnhof zum Schlafen, Dealen oder Rollschuhlaufen nutzen wollen - Codename: 3-S »Service, Sicherheit, Sauberkeit«. Urbanistischer Horizont ist die Verlagerung der Kopfbahnhöfe in unterirdische Stationen. Pilotprojekt ist Stuttgart, wo 2021 der Bahnhof metertief unter einer neuen Landschaft von Musicalhäusern, Freizeitcentern, Wohnungen und Büros verschwunden sein soll - Kostenaufkommen für die Bahn: fünf Milliarden.

Fünf Tage vor Eröffnung des Kölner Hauptbahnhofs treffen sich Gewerkschaften und Bahn AG in einem Hotel in derselben Stadt. Gerade hatte der neue Bahnchef Hartmut Mehdorn den ArbeiterInnen die Rechnung präsentiert, die bis zum geplanten Börsengang 2004 zu begleichen sei: Einsparung von 3,6 Milliarden Mark im Personalbudget. Das entspricht den Lohnkosten von 70 000 der 240 000 Stellen. Für Mehdorn geht das so: Nullrunden beim Lohn, Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, Streichung der Sonderzulagen. Sagten die Gewerkschaften nein, würde die Bahn AG das Beschäftigungsbündnis auflösen, das Kündigungen bis 2002 ausschließt. Für ein paar Minuten mobilisierte das alte Klassenkampf-Gefühle. Mit überraschender Radikalität konterte der Chef der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED), Norbert Hansen, in Deutschland werde es Streiks geben, »wie es das Land noch nicht erlebt« habe und versprach einen Höhepunkt der Streikaktionen zur Expo-Eröffnung am 1. Juni.

Der sonst schlafende Löwe hatte so gut gebrüllt, dass das Bahnmanagement einlenkte, den betriebsinternen Beschäftigungspakt bis 2004 verlängerte und ankündigte, von Kündigungen abzusehen. In den nächsten zwei Monaten wird das Ergebnis dieser kurzen Konfrontation klein verhandelt werden. Die geplanten 3,6 Milliarden Einsparungen bei den Personalkosten sollen nun durch Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Einschränkungen bei den Zulagen erreicht werden.

Diese Einsparungen müssten dringend realisiert werden, sonst sei die Bahn in drei Jahren pleite, betonte Bahnchef Mehdorn. Bis 2004 drohen Verluste von 13,3 Milliarden Mark. Die objektive Falle, in der sowohl Bahnmanagement als auch Beschäftigte sitzen, ist die Privatisierung und Umwandlung der Bahn von einem Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft. Noch befindet sie sich zu 100 Prozent im Besitz des Bundes. Doch Mehdorns Auftrag lautet, die Bahn AG möglichst noch 2004 an die Börse zu bringen, um damit die Finanzlöcher des Bundes zu stopfen. Da das Aktienrecht eine ganz andere Buchhaltung verlangt, hätte jedem klar sein müssen, was das bedeutet: Runter mit den Kosten, Abstoßen aller unprofitablen Teile sowie Konzentration auf die Bereiche, mit denen sich Geld machen lässt. Bei der Bahn ist dies der Fernverkehr, der zu einer ICE-Rennstrecke zwischen acht bis neun Konsumcenter-Bahnhöfen ausgebaut werden soll. Das strengere Bilanzrecht einer Aktiengesellschaft führt auch dazu, dass viele überbewerteten Immobilien der Bahn nun realistisch nach Marktpreisen bilanziert werden müssen. Mehdorn sieht das Eigenkapital der Bahn wie Eis in der Sonne dahin schmelzen.

Konkret wurden von Mehdorn einige teure Repräsentationsbauten wie der Lehrter Stadtbahnhof in Berlin zusammengekürzt. Projekte wie die ICE-Strecke durch den Thüringer Wald und der Transrapid, die in der Kosten-Nutzen-Kalkulation durchfielen, wurden ganz gestrichen. Andererseits, und das ist das Ende des Anspruchs der Bahn, eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Mobilität zu leisten, werden 262 Nebenstrecken outgesourct. Die lukrativen Teile des Nahverkehrs sollen in 37 Regionalgesellschaften ausgegliedert werden. Sie bleiben zwar im Besitz der Bahn AG, bekommen aber neue Tarifverträge. Statt 65 000 Mark brutto im Jahr erhielte ein Lokführer dann 50 000. Damit wird einer der letzten fordistischen Großbetriebe zerschlagen.

Aber es geht auch deutschen Monopolkonzernen an die Pfründe: Sie werde keinen teuren Schrott mehr an einen Staatsbetrieb verkaufen können. Jüngst erhob die Bahn millionenschwere Schadensersatzforderungen gegen den zur DaimlerChrysler AG gehörenden Bahnbauer ADtrans wegen des schlecht funktionierenden Nahverkehrszugs Pendolino mit Neigetechnik. Und der Siemens AG sagte Mehdorn ins Gesicht, dass wenn sie mit den Preisen für den ICE 3 nicht deutlich herunter ginge, habe er keine Probleme, TGVs in Frankreich zu bestellen. Überhaupt gibt der bei der europäischen Airbus-Industrie groß gewordene Manager nationalen Projekten keine Chance mehr. Einen ICE 4 werde es mit ihm nicht geben, sondern nur einen gemeinsamen Eurotrain von TGV und ICE. So fährt die Bahn in Richtung deregulierte EU-Märkte. Und dafür hat sie sich jetzt extra umbenannt: von Deutsche Bahn in Die Bahn.