Immigrantenjagd in Italien

Römisches Bestiarium

In Italien starben in einer Woche sieben illegale Immigranten. Dennoch fühlt sich das liberale Bürgertum als Opfer der Fremden.

Willkommen in Italien: Kaum hatte das Boot der 20 Albaner die Küste Apuliens erreicht, nahmen Fallschirmjäger des Bataillons »Tuscania« die Einwanderer in Empfang. Zwei von ihnen versuchten zu fliehen und rannten in ein Gemüsefeld. Vergeblich: Von hinten schossen die Soldaten den Albanern in Beine und Schultern. In einer Erklärung hieß es letzte Woche, die Militärs hätten die Immigranten, die zu ihren Familien in Norditalien wollten, für Waffenhändler gehalten.

Die Schüsse auf die fliehenden Albaner bildeten den traurigen Höhepunkt einer Woche, die wie selten die katastrophalen Bedingungen der illegalen Immigranten in Italien verdeutlicht hat: Im Gegensatz zu den beiden Albanern, die die Schüsse überlebten, starben innerhalb einer Woche sieben Menschen wegen ihrer prekären Lebensumstände: Sie waren obdachlos, illegal und ohne jegliche Unterstützung.

Bei einem Feuer in einer leer stehenden Textilfabrik im Zentrum von Legnano (bei Mailand), die illegalen Immigranten als Unterkunft diente, verbrannten fünf Angehörige einer Familie aus Makedonien: ein Mann, zwei Frauen - eine davon schwanger - sowie zwei Kinder. Im Bahnhof von Neapel starben zwei vierzigjährige Polen, als der Eisenbahnwaggon, den sie sich zum Schlafen ausgesucht hatten, in Brand geriet. In Gallarate (Varese) misshandelte ein Bauunternehmer einen rumänischen Maurer, der so unverschämt war, den ortsüblichen Lohn zu verlangen. Er übergoss ihn mit Benzin und zündete ihn an.

Im römischen Stadtviertel San Lorenzo versuchten minderjährige rechtsradikale Fußballfans, einen öffentlichen Schlafsaal in Brand zu stecken. Die Stadtverwaltung hatte die Unterkunft gerade erst eingerichtet, weil in diesem Jahr bereits ein Dutzend Stadtstreicher in der Winterkälte erfroren waren. Die fünf Obdachlosen aus Moldawien und der Slowakei konnten sich durch einen zweiten Ausgang retten.

Für alle diese Ereignisse lassen sich vergleichbare Vorläufer finden. Doch die unvollständige Wochenchronik erhält nun ungeahnte Bedeutung durch eine gleichzeitig erschienene Kolumne in dem linksbürgerlichen Magazin L'Espresso. In seinem wöchentlich »Bestiarium« beschäftigt sich der liberale Journalist Giampaolo Pansa ebenfalls mit der Migration. Ihn beunruhigt jedoch weniger die hohe Rate der unnatürlichen Todesfälle unter Immigranten in Italien. Stattdessen sieht sich Pansa zunehmend selbst als Opfer der gewalttätigen Bedrohung, die angeblich von den Einwanderern ausgeht.

Der liberale Journalist Pansa erinnert ein wenig an die Figur des Kaliforniers Delaney Mossbacher in dem Roman »América (Tortilla Curtain)« von T.C. Boyle: Trotz seiner antifaschistischen Grundgesinnung bringt er Verständnis auf für den Rassismus des anständigen Bürgers. Der gesittete Rassist, wie Pansa ihn beschreibt, ist jemand, der aus der Zeitung von Massenschlägereien zwischen slawischen Flüchtlingen am römischen Bahnhof Termini erfährt. Der gesittete Rassist liest davon, dass Kosovo-Albaner, die überdies auf Kosten der Gemeinde Civitavecchia untergebracht sind, die einheimischen Jugendlichen beleidigt hatten. Eine darauf folgende Strafexpedition der Einwohner von Civitavecchia findet - zum eigenen Überraschen - seine Zustimmung.

Legt der gesittete Rassist dann die Zeitung beiseite, um einen Rundgang durch sein Viertel zu machen, sieht er mit Unbehagen die vielen Mietshäuser, in die Nacht für Nacht eingebrochen wird. Die Täter sind die gleichen Kosovo-Albaner, die auch schon seine Wohnung ausgeräumt haben. Ein gesitteter Rassist wie Pansa hört von dem friedfertigen und vernünftigen Akademiker in der Nachbarschaft, der sich eine Pistole zugelegt hat. Ein anderer soll sein Schlafzimmer und das seiner Kinder vergittern haben lassen. Ein dritter Bekannter, der einen Raub anzeigen wollte, bekam von der Polizei zu hören, dass eine solche Anzeige voraussichtlich nichts nützen würde.

Überhaupt, findet der gesittete Rassist, sei der italienische Staat viel zu tolerant. Niemand halte sich an die Gesetze und wer heute verhaftet werde, sei morgen wieder frei. Pansa ist sich sicher: »Die neue Kriminalität, und vor allem die besonders brutale, kommt aus dem Osten.« Hätte man nur wie die New Yorker einen Giuliani und dessen »Zero Tolerance«.

Seit Pansa seine neue rassistische Neigung entdeckt hat, gibt er selbst dem alten Indro Montanelli im Corriere della Sera Recht: »Es gibt Momente, in denen Toleranz zur Feigheit wird. Wer die heutige Anarchie akzeptiert, legt die Samen für den Rassismus von morgen.« Die ganze Kolumne ist auch eine Warnung an den Innenminister Enzo Bianco: Wenn die Regierung unter dem Druck der Autonomen sogar die Abschiebelager schließt, könnten wir Liberalen uns noch mit Berlusconi als Ministerpräsident und einem Previti als Innenminister anfreunden.

Es ist verblüffend, wie zynisch der Artikel von Pansa im Licht der tatsächlichen Ereignisse erscheint. Während der Kolumnist sich um seine Wohnungsausstattung und die Beeinträchtigung des bürgerlichen Wohlbefindens sorgt, ist das Leben der illegalisierten Menschen auf die nackte Existenz reduziert. Damit der kultivierte Rassist das Schicksal der einzelnen Migranten nicht mehr als nötig bemitleiden muss, schafft er sich ein Feindbild und einen Gattungsbegriff: Slawen verwandeln seine Welt und zwingen ihn in ein Getto. Gesittete Rassisten wie Pansa ignorieren die materiellen Grundlagen für die prekären Verhältnisse. Sie bringen nicht einmal die moralische Solidarität mit denen auf, die als Tagelöhner arbeiten oder von Abfällen und von der Caritas leben müssen.

Es ist zu befürchten, dass sich die Mitte-Links-Regierung durch das unverhüllte Kokettieren ihrer Meinungsmacher mit dem Rassismus beeinflussen läßt. Nach dem Feuer in der Fabrik von Legnano sprach Ministerpräsident D'Alema zwar dem einzigen Überlebenden sein Beileid aus. Er erklärte aber auch, dass der Staat auf solche Zustände streng reagieren müsse. Nun wird gerätselt, ob er dabei noch an etwas anderes als Abschieben gedacht hat.