Ermittlungen gegen Pinochet

Seitenwechsel

Mehr als 80 Klagen und ein Antrag vor dem höchsten Gericht, die mit dem Senatoren-Amt verbundene Immunität von Augusto Pinochet aufzuheben, waren den meisten chilenischen Politikern zu viel: So gewährte das chilenische Parlament seinem Ex-Präsidenten vorletzte Woche durch eine Verfassungsänderung schnell noch zusätzlichen Schutz vor Strafverfolgung. Man weiß ja nie, ob die Immunität als Senator auf Lebenszeit und die schützenden chilenischen Amnestiegesetze - von Pinochet einst selbst erlassen - ewig währen.

Pinochets Gegner fürchteten, dass der alte Putschist es mal wieder geschafft hätte. Doch werden in Chile immer mehr Stimmen gegen Pinochet laut. Selbst der neue sozialdemokratische Präsident Ricardo Lagos erklärte Mitte März: »Ich bin der Ansicht, dass jeder chilenische Staatsbürger vor ein chilenisches Gericht gestellt werden kann.« Und plötzlich erinnert man sich auch in Washington wieder an Pinochet. Es geht dabei nicht um den von Richard Nixon und Henry Kissinger installierten Diktator, der 1973 den »Vormarsch des Kommunismus« stoppen sollte, sondern um eine alte Rechnung aus dem Jahr 1976: Pinochets Rolle bei der Ermordung von Orlando Letelier und Ronnie Moffit.

Letelier, Chiles Botschafter in Washington während der Ära Allende, und seine amerikanische Sekretärin waren damals in Washington von einer Autobombe getötet worden, die Pinochets berüchtigter Geheimdienst Dina gelegt hatte. In mehreren Prozessen zwischen 1978 und 1995 wurden zwar sechs Drahtzieher des Attentats zu Haftstrafen verurteilt - darunter Ex-Dina-Chef General Manuel Contreras und sein Stellvertreter Pedro Espinoza -, Pinochet aber blieb unbehelligt. Schließlich genoss er großes Wohlwollen im US-Außenministerium und kooperierte als Washingtons Wunschkandidat für den ferngesteuerten Militär-Putsch. Besondere Unterstützung erfuhr Pinochet damals von CIA und FBI.

Nun scheinen sich die Zeiten geändert zu haben: Wie die Washington Post jüngst berichtete, sind heute beide Dienste dem US-Justizministerium behilflich, den Fall Letelier wiederaufzurollen. Bedrängt von Angehörigen der Ermordeten und ermutigt von ersten Schritten der chilenischen Justiz, habe Washington sich entschlossen, auf Pinochets Strafverfolgung nicht länger zu verzichten, sondern seine seit langem ruhende Letelier-Untersuchung wieder aufzunehmen.

Erste Annäherungen gab es bereits im vergangenen Herbst. Den chilenischen Justizbehörden wurden umfangreiche, in Washington ausgearbeitete Fragebögen übermittelt, die für 42 vom US Justizministerium ausgesuchte, potenzielle Zeugen bestimmt sind. Nach einem halben Jahr Vorbereitung hat die Vernehmung der Zeugen, zu denen auch zwei ehemalige Ex-Dina-Chefs gehören, in der vergangenen Woche begonnen.

Es gibt noch weitere Anzeichen dafür, dass Pinochet im Mordfall Letelier diesmal nicht mit den gewohnten Unschuldsbeteuerungen davonkommen wird. In Santiago ist ein seit 1978 geheim gehaltenes Dokument publik gemacht worden, in dem der inhaftierte Dina-Mann Pedro Espinoza erklärt, dass er unter Drohungen zur Lüge gezwungen worden sei. Aber selbst wenn Pinochet in den USA offiziell des Mordes an Letelier und

Moffit angeklagt wird, zu seiner Auslieferung wird es nicht kommen. An seinem »schlechten Gesundheitszustand« und den chilenischen Amnestie-Gesetzen sind schon andere gescheitert.