Neue Tarifabschlüsse und Bündnis für Arbeit

Shareholder-Proletariat

Der Tarifabschluss der Metall- und Elektrobranche in Nordrhein-Westfalen setzt neue Maßstäbe in der kapitalistischen Teamfähigkeit der Gewerkschaften.

Als am Dienstag vergangener Woche im Düsseldorfer Hotel Radisson die Zeiger der Uhr langsam auf sechs Uhr rücken, bricht ein Tag der tariflichen Harmonie an, ein Tag der symbolischen Blumensträuße und ein Tag der Einheitsfront von Glückwunsch und Gratulation: »Das ist ein Zeichen gesamtwirtschaftlicher Verantwortung«, wird Bundeskanzler Gerhard Schröder nur wenige Stunden später sagen. Und Metall-Arbeitgeber Werner Stumpfe hofft, dass in jenen frühen Morgenstunden »ein Abschluss mit Modellcharakter« getroffen worden sei. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt lobt den »Verzicht der IG Metall auf die Rente mit 60«. Und mit den Worten: »Das ist ein tragfähiger Kompromiss« begrüßt Martin Kannegießer, Verhandlungsführer der Metall-Arbeitgeber, den Tag, an dem die IG Metall in NRW auf die Rente mit 60, die 32-Stunden-Woche und fünfprozentige Lohnerhöhungen verzichtete.

Sekunden vor Ablauf der Friedenspflicht wurde wie beim Chemie-Abschluss vor zwei Wochen eine Einigung mit den Arbeitgebern eingegangen, die den Willen der Gewerkschaften unter Beweis stellt, ein guter Stürmer im neoliberalen Team zu werden. Das Shareholder-Proletariat streikt nicht. Es hat teil. Alle Player im Freundschaftsspiel zwischen Kapital und Arbeit versicherten im Laufe jenes Düsseldorfer Dienstags, dass die jüngsten Tarifeinigungen vom Geist des Bündnisses für Arbeit durchstrahlt seien. Die neue Sonne über unseren Köpfen.

Keine zwei Tage nach dem Metallabschluss in NRW konnte auch die IG Bau für die alten Bundesländer Ergebnisse präsentieren. Einzig die Gewerkschaften im Osten drohen weiterhin mit Warnstreiks, weil sie eine Angleichung an Westlöhne erreichen wollen.

Die diesjährige Tarifrunde ist gelaufen. Die mit dem NRW-Pilotabschluss für die Metall-Branche ausgehandelten drei Prozent für das laufende Jahr sowie 2,1 Prozent ab Mai 2001 entsprechen etwas mehr als dem Inflationsausgleich, jedoch keiner nennenswerten Lohnerhöhung. Die Baubranche durfte sich gar mit zwei Prozent und 1,6 Prozent zufrieden geben. Die bescheidene Teilhabe an den Gewinnen wurde zudem mit einer verdoppelten Tariflaufzeit bezahlt.

Während die Gewerkschaften in den achtziger Jahren ihre Vorstellung von tariflicher Partizipation erweiterten, gehen sie jetzt dazu über, die Bedingungen, unter denen ihre Klientel zunehmend überflüssig gemacht wird, selbst mitzuorganisieren. Waren Lohnforderungen früher noch an bereits realisierten Gewinnen orientiert, sind sie heute Vorleistungen für verbesserte Bedingungen zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit.

Weil der DGB diesen Maßstab akzeptiert hat, zugleich aber als Arbeitsplatzverwaltung agieren will, bleiben ihm nur noch kosmetische Maßnahmen. Die Gewerkschaften deshalb als bedeutungslos zu bezeichnen, wäre aber falsch polemisiert. Der DGB hat seine Existenzberechtigung als Modernisierungsfaktor in der New Economy unter Beweis zu stellen versucht. Schließlich haben die am Bündnis für Arbeit beteiligten Tarifpartner im Januar dem Kompromissvorschlag Gerhard Schröders zugestimmt und beteuert, »dass mit der Umsetzung dieser Vereinbarung entscheidende Schritte auf dem Weg zu mehr Beschäftigung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft getan werden«.

Und Schröder wäre zu Unrecht Politiker geworden, wüsste er seine Vorstellungen vom deutschen Standort nicht mit klassischen Phrasen sozialdemokratischer Allgemeinwohlpflege zu verbinden. Denn für ihn geht es im Bündnis für Arbeit um nichts Geringeres als »den Umbau der Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere der Altersversorgung»: Der mündige Bürger der neuen Zivilgesellschaft werde mehr Eigenverantwortung zeigen müssen, dafür aber vom Mitarbeiter zum Mitunternehmer heranwachsen dürfen.

Vorbild für die herbeihalluzinierte Gesellschaft der Shareholder sind die jungen hippen Unternehmen der Multimedia-Branche. Dort ist es bereits üblich, die Mitarbeiter damit zu motivieren, Teile ihres Lohns als Kapital- und Erfolgsbeteiligung anzurechnen.

Dieser Trend zur Kapitalisierung des Lohns hat jedoch gerade erst eingesetzt. So bedauerte Gerhard Schröder, dass das Ziel »einer möglichst ausgewogenen Vermögensbeteiligung« noch längst nicht erreicht sei. Der Anteil der Arbeitnehmer am »Volksvermögen«, wie es in seiner Terminologie heißt, sei bis heute nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Und nur etwa elf Prozent der Arbeiterhaushalte in Westdeutschland verfügen über Aktien - im Gegensatz zu etwa 40 Prozent in den USA.

Dass die zukünftige Beteiligung am gesellschaftlichen Reichtum, den Die Zeit letzte Woche schon als »Sozialismus der Shareholder« annoncierte, trotz allem unterschiedlich bleiben wird, verraten die Pläne der Bundesregierung. Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital soll vor allem eine neue Säule der Alterssicherung werden. Schröder: »Wir denken daran, die künftige zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge durch eine neue Zulage zu fördern.« Und was ist mit der Rente, wenn der Betrieb pleite geht? Sorry, meint Schröder, aber »eine 100-prozentige Absicherung kann es nicht geben(...).«

Wer sich in Zukunft nicht freiwillig Aktien oder sonstige Beteiligungen an produktivem Kapital besorgt, der könnte nach Schröder als Aktienhalter des jeweils arbeitgebenden Betriebes automatisch Teilhaber werden. Der Name für diese Individualisierung des Lebensrisikos lautet »Investivlohnkonzept«. Hierbei werden Teile des Lohns nicht ausgezahlt, sondern kapitalwirksam angelegt, womit gleichzeitig die eigene Rente angespart wird. Auf diese Art könnten Arbeitnehmer in Zukunft ihren Unternehmen Kredit geben, um deren Wirtschaftlichkeit sie verständlicherweise doppelt besorgt wären.

Der DGB ist an dieser Art Nachhilfeunterricht laut Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer »lebhaft interessiert«. Die Gewerkschaften wollen nämlich das Shareholder-Geschäft »nicht einfach den Banken und Versicherungen überlassen«. Für sie muss im Bündnis für Arbeit die kapitalwirksame Alterssicherung tariflich geregelt werden. Dabei soll Einfluss auf das kreditierte Kapital möglich werden. So definiert die Gewerkschaft heute erweiterte tarifliche Mitbestimmung. Gedacht wird dabei an Richtlinien für »Fonds-Manager«. Unternehmen, die Kinderarbeit fahren, sollen zum Beispiel durch gezielte »Deinvestments« monetär bestreikt werden.

»Natürlich können die Fonds nicht die Marktgesetze außer Kraft setzen«, muss Schröder klarstellen. Und damit sagt er implizit auch, dass die Interessen des Aktienbesitzers und des Arbeitsplatzbesitzers nicht identisch sind. Wem beides in der gleichen Firma gehört, muss den Kampf um wettbewerbsbedingte Entlassungen in seiner eigenen Person austragen.

Arbeitnehmerbeteiligungen bewirken für Schröder jedoch ebenso wichtige sekundäre Effekte. Produktivitätssteigerungen sollen in Zukunft nicht einfach von oben angeordnet, sondern von unten mitkonzipiert werden. Schröder nennt das »Rationalisierungspartnerschaft»: »Heute wollen die meisten Arbeitnehmer (...) dazu beitragen, dass die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens verbessert und die Kosten gesenkt weden.«

Dieser neue Grad der Identifikation mit dem Team erfordert auch ein anderes Arbeitsregime. Abgeflachte Hierarchien und ausgeweitete Gruppenarbeit. Wer sich eins mit dem Team fühlt, muss auch dafür sorgen, dass unproduktive Kosten eingespart, sprich Mitarbeiter angetrieben, verpfiffen und, wenn es nicht anders geht, entlassen werden.

Die jüngsten Tarifabschlüsse verleiten dazu, sich für gut gestrickte Verschwörungstheorien zu interessieren. Vielleicht sind die Tarifverhandlungen nur Ablenkungsmanöver. Weil sich niemand wirklich für sie interessiert, kann darin etwas viel Zentraleres durchgesetzt werden: die Subjektivität der vereinzelten Einzelnen.