Alternative Lebensformen

Mao bei Wal-Mart

Marktwirtschaft ist die Freiheit, zwischen Edeka und Wal-Mart zu wählen. Letztgenannte Supermarktkette hat vor nicht allzu langer Zeit in Neukölln, der Perle der Berliner Bezirke, eine Dependance eröffnet und erfreut sich steigender Beliebtheit bei der Bevölkerung.

Besonders am Sonnabend strömen junge und alte Neuköllner wild gestikulierend zu dem mit einem aparten Parkdeck versehenen Einkaufsparadies, als hätte die Geschäftsführung ihnen ein Begrüßungsgeld versprochen. Jugendliche mit weiten Hosen hängen hier »just for fun« in der Empfangshalle hinter den Registrierkassen rum und checken die Szene aus.

Unter Anwendung subtiler Methoden (»immer günstig«) versucht das Management, die Besucher zum Erwerb von allerlei Nahrungsmitteln und Bekleidungsstücken zu animieren. Das Tolle daran ist: Es funktioniert. Obwohl laut Statistik fast jeder Neuköllner arbeitslos ist, wird bei dem schnuckeligen Wal-Mart eingekauft wie von den vorausschauenden Mitgliedern einer Sekte, die den Weltuntergang vorhergesagt hat.

Leider bleibt angesichts des Massenandrangs auch die Verletzungsgefahr nicht aus. Ist man einen Moment unaufmerksam, weil durch das Warenangebot geblendet, bohren sich große, schwere Einkaufswagen schmerzhaft in die eigene Hüfte. Abzulehnen ist auch, dass man auf dem Weg zur Kasse die sauer erkämpften Lebensmittel durch die Abteilung für Damenunterwäsche chauffieren muss. Besonders störend aber ist, dass die Verkäuferin einem ins Gesicht niest, während man sich anheischig macht, den fairen Preis zu entrichten, den die junge Dame just von einem gefordert hatte.

Noch schlimmer als Wal-Mart sind Maoisten. Man trifft sie bevorzugt in der Kreuzberger Oranienstraße, wo sie mit possierlichen Agitationsversuchen das Herz der Passanten zu gewinnen trachten. Neulich versuchten zwei Herren im fortgeschrittenen Alter, die »revolutionären Massen«, repräsentiert durch eine sympathische Ansammlung von betrunkenen Jugendlichen, davon zu überzeugen, am 1. Mai die »revolutionäre 1. Mai-Demonstration um 13 Uhr am Oranienplatz« aufzusuchen, statt sich der »revolutionären 1. Mai-Demonstration um 18 Uhr am Oranienplatz« anzuschließen.

Betrunkene Jugendliche aber sind für derlei feingeistiges Sinnieren über die Gegenwart und Zukunft der revolutionären Sache nur sehr begrenzt zu gewinnen. Vor allem, wenn der Schauplatz des Geschehens eine Party ist, auf der zur Übermittlung der wissenswerten Informationen über die so genannten Ausbeuter-Powers eigens die Musik abgestellt werden muss. Kein Wunder also, dass der Maoismus in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt.

Vielleicht kann ja die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes helfen. Bräsige Berliner würden auf diese Art und Weise zu freundlichen, gut aussehenden und charmanten Menschen, die morgens Dosenbiertrinker, mittags Amokläufer und abends kritischer Taxifahrer sind und den ganzen Tag lang dem Maoismus huldigen. Ein klitzekleiner Eingriff würde ausreichen, um diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Notwendig wäre nichts weiter als die Entfernung des so genannten Diep-Gens, das in der Vergangenheit so viel intellektuelles Leid über die Bevölkerung Berlins gebracht hat.