Grissemann und Stermann

»Wir beleidigen immer«

Ein Satz, kein Schuss, zwei Männer: »Ich glaube, wenn man Haider derzeit stoppen wollte, dann müsste man ihn erschießen.« Zu diesem Schluss kamen die beiden Kabarettisten Christoph Grissemann und Dirk Stermann im Oktober 1999 in einem satirischen Gespräch mit der oberösterreichischen Kulturzeitschrift rödr@nner. Und das, wie sie betonen, im alkoholisierten Zustand. Für die FPÖ ist das Interview ein Fall von Anstiftung zum Mord. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet, die Satiriker wurden vorläufig ausgeschaltet: Der ORF, insbesondere der Hörfunksender FM 4, hat die beiden vom Dienst suspendiert. Grissemann und Stermann brauchen sich aber nicht zu langweilen. Bis es im ORF für sie weitergeht, vertreiben sie sich die Zeit mit Urlauben, Live-Auftritten oder bei Radio Eins in Berlin, wo sie die »Show Royale« moderieren.

Sie werden verdächtigt, zum Mord an Jörg Haider aufgerufen zu haben.

Christoph Grissemann: Nein, wir stehen weder unter Mord- noch sonst einer Anklage. Die Staatsanwaltschaft hat zwar ermittelt. Aber nicht wegen Mordes - wir haben Haider ja nicht umgebracht -, sondern wegen der Aufforderung zu einem Attentat. Aber auch dieser Vorwurf ist völlig absurd, sodass voraussichtlich gar nichts passieren wird. Das einzige, was man uns vorwerfen kann, ist, dass wir in einem Interview betrunken einen törichten Satz gesagt haben.

Würden Sie den Satz wiederholen?

Grissemann: Nein.

Wie kam die Skandal-Aussage zu Stande?

Dirk Stermann: Eine kleine Kulturzeitung hat uns im Oktober vergangenen Jahres nach einem Auftritt um ein Interview gebeten. Sie wollte mit uns über die Situation in Österreich sprechen - und zwar einmal ganz anders, kabarettistisch. Wir haben dann stundenlang geredet und viel getrunken. Das Interview wurde uns allerdings nie zur Autorisierung vorgelegt. Und erst Monate später, im Januar, haben wir erfahren, dass dieses Gespräch, das wir schon vergessen hatten, veröffentlicht wurde.

Eine Zeitung in Oberösterreich hat das Interview allerdings sehr ernst genommen und Passagen daraus zitiert. Und da klang es plötzlich so, als ob wir tatsächlich zur Gewalt aufgerufen hätten. Aber das stimmt natürlich nicht: Wir sind völlig gewaltfreie Humoristenfratzen.

Sie sind also nicht besonders ernst zu nehmen?

Grissemann: Satire bewegt sich immer auf sehr dünnem Eis. Der Witz ist voller Wahrheit, aber er überhöht und übertreibt natürlich. Satire ist immer beides: Ernst und Spaß.

Stermann: Das ist unser Job. Wir beleidigen immer - vor allem uns selber, aber auch andere Leute. Wenn man dies nicht weiß und dann einige Zitate liest, klingt das natürlich sehr aggressiv.

Und da Österreich ein kleines Land ist, bekommt dort alles sofort eine immense, eine groteske Bedeutung. In Deutschland wäre ein ähnlicher Vorfall sicherlich nicht im Bundestag diskutiert worden oder zum Thema der Hauptnachrichten aufgestiegen.

Für Satiriker ist dies doch eine traumhafte Situation - man gibt betrunken ein Interview und wird anschließend zum Gegenstand von Parlamentsdebatten.

Stermann: So ernst möchten wir gar nicht genommen werden. Vor allem, wenn es solche Auswirkungen hat. Die ersten Wochen nach dem Skandal haben uns sehr belastet.

Verstehen Sie sich als Teil des Haider-Protestes?

Grissemann: Natürlich. Es ist ja kaum vorstellbar, nicht gegen Jörg Haider zu sein. Aber ich verstehe mich nicht als politischen Satiriker. Was ich mache, hat mit Tagespolitik wenig zu tun.

Wäre die Aufregung um ein solches Interview auch vor der FPÖ-Regierungsbeteiligung denkbar gewesen?

Grissemann: Natürlich ist das Klima jetzt anders als vor zwei Jahren. Aber man darf diese Entwicklung auch nicht überschätzen. Klar, gewisse Leute bekommen jetzt Schwierigkeiten, Künstler werden die Subventionen gekürzt. Aber ich lebe immer noch gerne in Österreich und werde dort auch weiterhin bleiben.

Sie arbeiten seit drei Jahren auch in Berlin. Haben Sie noch nie überlegt, Österreich zu verlassen?

Stermann: Ich wohne freiwillig in dem Land, während Grissemann dort geboren ist.

Grissemann: Ich wohne dort auch freiwillig.

Sternmann: Aber du hast eine andere Beziehung zu dem Land. Für dich wäre es ein größerer Schritt, von dort wegzugehen, als für mich.

Grissemann: Wenn ich zwischen Berlin und Wien wählen müsste, dann würde ich natürlich immer noch Wien vorziehen. Weil dort meine Freunde sind. Es gibt zur Zeit überhaupt keinen Grund, aus Wien wegzuziehen. Das kann sich aber auch ändern.

Sind die Reaktionen des Auslands auf Österreich überzogen?

Grissemann: Sie sind auf jeden Fall gut. Ich finde es großartig, wie die EU reagiert. Aber deswegen muss man doch keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben. Nur weil in der deutschen Regierung derzeit kein Rechtspopulist sitzt, soll Österreich schlimmer sein? Das ist doch lächerlich. In Deutschland brennen Asylantenheime. Das gibt es in Österreich nicht. Und das Land hat auch großartige und schöne Seiten.

Dass Jörg Haider ein charakterloser Politiker ist, darüber brauchen wir nicht zu reden. Wenn ich aber jetzt wegen ihm das Land verlasse, würde dies doch nur meine Schwäche demonstrieren. Ich habe vor Haider nicht die geringste Angst.

Stermann: In Österreich gäbe es einen Aufschrei, wenn die FPÖ solche Parolen benutzen würde, wie dies etwa kürzlich Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gemacht hat.

In Österreich hat es schon immer eine ausgeprägt antisemitische und rassistische Stimmung gegeben. Was hat sich durch Haider verändert?

Stermann: Seit dem Antritt der neuen Regierung äußern die Leute ihre rassistischen Einstellungen offensiver. Es gab immer eine Art Common Sense, dass man die Dinge, die man denkt, wenigstens nicht aussprechen sollte. Dies hat sich verändert. Und dieser Haltung darf man sich nicht beugen. Weder in Österreich noch in Deutschland.

Also hat sich die schweigende Mehrheit jetzt auch politisch durchgesetzt?

Stermann: Das ist nur zur Hälfte wahr. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ hat eine große Aufregung provoziert, die sich nun langsam wieder zu beruhigen droht. De facto findet aber eine Art Revolution in dem Land statt.

Grissemann: Nur weil jetzt ein paar Tausende Leute auf die Straße gehen, soll das gleich eine Revolution sein?

Stermann: Das Land hat sich dezidiert verändert.

Grissemann: Das Land hat sich dezidiert gespalten.

Stermann: Ja. Vorher war es wahrscheinlich ähnlich, aber es war nicht so ausgesprochen. Und das ist natürlich auch nicht uninteressant, so etwas mitzuerleben.

Ist Haider für Sie als Satiriker eine besonders interessante Figur?

Stermann: Überhaupt nicht.

Grissemann: Natürlich ist er interessant. Wir bestreiten ja ein Teil von unserem Programm mit ihm. Er exponiert sich sehr - und jeder Mensch, der sich sehr exponiert, ist interessant für satirische Betrachtungen. Genauso, wie es Verona Feldbusch ist. Daher ist Haider im satirischen Sinne wiederum auch nicht interessanter als Dieter Bohlen.

Stermann: Satirisch betrachtet, bietet er etwa so viel wie Zlatko von »Big Brother«. Aber auch nicht mehr. Wenn mir mehr Witze über Zlatko einfallen würden, würde ich mehr Witze über ihn machen. Derzeit fallen mir noch mehr Witze über Haider ein.