Kurzgeschichten von Maike Wetzel

Firmen-Grillpartys

Das Leben ist trostlos, die Liebe auch. In Maike Wetzels unterkühlten Kurzgeschichten fehlt das Glück.

Maike Wetzel ist nicht Judith Hermann. Maike Wetzel hat rote Haare, Judith Hermann nicht. Ähnlichkeiten zwischen den beiden Autorinnen gibt es dennoch: die lakonische Sprache, die verträumten, wie abwesend wirkenden Figuren.

»Hochzeiten« ist das Best-of-Album der 25jährigen Maike Wetzel. Der Band versammelt ihre Kurzgeschichten der letzten fünf Jahre. Wetzel schreibt für das jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung und für verschiedene Frauenzeitschriften. Vor allem aber studiert sie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München und verfilmte eigene Kurzgeschichten mit Tankred Dorst. Auch die Titelgeschichte, mit der sie im letzten Jahr den Allegra-Literaturpreis gewann, ist schon im Kasten.

Es ist die Geschichte von Rosalie, deren Mutter einen marokkanischen Einwanderer heiratet. Rosalie hat einen Geliebten, den sie auch gerne heiraten würde, aber leider ist der schon verheiratet. Der Mann aus Marokko ist illegal in Deutschland und hockt den ganzen Tag zu Hause rum, die Mutter arbeitet in einer Imbissbude. In der Familie hat es verschiedene Fälle von Wahnsinn gegeben, und Rosalie will leben, bevor sie in die Klapse kommt. Vor allem will sie ein Kind, jemanden, der sie braucht und den sie braucht. Nur der Mann fehlt noch. Sie lässt nichts unversucht, um diesen Wunsch umzusetzen, und geht sogar zur Samenbank, aber auch da wird sie abgelehnt.

In einer der schönsten Geschichten, »Einmal Schweden«, verliebt sich Jule in Gunnar, der für einen schwedischen Möbelkonzern arbeitet. Er schreibt die Bauanleitung für die Abholkommoden: »Insert B into A, use C as a handle.« Sie haben Sex hinter einem Busch, und Jule könnte sich auch mehr vorstellen. Aber leider ist auch Gunnar bereits vergeben. Seine Kinder haben flachsblonde Haare, seine Frau ist einladend und freundlich: »Willkommen bei uns. Mach's dir gemütlich.« Um Gunnar dennoch nahe sein zu können, lernt sie Schwedisch und nimmt einen Job beim selben Möbelkonzern an. Aber es hilft nichts. »Jule gehörte da nicht hin. Sie war im Prospekt nicht vorgesehen.«

Maike Wetzel erzählt von Durchschnittsmenschen, die drei Schritte vom Abgrund entfernt sind. Ein kleines Glück ist es schon, wenn man einmal mit Bild in der Lokalzeitung steht. Die Personen sind teilnahmslos und zurückhaltend. Wenn sie mal miteinander reden, dann über Belangloses. Manchmal aber fallen Sätze, die ein ganzes Leben zusammenfassen, die alles sagen und selbst schon eine Geschichte sind: »Ich will mich nicht beklagen. Ich bekam, was auf der Packung stand.«

Die Erzählungen setzen da ein, wo sich die Beziehungen aufzulösen beginnen. Männer und Frauen leben in einer fragmentierten Gesellschaft und insgeheim sehnen sie sich nach Klarheit und festen Strukturen. Die Paare bleiben nur solange zusammen, bis der Nächste kommt. Die meisten sind Lückenfüller, Platzhalter, Stellvertreter, mehr nicht.

Maike Wetzels Frauen gehen mit Männern, die ihnen nichts bedeuten, die aber alles versprechen. Sie sehnen sich »nach etwas, das den Körper durchdringt«, schlafen, wie die »streichzarte« Jana, mit dem, der sich gerade anbietet, oder lassen sich ein Kind machen. Ein verzweifelter Mann geht mit der Ex ins Bett und findet es angenehm, »wenn das Reden unwichtig wird«. Eines haben alle gemeinsam: Sie sind einsam, hungrig und auf der Suche nach Liebe und Glück, obwohl das nie eindeutig artikuliert wird.

Beschrieben wird vor allem die Oberfläche, aber nicht im Stile einer Pop-Ästhetisierung, hier geht es eher um den konkreten Alltag, um das, was man sieht, hört, riecht. Maike Wetzels »Hochzeiten« sind auf Papier gebrachte Kurzfilme, die aber eher klassische Erzählungen zum Vorbild haben, als einen »Film in Worten«, wie es der amerikanische Beatnik Jack Kerouac forderte. In den Zwischenräumen wird sichtbar, was die Personen fühlen. Wetzel braucht nicht viel, um eine Stimmung zu erzeugen. Kleine Gesten reichen aus und manchmal schon ein einziges, trauriges Wort, um alles zu sagen: »Firmen-Grillpartys«.

Kann man sich etwas Schrecklicheres vorstellen als »Firmen-Grillpartys»? Die Figuren sind meist Einzelgängerinnen, sie werden von niemandem so richtig akzeptiert, halten aber aus und hoffen auf Besserung. Sie sind Lebensabschnittspartner, und der Abschnitt ist oft nicht mehr als ein kurzes Abenteuer. Sie haben genug von sich und können doch nicht voneinander lassen. Darin gleichen die Kurzgeschichten denen von Raymond Carver oder eben Judith Hermann. Die Menschen wollen etwas anderes, ein anderes Leben, einen anderen Mann oder eine andere Frau, aber sie kämpfen nicht, sie sind ganz passiv und ergeben sich ihrem Schicksal.

Der verknappte, einfache Stil erzeugt eine Atmosphäre der Verlorenheit. Auch darin sind sich die beiden Autorinnen Wetzel und Hermann sehr ähnlich. Aber: Während sich durch Judith Hermanns Erzählungen immer noch eine verträumte Hoffnung zieht, eine Aussicht auf Glück, haben sich Wetzels Figuren schon mit dem Scheitern abgefunden. Sie arbeiten in der Kaufhalle oder am Imbiss, haben einen Balkon mit Blick auf die Schnellstraße, »vor ihnen Plattenbauten, über ihnen der Himmel und davor die Autobahnbrücke«. Nicht gerade eine tolle Perspektive. Und an ihrem Zustand wird sich so schnell nichts ändern.

Was Maike Wetzel erzählt, sind dunkle Märchen des Alltags. Manche wirken wie ein Alptraum oder ein Drogenrausch, Geschichten, die so schemenhaft bleiben, dass man alles oder nichts in sie hineingeheimnissen kann. Schweden wird zum Traumland, in dem die Welt noch in Ordnung ist und der Nachbar zum König, sein Haus zum Palast, der Keller zum Verlies. Was wirklich passiert, bleibt offen. Und das macht die Geschichten so spannend. Hinter jeder Fassade gibt es eine Parallelwelt, ein Irrenhaus oder ein Meer von Autowracks.

Manche Geschichten werden ganz beiläufig erzählt, als gehe die Erzählerin das alles nichts an und als habe sie mit den Personen nichts zu tun. Maike Wetzel hält sich sehr zurück. Es ist nicht ihr Leben, das sie beschreibt, es ist irgendein Leben. So gelingt es, ein Gefühl der Kälte und Ausweglosigkeit herzustellen. »Hochzeiten« ist im Unterschied zu »Sommerhaus, später« hart und verstörend. Maike Wetzel ist eben doch nicht Judith Hermann.

Maike Wetzel: Hochzeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2000, 128 S., DM 20