Sexismus-Debatte in Berlin

Streit im Szene-Gericht

Eine Sexismus-Debatte spaltet die Berliner Antifa.
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Auf der Homepage www.antifa.de deutet nichts darauf hin, dass etwas vorgefallen sein könnte. Auch sonst war ein Jahr lang von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) nichts zu dem Vergewaltigungsvorwurf zu vernehmen, der gegen ein ehemaliges Mitglied der Gruppe erhoben wird.

Und das, obwohl der Streit um diesen Fall - zumindest in Berlin - inzwischen zu einer Spaltung der gesamten Szene zu führen scheint. Vor einigen Wochen endlich veröffentlichte die AAB in dem autonomen Szene-Blatt Interim ihr angekündigtes Positionspapier. Die Reaktionen reichen von dem Kommentar, dass »die Grenze des Zumutbaren« erreicht sei, bis zum offenen Boykott-Aufruf gegen die Vereinigung, die als mitgliederstärkste und einflussreichste Antifa-Organisation angesehen werden darf.

Im März 1999 war in der Interim ein Flugblatt erschienen, in dem eine Frau angab, drei Monate zuvor von einem Mitglied der AAB vergewaltigt worden zu sein. Der Vorwurf: »Obwohl ich ihm mehrmals gesagt habe, dass ich nicht mit ihm schlafen will, hat er mich gefickt.« Es wurden nicht nur der komplette Name und die Adresse des Täters in der Zeitschrift veröffentlicht, auch wurden rund um seine Wohnung Losungen gesprüht, es wurde versucht, in seine Wohnung einzubrechen und ihn vor seiner Arbeitsstelle abzufangen. Durchaus übliche Methoden bei Autonomen, um die Sanktion des Ausschlusses aus allen Szene-Zusammenhängen durchzusetzen.

Doch nicht nur den Vergewaltiger trafen die Reaktionen der Szene. Auch die AAB wurde heftig unter Beschuss genommen. Die Gruppe hat feste Regeln für solche Vorfälle: Zunächst wird auf einer Vollversammlung (VV) eine mündliche oder schriftliche Stellungnahme der betroffenen Frau gehört - samt ihren Forderungen an die Gruppe und den Täter. In einem zweiten Schritt holt man eine Stellungnahme des Angeklagten ein, anschließend tagen die Frauen und Männer der Gruppe getrennt, wobei die Frauen-VV über die weiteren Maßnahmen entscheidet.

Das Verfahren der AAB gilt in der autonomen Szene als Verrat, weil damit das Definitionsrecht der Frau angetastet wird. Während es in der Szene ausreicht, wenn eine Betroffene die Tat als Vergewaltigung bezeichnet, stellt die AAB durch eine objektive Erörterung des Falls, bei der auch der Angeklagte gehört wird, die Schilderung der Frau in Frage. Dies wollten einige Szene-Frauen nicht hinnehmen und stürmten mit Knüppeln bewaffnet die VV der AAB.

Die AAB wiederum erklärte, der Beschuldigte sei inzwischen aus der Gruppe ausgetreten. Daher könne es keine weiteren Sanktionen geben. Ein Jahr später ist nun ein Papier mit dem Titel »Neue Sachlichkeit« erschienen. Seitdem hat die AAB Hausverbot im Szene-Lokal »Ex« und die meisten Gruppen der autonomen Szene lehnen eine weitere Zusammenarbeit mit der Organisation ab. Selbst innerhalb der AA/BO, in der die AAB organisiert ist, kam es zum Streit. Die Braunschweiger AA/BO-Gruppe erklärte ihren Ausstieg aus der bundesweiten Organisation, weil sich die Berliner mit ihrem Papier eindeutig »auf die Seite des geouteten Vergewaltigers« geschlagen hätten. Das Verfahren der AAB wird als »Gerichtshof« kritisiert.

Das AAB-Papier offenbart, dass die Gruppe keine oder eine aus der linken Steinzeit entlehnte Gesellschaftsanalyse hat. Das Patriarchat als konstituierende Struktur der Gesellschaft kommt überhaupt nicht vor. Das gipfelt darin, dass die AAB beim Benennen von Opfern und Tätern durchgehend geschlechtsneutral von »Personen« schreibt, »um die Verwendung des Gegensatzes von Frau = Opfer und Mann = Täter zu vermeiden« - als wäre das austauschbar. Doch die AAB formuliert auch Kritik an der autonomen Szene, über die es nachzudenken lohnt. Zum Beispiel werden martialische Anti-Vergewaltiger-Kampagnen wie »Dead men can't rape!« als repressive Methode bezeichnet, die ähnlich dem bürgerlichen Diskurs um Kinderschänder auf die Einführung der Todesstrafe hinauslaufen.

Vor allem aber kritisiert die AAB, dass eine Definition von Vergewaltigung und damit eine Differenzierung von Grenzüberschreitungen von der Szene abgelehnt wird. In der Tat ist dies ein schwieriger Punkt. Dadurch, dass es allein der betroffenen Frau obliegt, eine Tat als Vergewaltigung zu bezeichnen und nur bei einer solchen Zuschreibung Sanktionen der Szene erfolgen, wird der gesamte Zwischenbereich sexueller Übergriffe ausgeblendet, der zum Teil auch aus kommunikativen Missverständnissen, psychischem Druck oder der Verletzung von Körper-Distanzen besteht.

Doch muss es nicht - so wie es unterschiedliche Abstufungen von Sexismus und Grenzüberschreitungen gibt - auch eine Abstufung von Sanktionen geben? Bestimmt nur der Grad der Wut des Opfers die Art der Sanktion? Und bestimmt in Fällen, in denen es kein konkretes Opfer gibt, nur die Willkür? Ein Beispiel hierfür ist der Fall eines Berliner Autonomen, der zugegeben hatte, sich gelegentlich beim Betrachten von so genannten Herren-Magazinen selbst zu befriedigen und dafür gewaltsam aus einer Szene-Kneipe geschmissen wurde.

Die Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg (AGiP) fordert nun »alle AAB-Mitglieder, denen es mit Antisexismus ernst ist«, auf, aus der Gruppe auszutreten und die AAB komplett zu boykottieren. Andere verweisen auf den Zusammenhang zwischen dem fehlenden Patriarchatsverständnis der AAB und ihrem Umgang mit dem Vergewaltigungsvorwurf.

Dieser monokausale Zusammenhang jedoch ist konstruiert. Auf der Basis einer Gesellschaftsanalyse, die das Patriarchat ignoriert, lässt sich zwar schwerlich linksradikale Politik machen, andererseits bedeutet der Besitz einer »richtigen« Analyse noch lange nicht, vernünftig mit Sexismus in den eigenen Reihen umgehen zu können. Das beweisen zwei Jahrzehnte autonomer Praxis. Quer durch die Republik wurde kaum eine Szene von sexistischen Vorfällen verschont und nicht selten gipfelten die in der Regel sehr hart geführten Auseinandersetzungen in einer Spaltung der Szene.

Offenbar kommt Sensibilisierung für das Thema nur über die Konfrontation mit konkreten Fällen zu Stande und muss augenscheinlich von jeder Generation neu entwickelt werden. Das muss auch der AAB zugestanden werden. Gerade deshalb ist jedoch deren Ausgrenzung der falsche Weg. Nur solange die Gruppe an einer Auseinandersetzung mit der Szene nicht vorbeikommt, sind Entwicklungen möglich.