Alexander Sinowjew als Shootingstar der Neuen Rechten

Der ewige Dissident

In der Begeisterung für Alexander Sinowjews Kritik der »Verwestlichung« ist sich die Neue Rechte einig.

Die Nouvelle Droite hat einen neuen Shootingstar. Alexander Sinowjew, ehemaliger sowjetischer Dissident, hat, nach Jahren im Münchener Exil und vorübergehender Berühmtheit durch Romane wie »Homo Sovieticus«, eine neue Berufung gefunden. Sinowjew ist zum bisher letzten Überläufer zur Neuen Rechten geworden. Und das ist kein Zufall, entspricht doch Sinowjews Leitfrage »Wohin führt die Neue Weltordnung?« haargenau deren aktuellen Arbeitsschwerpunkten. Sinowjew, so Jean Desperts im neu-rechten Blatt Eléments, sei Dissident geblieben. Der Schriftsteller sei nur ein Dissident der Ideologie des Westens geworden. Nachdem ihm die sowjetische Polizei die Staatsangehörigkeit entzogen hatte, habe ihn jetzt die westliche Gedankenpolizei der Medienpräsenz beraubt, somit die Höchststrafe verhängt.

Sinowjew macht dem Lob alle Ehre. Die französische Ausgabe seines jüngsten Buchs »Der große Bruch. Soziologie einer umgestürzten Welt« erscheint bei L'‰ge d'Homme, in einem der Hausverlage der Neuen Rechten. Und die Ausführungen des russischen Schriftstellers sind tatsächlich perfekt kompatibel mit neu-rechtem Gedankengut. »Die Sowjetunion hat versucht, das Paradies auf Erden zu errichten, aber das Ergebnis bestand darin, dass wir die Hölle auf Erden erlebten«, führt er aus, um die Kritik der einen Supermacht sofort durch die der anderen zu ergänzen. »Amerika lässt uns im täglichen Paradies des Konsums leben, errichtet uns aber zugleich die Hölle eines verwestlichten Planeten, die die Identität der Völker zerstört und die Umwelt verwüstet, indem er uns den alleinigen Gesetzen des Profits und des Super-Finanzkapitalismus unterwirft.«

Die Entwicklungen in den ehemaligen realsozialistischen Staaten seien lediglich ein Hinweis auf das, was für den gesamten Subkontinent geplant sei. »Obwohl Russland das erste große Opfer jener weltweiten Amerikanisierung ist, muss man begreifen, dass ganz Westeuropa betroffen ist. Die liberale Demokratie gehört der Vergangenheit an. Der klassische Kapitalismus ebenso. Wir befinden uns bereits in einem post-demokratischen Zeitalter: Die neue herrschende Klasse hat begriffen, dass man die Probleme der Menschheit nicht durch Demokratie lösen kann.« Diese »neue herrschende Klasse« seien die Inhaber der Medienmacht. Die Ideologie der Menschenrechte werde genutzt, um diesen neuen Super-Kapitalismus, »eine Form des absoluten, pseudodemokratischen Totalitarismus«, abzusichern.

Diese Positionen hätten dazu geführt, so Jean Desperts, dass der einstige Medienliebling Sinowjew, »dessen literarischen Werke denen von Rabelais, Gogol und Céline mindestens ebenbürtig sind«, sich heute im medialen Nichts bewege. Man habe ihm seinen »Ausweis für die Medien entzogen«.

Sinowjews Kritik der »Verwestlichung« begeistert die Nouvelle Droite so sehr, dass ihre diversen Fraktionen darüber ihre sonstigen Streitigkeiten vergessen. So unterschiedliche Vordenker der Neuen Rechten wie Alain de Benoist und Robert Steucker vergessen in ihrer Begeisterung für Sinowjew ihre Gegnerschaft. Steucker führt aus, die Verwestlichung sei in Sinowjews Augen »eine amerikanische Version einer Gleichschaltung (im Original deutsch; J. C.) der menschlichen Seele«. Die »Verwestlichung« sei die höchste Form des Totalitarismus, die Hoffnung auf eine Implosion des Systems nicht mehr als eine »naive Illusion«, da Bewegungen, die eine solche herbeiführen oder befördern könnten, einfach nicht mehr existieren. Und rege sich doch einmal Widerstand oder werde ein solcher auch nur befürchtet, dann sei wiederum die Stunde der Medien gekommen.

Vieles von Sinowjews Kritik greift auf Ansätze zurück, die zum Standard der Gesellschaftsanalyse des linken Mainstream gehören. Ob es die Klage um den Verlust des revolutionären Subjekts ist, die anti-utilitaristische Philippika gegen die »Verwestlichung der Welt« (Serge Latouche) oder die Umwälzungen durch die Ablösung der Industrie- durch die Informationsgesellschaft - all dies spielt seine Rolle auch in linker Gesellschaftskritik.

Genau dies ist ein wesentlicher Punkt der Brauchbarkeit Sinowjews für die Nouvelle Droite. Seit dem Beginn der Neunziger - seit dem Ende der UdSSR - wird dort der strategische Ansatz gepflegt, es gelte, ein Bündnis der »Kräfte der Peripherie« gegen die des »Zentrums« zu schmieden. Die linken und die rechten Kritiker des »Mondialismus« und der »Mediokratie« müssten sich zusammenschließen, um dem übermächtigen Feind Paroli bieten zu können. Auch wenn es sich lediglich um »kleine Inseln des Widerstandes« (Alain de Benoist) handle, hier liege die einzige Chance. Der identifizierte Hauptfeind wird dabei, genau wie bei Sinowjew, stets internationalisiert, ist - wenn überhaupt - im nationalstaatlichen Rahmen nicht mehr (an)greifbar.

Im Zentrum der Kritik steht nicht der Produktionsbereich, angegriffen werden die Sphären der Zirkulation, des Transfers, der Technologie und der Information. Die von Sinowjew beschriebene »virtuelle Welt« wird dabei stets mit dem Hauptfeind dieser Kulturkritik verkoppelt - den USA. Und ihre Hegemonie ist es auch, die ein weiteres Bündnis der unterschiedlichen Kräfte der Peripherie gegen das globale Zentrum, diesmal als geopolitische Überlegung, notwendig macht. Die einstige Supermacht Russland ist auf den Status eines Schwellenlandes degradiert worden. Wollen die Europäer die ihnen drohende amerikanische »Gleichschaltung der menschlichen Seele« verhindern, dann gehe dies nur als Kooperation: eine Achse Paris-Berlin-Moskau als gemeinsame Front gegen den amerikanischen Kulturimperialismus.

Die ersten Kontakte ins postsowjetische Russland hatte das neu-rechte Netzwerk Grece Anfang der Neunziger schnell wieder abgebrochen. Zu obskur erschienen selbst dort die Verbindungsleute. Der Verschwörungstheoretiker Alexander Dugin, zunächst hochgelobt, wird heute als »pathologisches Individuum« (Charles Champetier) abgetan. Sinowjew, der bereits im vergangenen Jahr den neu-rechts inspirierten Aufruf »Non ˆ la guerre!« gegen den Jugoslawien-Krieg unterzeichnet hatte, wird dieses Schicksal erspart bleiben. Er hat nicht nur seinen Ausweis als Dissident. Er erweist sich auch ideologisch auf der Höhe der Zeit.