Mord in Eberswalde

Alles nur Gewalt

Nachdem in Eberswalde ein Rechter einen Punk getötet hat, übt sich die brandenburgische Kleinstadt in alten und neuen Verharmlosungsstrategien.

Ist das Töten eines Menschen politisch motiviert, wenn der Tote ein Punk und der Täter ein Mitläufer der rechten Szene ist? Oder handelt es sich dabei um eine Schlägerei zwischen Angehörigen »verfeindeter Jugendgruppen«, die manchmal eben tödlich ausgeht?

In Eberswalde drehen sich zur Zeit viele Gespräche um solche Fragen. Am Abend des 31. Mai starb der 22jährige Punk Falco L. vor einer Bushaltestelle in der brandenburgischen Kleinstadt. Ein Streit zwischen ihm und dem fünf Jahre älteren Skinhead Mike B. endete tödlich: Durch einen gezielten Fausthieb wurde Falco L. vor ein vorbeifahrendes Taxi geschleudert, wenige Stunden später erlag er im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Das Wartehäuschen ist seitdem mit Blumen und Grabkerzen geschmückt - fast täglich stehen hier die Jugendlichen mit den bunten Haaren und treffen sich mit AnwohnerInnen. Nur wenige Hundert Meter von der Haltestelle entfernt wurde 1990 der angolanische Vertragsarbeiter Amadeu Antonio von einer Gruppe Neonazis zu Tode geprügelt, während Polizeibeamte in Zivil zusahen und nicht eingriffen.

Heute fordert, weithin sichtbar, ein Plakat des Weißen Ringes an der Rückwand der Haltestelle zu Hilfe bei Gewaltverbrechen auf: »Gegen das Vogel-Strauß-Syndrom«. Falco L. hat der Appell allerdings nicht geholfen, in der Umgebung des Bus-Stopps zog man es vor, die lautstarke Auseinandersetzung auf der Straße zu ignorieren. Erst als der Punk schwer verletzt auf der Straße lag, eilte eine Anwohnerin herbei.

Für die Eberswalder Polizei scheint der Fall schon jetzt geklärt: Mike B., der inzwischen wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge in U-Haft sitzt, habe sich von Falco L. beleidigt gefühlt, erklärt Annegret Klatt, die Pressesprecherin der Polizei. Der Täter sei zwar polizeilich als Skinhead und Schläger bekannt, über rechtsextreme Straftaten weiß Klatt jedoch nichts zu berichten. Politische Hintergründe schließt sie aus, denn Mike B. habe nicht vorsätzlich zugeschlagen. Und im Übrigen, schiebt Klett nach, sei auch Falco L. in der Vergangenheit als gewalttätig aufgefallen.

Dieser Aussage widersprechen Falcos Freunde vehement. Falco sei eher ruhig gewesen und immer zum Diskutieren aufgelegt, sagen sie. Einer von ihnen, Marc F., berichtet von dem Abend: Man habe gemeinsam getrunken und sei nicht mehr ganz nüchtern gewesen, als man sich im Bus auf den Heimweg machte. Falco soll schon beim Einsteigen mit Mike B. diskutiert und ihn auf seine eindeutig rechten Tätowierungen angesprochen haben, erzählt der Jugendliche.

Offenbar mischte sich daraufhin ein weiterer Skin, der Mike B. begleitete, in die Auseinandersetzung ein. Schon während der Fahrt sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen; dabei soll Mike B.s Begleiter auf Falco eingeschlagen haben. Um seinen Freund zu unterstützen, habe sich auch Marc F. eingeschaltet. »Danach hat Falco einfach mit Mike B. weiterdiskutiert, und ihm viele Gründe genannt, warum es dumm ist, rechts zu sein.«

Als das spätere Opfer und Mike B. gemeinsam ausstiegen, habe er Falco L. zugerufen, er solle nach Hause gehen. »Dann ist der Bus weitergefahren und ich habe nur noch gesehen, wie Mike B. auf das Haus neben der Bushaltestelle zugegangen ist, und Falco sich von ihm entfernt hat«, sagt der 21jährige sichtlich verbittert. Für ihn und seine Freunde war die tödliche Auseinandersetzung »auf jeden Fall politisch motiviert«. Die Polizei und die Lokalpresse hingegen entpolitisieren die tödliche Auseinandersetzung - »typisch für Eberswalde«, sagt einer achselzuckend.

Einig sind sich Falcos Freunde und örtliche Antifas aber auch, dass Mike B. kein Neonazi-Kader ist. Er gehörte zwar nachweislich bis zur Schließung des rechten Jugendclubs »Domizil« zur dortigen Szene. Das »Domizil« wurde von der Arbeiterwohlfahrt bis Mitte der neunziger Jahre betrieben. Hier setzte man auf »akzeptierende Sozialarbeit« mit rechten Jugendlichen. Die Klientel des »Domizil« nutzte den Freiraum auf ihre Weise und verabredete sich im Club zu Angriffen und Anschlägen.

Inzwischen gehört Eberswalde nicht mehr zu den Spitzenreitern rechtsextremer Gewalt und Organisierung in Brandenburg - das bestätigen auch linke Jugendliche und Punks. Trotzdem bleibt die Lage bedrohlich: Jüngere Rechtsextreme griffen zu Jahresbeginn mehrfach den evangelischen Jugendclub und dessen alternative BesucherInnen an. Im März verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf den afrikanischen Kulturverein »Palanca«.

Der Tod des jungen Punks ist für Kai Wendell, Mitarbeiter des Vereins Opferperspektive, der in Brandenburg Opfer rechter Gewalt betreut, vor allem »Ausdruck einer gesellschaftlichen Normalität«, mit der sich weite Teile der Bevölkerung abgefunden hätten. »Der Fall zeigt, aus welchem nichtigen Anlass unter den gegenwärtigen Verhältnissen die rechte Gewalt zum Tode führen kann.«

Solche Aussagen hört man in Eberswalde gar nicht gerne. Der Polizeipräsidentin Uta Leichsenring wird zwar durchaus Problembewusstsein gegenüber dem Rechtsextremismus nachgesagt. Aber auch sie sorgt sich um das Image ihrer Stadt. Ebenso wie Anetta Kahana, die Leiterin der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA). In Eberswalde sieht sie »viele gute Ansätze und Projekte für eine Zivilgesellschaft«.

Da passt der Tod von Falco L. nicht ins Bild. Die Zivilgesellschaft schweigt sich aus - vielleicht gerade deshalb, weil eines immer deutlicher wird: Die brandenburgischen Killing Fields sind nicht mehr nur das Territorium neonazistischer Kader. Deren Zöglinge, ganz normale rechte Jugendliche, wähnen sich inzwischen als Vollstrecker der Mehrheitsmeinung, wenn sie die gesellschaftlichen Außenseiter - MigrantInnen, Flüchtlinge und Punks - ins Krankenhaus, in körperliche und psychische Traumata oder auf die Friedhöfe schlagen und treten.