»Big Brother« und Kulturkritik

Die Müllmänner der Gegenmoderne

»Big Brother»-Hysterie, Houellebecq-Trance, Junk-Space bei Rem Koolhaas: Worst-Case-Szenarien haben Konjunktur. Über Faszination und Funktion einer depolitisierenden Kulturkritik. Eine Antwort auf Guillaume Paolis Guy-Debord-Apologetik.

Hundert Tage - das ist in der politischen Berichterstattung die Zeiteinheit, nach deren Ablauf die Arbeit einer neugewählten Regierung erstmals resümierend begutachtet wird. In einem anderen Sektor der Medienwelt bildeten hundert Tage die gesamte erste Legislaturperiode des Regimes »Big Brother«. Das Bilanzieren wurde hier bereits lange vor der ersten Sendung aufgenommen und dann Tag für Tag betrieben. Offenbar hielt man bei dieser Regierung jede Schonzeit für überflüssig.

So diente »Big Brother« vom ersten Moment an als unerschöpflicher Steinbruch der Zeitdiagnose und Kulturkritik. Das RTL-II-Produkt musste als Allegorie, Exempel, Symptom diverser Dekadenz-Phänomene herhalten: für den endgültigen Verlust der Privatsphäre, für die manipulative Macht des Fernsehens, für die Zweiteilung der Gesellschaft in Ballermann und Abitur und vieles mehr. Der Diskurszwang jedenfalls war allgegenwärtig.

Kurz vor Schluss, kurz bevor John als Sieger der 100 Tage feststand, meldete sich auch der neosituationistische Underground zu Wort. Am Beispiel »Big Brother« entfaltete Guillaume Paoli in der letzten Ausgabe der Jungle World seine recht unerbittliche These vom »integralen Sklaven«, wonach die »neue Marktdiktatur« - ein abstraktes Prinzip, das an die Stelle alter Machtinstanzen getreten sei - die »Zeitgenossen« zu einem pausenlosen Oszillieren zwischen Arbeit und Konsum verurteile; der »integrale Sklave« (ganz offenbar überwiegend männlich zu denken) befinde sich in einer nie endenden sozial-ökonomischen Schleife des Blickens und Erblickt-Werdens - zugleich als voyeuristisches Subjekt und als Objekt des Voyeurismus, »eine zu Mensch gewordene Ware«.

Wie andere Adepten des situationistischen Vordenkers Guy Debord greift Paoli auf eine Rhetorik zurück, in der die bedrückenden gesellschaftskritischen Befunde nicht in einem depressiven Tonfall, sondern geradezu triumphierend vorgeführt werden. »Big Brother« wird aufgepumpt zum Monument für die totale Vollstreckung von Debords »integralem Spektakel« sowie des kontrollgesellschaftlichen Prinzips, also des fortschreitenden und gestreuten Aufbaus einer neuen Herrschaftsform im offenen, vernetzten Milieu der Unternehmen der Neuen Ökonomie.

Und die Einsicht in diese neue Logik der freiwilligen Versklavung schleudert der Kritiker dem vermeintlich begriffsstutzigen Publikum mit dem Elan überlegener Intellektualität entgegen. Es sind vor allem Dünkel und Ressentiment, mit denen Paoli jener in der Tat Furcht erregenden Mobilisierung begegnet, die RTL und die angeschlossenen Medien organisieren, um die massenhafte freudige Akzeptanz von Überwachungskultur und von TV-Plebisziten über Wert oder Wertlosigkeit einzelner Laien-SelbstdarstellerInnen zu erreichen.

Bei allem Drive, den Paolis Pamphlet besitzen mag, wirkt die zur Schau getragene Arroganz eher hilflos. So, als versuche der Text, die Verhältnisse, über die ansonsten der Markt herrscht, wenigstens rhetorisch zu dominieren. Vergeblich, denn wesentlich mehr als »Sklaven« (alle), »Nichtigkeit« (von Talkshow-BewerberInnen), »Endprodukt der politisch-korrekten Reinigung der Sprache« (im »Big Brother»-Smalltalk) oder »widerlicher Albino« (Andy Warhol) fällt Paoli nicht ein.

Abgesehen davon, dass die hier durchklingende Kunstfeindlichkeit, der Anti-PC-Gestus und die latente Homophobie auf einen Standpunkt verweisen, der unter Kritik versteht, als totalitär interpretierte Zustände möglichst stachlig und kabarettnah anzuprangern, bedient sich Paoli beim Jargon einer Gegenmoderne, die ihr Recht auf die Pose der Illusionslosigkeit traditionell von der Verachtung der »Zeitgenossen« bezieht.

Das Sklaven-Motiv hat in diesem Diskurs seinen festen Platz. Zwei Beispiele: Nietzsche beklagte zum einen den »Sklavenaufstand der Moral« und betrachtete zum anderen die Französische Revolution als »Sklaven-Aufstand« der minderen »dunklen, schwarzhaarigen« Rasse gegen die blonde Herrenrasse. Im Zusammenhang der Soziobiologie spricht der Ultra-Darwinist Richard Dawkins (»Das egoistische Gen«) vom Menschen als »Sklaven des Genoms« (zumindest sei der Körper eine von »ihren eigennützigen Genen blind programmierbare Maschine«). Die Sklaven-Semantik bedient also entpolitisierte Top-Down-Perspektiven, vollzieht die rhetorische Fixierung des Menschen im Zustand seiner biologischen und sozialen Unterworfenheit.

Nicht zufällig empfängt Paolis Text wichtige Anregungen von Michel Houellebecq, dem Beobachter des »Menschen des Supermarkts« und Autor der Romane »Ausweitung der Kampfzone« und »Elementarteilchen« (»innerhalb kürzester Zeit in Berlin zum gierig gelesenen Manifest geworden« - so Florian Illies, Autor von »Generation Golf«, einem anderen Manifest dieser Tage, in der FAZ vom 25. Oktober 1999) - eine nahe liegende aktuelle Inspirationsquelle für Updates in Sachen Neo-Nihilismus und Massen-Verachtung.

Seit den frühen neunziger Jahren publiziert Houellebecq klassisch-antimoderne Texte, in denen Kategorien wie »Aufklärung«, »Emanzipation« oder »Freiheit« demontiert werden, da diese für die »tragische Auflösung des Menschen«, für die neoliberale Verallgemeinerung des Konkurrenzprinzips hinein in alle Bereiche des Zusammenlebens verantwortlich seien. Seine Abrechnung mit der 68er-Generation und ihren widersprüchlichen Ideen von Kollektivität und sexueller Befreiung ließ Houellebecq zum Guy Dégo-t des Millenniums werden, zu einer Figur, die allein durch ihr provozierend blasses, unaufgeregtes, sibyllinisches Auftreten werbeträchtige Aufregung auslöste.

Der französische Kulturbetrieb konnte sich dem elektrisierenden Erfolg eines dichtenden Ex-Agronomen mit essayistischen Neigungen zunächst kaum erklären. Vielleicht lag es daran, dass nicht die Verlagshäuser und Literaturkritiker diesen Autor »gemacht« haben, sondern eine Musikzeitschrift. Vor allem durch Unterstützung des auflagenstarken Popkulturmagazins Les Inrockuptibles wurde Houellebecq in Frankreich zum Star - inzwischen mit eigener CD im Serge-Gainsbourg-Nuschelsprech (»Présence humain«) und einer Filmversion des »Kampfzone»-Buchs.

Die zumeist männlichen, studierenden Leser von Les Inrockuptibles schätzen melodisch-melancholischen Indie-Poprock von Jay-Jay Johanson oder Jeff Buckley ebenso wie Literatur, die ihnen ihren Weltekel zwischen Seminar und Werbeagentur legitimiert. Wie dieser Weltekel mit der Verehrung von Pierre Bourdieu und der Unterstützung der Migranten-Organisation Sans Papiers - zwei weiteren Schwerpunkten des Magazins - harmoniert, kann man nur ahnen. Aber ideologisches Multi-Tasking gehört eindeutig zu den habituellen Merkmalen eines flexibilisierten Intellektuellentypus.

Im Text von Guillaume Paoli ist Houellebecq neben Hegel, Erich Maria Remarque und Guy Debord der einzige Autor, der namentlich erwähnt wird. Eine eindrucksvolle und disparate Versammlung, natürlich auch eine unvollständige, zumindest dann, wenn man den Kontext einer Gegenmoderne, in der sich Houellebecq und seine Bewunderer bewegen, etwas weiter fasst.

Anfang Mai 2000 setzte der Bürgerschreck sich auf ein Podium mit Figuren wie Peter Weibel und Peter Sloterdijk, die vermeintlich jenen Kloning-&-Eugenik-Phantasien nahe stehen, denen Houellebecq am Ende seines Romans »Elementarteilchen« die Zügel schießen lässt: So findet Weibel, der Leiter des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), dass »der Körper« ein »Programm« sei, »das sich selbst umschreiben« könne; und von Sloterdijk kennt man die Thesen zur »optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion« aus seinem sattsam berüchtigten Vortrag über die »Regeln für den Menschenpark« von 1999.

Wie der Titel von Sloterdijks Text andeutet, kann man hier neben allen möglichen (und zur Genüge durchgehechelten) Aussagen über Züchtung und Zähmung auch von »Menschenhaltung in Parks und Städten« lesen. Da scheint eine Perspektive auf, die einen zoologisch inspirierten Disney-meets-Expo-Blick auf die Organisation der Menschheit wirft und die auch für die Optik eines gewissen kapitalismuskritischen Kulturpessimismus reizvoll zu sein scheint.

Aber offenbar bemühten sich Houellebecq, Sloterdijk und die anderen bei der ZKM-Tagung zur »Konstruktion des Humanen« um eine freundlichere, leichtere Vision von Menschen-Zoo und Posthumanismus. Wie die Zeit schrieb, tanzte am Ende lediglich »die Option, die Moderne nebenbei amüsant zu Grabe zu tragen«, durch den Saal.

Nun ist die Beerdigung der »Moderne«, wie amüsant auch immer in Szene gesetzt, wiederum eine Lieblingsbeschäftigung linker Kulturkritik, wo sie mit ihrem »Realismus« renommieren geht, der nach dem umfassenden »Kollaps der Modernisierung« nebst umfassendem Triumph des »wunderbaren Kapitalismus« (Robert Kurz) einzig angebracht sei. Es hat sich ein ironisches Verhältnis zur Moderne herausgebildet, die irgendwie mit »Habermas« in Verbindung gebracht wird oder auch mit »68«, und die man wahlweise verniedlicht oder dämonisiert, in jedem Fall aber abgeschrieben hat.

Dabei schillert das Spektrum der im weitesten Sinne als »gegenmodern« zu bezeichnenden Positionen etwas mehr, als die bisher genannten Autoren und Motive annehmen lassen: Zum einen ist der Begriff der »Moderne« alles andere als eindeutig. Ob darunter die Tradition von Aufklärung und Universalismus mit ihren jeweiligen kulturellen Abteilungen verstanden wird oder beispielsweise ein künstlerischer Modernismus, der die Trauer über den Verlust des revolutionären Subjekts und das Ende der Geschichte reflektiert, bestimmt die Bedeutung von »Gegenmoderne« grundlegend.

Im besten Fall ist das Verhältnis zu »Moderne« und »Modernismus« mehrdeutig, denn diese Mehrdeutigkeit allein wäre realistisch.

So scheint sogar Michel Houellebecq ein heimlicher Dichter des kristallinen modernistischen Moments zu sein. Ein »eingefleischter Antiliberaler« (Selbstaussage) zwar, aber wohl gerade deshalb mit einem Sinn für das »Tragische« in der Existenz der »Menschen ohne Zuhause«.

In einem Text von 1993 schwärmt Houellebecq von dem »fast hypnotischen Gefühl, das uns überfällt, wenn wir vor einer starren Form stehen (...), wie etwa die stehenden Wellen an der Oberfläche einer Pfütze«. Das ist der Kitsch, zu dem auch ein Film wie »American Beauty« Zuflucht nimmt, der in vieler Hinsicht - vom mitleidig-gnadenlosen Blick auf die Erbärmlichkeit der Protagonisten bis zu seinen homophoben und misogynen Aspekten - eine (wenn auch reichlich dumpfe) Umsetzung der ästhetischen Maximen Houellebecqs darstellt: das Videobild einer im Wind tanzenden Plastiktüte als poetische Suspension von Handlung und Sinn.

Ist das der Ausdruck der »metaphysischen Ungewissheit«, von der Houellebecq 1995 spricht, als er über eine »Utopie der Verweigerung«, über die »kalte Revolution« nachdenkt, die einfach darin bestehen würde, »reglos zu werden»?

Das vielleicht erschütterndste Bild der 100 »Big Brother»-Tage kam nicht aus dem Container in Hürth, sondern wurde von einer BZ-Neue Revue- Sat.1-Schnüffelallianz aus der Wohnung der Kandidatin Sabrina übermittelt: Das Foto ihres völlig vermüllten Appartements in Köln-Rodenkirchen suspendierte im Zusammenspiel mit Informationen über Sabrinas Schuldenlast für einen Moment die Dynamik des Endemol-Fernsehens. Unsichtbare Schlagzeile: »Realmüll hebt TV-Trash auf!« Verwahrlosung als tragische Kehrseite eines prolligen Oberflächengewitters. Houellebecq hätte seine Freude an dieser »Revolution«, die allerdings nicht so »kalt« (im Sinne von: cool) sein dürfte, wie er es sich ersehnt.

Wenn »Sklaverei« das gegenmoderne Bild einer politikfreien Selbst-Unterdrückung nach dem Ende der Geschichte ist, dann findet sich in der Rede vom »Müll« sein Pendant: »History is bunk« - »Geschichte ist Müll« lautete die Parole von Henry Ford, der sich, kaum verwunderlich, von allem Geschichtlichen reinigen wollte, um die Reibungslosigkeit des Produktionsprozesses zu gewährleisten.

Weniger auf Effizienz bedacht denn als Signatur für den Untergang funktioniert das Müllige dagegen in der modernen und postmodernen Literatur: Von T.S. Eliots »The Waste Land« bis zum Mülleimermann in Stephen Kings »The Stand« ist der Müll die Leitmetapher für das Ende nach dem Ende, für die Agonie nach der Apokalypse.

In letzter Zeit erlebt nun das Müllige in seinen verschiedenen Bedeutungsnuancen eine erneute Konjunktur: Junkmail, »Abfall für alle« oder die penetrante musikjournalistische Suche nach dem Schlüssel zum »white trash« in Werk und Person des Rappers Eminem - alles Beispiele der grassierenden Faszination für das Überschüssige, Verbrauchte, Toxische als Stoff der De-Politisierung?

Auch für Rem Koolhaas, den Urbanisten und Architekten aus Rotterdam, steigt der Müll zum Meister-Signifikanten auf. In einem »Junk-Space« betitelten, manifesthaften Text, dessen deutsche Fassung in der April-2000-Ausgabe der Zeitschrift arch+ erschienen ist, entwirft der Superstar der globalen Architekturszene in einer Kette furioser Redundanzen das Szenario einer Weltgesellschaft jenseits von Architektur, Geschichte, Moderne: »Junk-Space ist das, was nach der Modernisierung übrig bleibt, oder, genauer gesagt, das, was gerinnt, während die Modernisierung stattfindet, ihr Fallout.«

Junk-Space wäre danach die Gesamtheit des Gestalteten und Entwickelten, eine ungesunde Topografie aus Gebäuden, Technologien, Praktiken, die sich fortwährend ausbreitet, um das Unvorhergesehene abzuschaffen: Shopping-Malls, Talkshows, Rolltreppen, Franchise-Unternehmen, Transiträume, Monitore, Konsumtionsakte, kurz: ein »minderwertiges Purgatorium«, »Konsum-Gulags (...), demokratisch über den ganzen Erdball verteilt« (Koolhaas).

Rem Koolhaas begibt sich in seinen diversen Worst-Case-Szenarios in die Pose eines Unmenschen, eines nietzscheanischen Monstrums. Näher können sich Popkultur, emphatischer Anti-Modernismus und Architektur in Gestalt eines intellektuellen Urbanisten kaum kommen. Der turnusmäßige Provokateur von Irritation und Skandal ist ein perfekter Guru des diffusen Dagegen.

Koolhaas, dessen Vorlesungen und Vorträge regelmäßig überfüllt sind, weil er die unangenehmen »Wahrheiten« über den Niedergang so packend erzählt, ist in seiner Selbstinszenierung das hyperaktive Komplement zum phlegmatisch-sinistren Houellebecq, 68er-Schmähung inbegriffen: »Das Gute ist keine Kategorie, die mich interessiert«, wird er begeistert in Wired zitiert; fälschlicherweise sei er mit der Gegenkultur in Verbindung gebracht worden, dabei habe er auch in seiner Studienzeit, Ende der sechziger Jahre in London, nichts mit Flower Power und »ewigem Humanismus« zu tun haben wollen.

Das 1350-seitige Buch »S, M, L, XL« von 1995, eine Gemeinschaftsproduktion von Koolhaas, dem Designer Bruce Mau und Koolhaas' Office for Metropolitan Architecture (OMA), ist die zum Coffeetable-Ziegelstein verbackene Philosophie eines pathetischen Verächters der Verantwortungsethik: »Wir müssen verrückte Risiken eingehen; wir müssen uns trauen, vollkommen unkritisch zu sein. (...) Die Gewissheit des Scheiterns muss unser Lachgas, unser Sauerstoff sein (...). Da wir nicht verantwortlich sind, müssen wir unverantwortlich werden.« Der Zusammenbruch von Ordnung und Infrastruktur in Riesenstädten wie Lagos (Nigeria) ist für Koolhaas das Anschauungsmaterial für seine Theorie des weltweiten, endlos produktiven Müll-Kontinuums, ein Modell für die Vernichtung jeder Relevanz, die die Moderne einmal besessen haben mag, aber auch Modell für konkrete Maßnahmen.

Denn natürlich gibt es wie bei Houellebecq auch bei diesem Doom-Master ein (wenn auch funzeliges) Licht am Ende des Tunnels: Das Unangenehme seiner Szenarien sei von ihren Zwecken nicht zu trennen, sagt Koolhaas. Die Entscheidung liege zwischen aktivem Ekel und passivem Verstummen.

»Frieden« lautet das letzte Wort in Don DeLillos gegenwartsdiagnostischem Roman »Unterwelt« (1997), der ebenfalls auf die Müll-Metapher setzt: »Vielleicht empfinden wir Ehrfurcht vor Müll, vor den erlösenden Eigenschaften der Dinge, die wir gebrauchen und wegwerfen.« Die schiere Langlebigkeit von Müll quält den Protagonisten, einen Müllexperten: »Trotz aller bedrohlichen Wucht und Fülle des Materials, trotz der tatsächlichen, pulsierenden Sache« sei diese Zähigkeit nicht greifbar.

Im Angesicht des ewigen Mülls entsteht die Melancholie, die einen dem »Frieden« näherbringt, den DeLillo dann aus einer humanistischen Ecke seiner Imagination wie einen Geist aus der Maschine hervorzieht. Sicherlich ist eine solche melancholische Haltung mit Aussicht auf Seelenruhe dem biotechnologischen Pragmatismus vorzuziehen, der andernorts zur Auflösung der »Menschheit« im totalen, klinisch reinen Müll aufgeboten wird. Andererseits ist diese Haltung auch nicht viel mehr als die sympathischere Alternative zu jener »Sklaven»-Rhetorik, die sich in der Totalität der Verhältnisse einrichtet und von dezisionistischen Akten des »Vandalismus« träumt.

Die Frage ist und bleibt: Wie kann der affektive Gehalt der fasziniert-melancholischen Müll-Schau von einer künftigen, re-politisierten Kulturkritik aufgegriffen werden, ohne dass am Ende bloß wieder der betäubende Charme der Aussichtslosigkeit wartet?