Brandenburger Hausbesetzer

Disneyland in Potsdam

Innenminister Jörg Schönbohm testet im Feldversuch das Brandenburger Polizeigesetz. Nach Häuserräumungen fliegen im preußischen Freizeitpark die Fetzen.

Im nächsten Jahr ist Bundesgartenschau und Preußenjahr. Da muss Ruhe sein«, fordert der Potsdamer CDU-Kreisvorsitzende Wieland Niekisch. Bis dahin sollen alle besetzten Häuser der Stadt geräumt und der »linksradikale Sumpf« in Brandenburgs Hauptstadt trockengelegt werden. Doch als die Polizei am 1. Juni einen ersten Schritt in die richtige Richtung tun wollte und das Kulturzentrum Boumann's räumte, ging es erst richtig los. Der Polizeieinsatz, bei dem ein mit Sturmhauben maskiertes Sondereinsatzkommando 39 Jugendliche in Gewahrsam nahm, löste eine Welle von Protesten aus.

Phantasievolle Aktionen wie die Entglasung von Bankfilialen und die farbliche Gestaltung des Grabmals Friedrichs des Großen am Schloss Sanssouci gehörten ebenso dazu wie Demonstrationen in der Innenstadt.

Seitdem kämpft die Polizei mit aller Gewalt gegen die Gewalt, die sie selbst provoziert hat. Bis zum letzten Wochenende wurden 109 Jugendliche in Gewahrsam genommen. Nach Auflösung einer Kundgebung sprach die Polizei Sonntag vor zwei Wochen »Innenstadtverbote« für in Postdam gemeldete und »Stadtverbote« für angereiste DemonstrantInnen aus. Vor besetzten Häusern zogen teilweise mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizeikräfte auf.

Sekundiert von den lokalen Medien, überbot sich CDU-Hardliner Wieland Niekisch selbst: Er habe jetzt genug von den »bürgerkriegsähnlichen Zuständen«. Von SPD-Oberbürgermeister Matthias Platzeck forderte er, dass die »jahrelange Duldung von Rechtsbruch und Gewalt« beendet werde. Mit der Tolerierung von Hausbesetzungen müsse »Schluss sein«. Erst als Niekisch den Glasbruch bei fünf Banken mit der »Reichskristallnacht« verglich, pfiff ihn Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zurück.

Der Schaum vor dem Mund des CDU-Kreisvorsitzenden und die dramatische Inszenierung der Polizeieinsätze sind Hinweise, dass es in Wirklichkeit um viel mehr geht als um die Räumung des letzten Dutzend besetzter Häuser. Ihre BewohnerInnen führten in den letzten Jahren, mit Ausnahme von einzelnen Räumungsaktionen, ein beinahe idyllisches Leben. Sie wurden von der Stadt geduldet und stellten längst nicht jene Gefährdung der Inneren Sicherheit dar, die man jetzt zu bekämpfen vorgibt.

Tatsächlich scheint Innenminister Schönbohm mit den Polizeieinsätzen die Öffentlichkeit auf die geplante Novellierung des Polizeigesetzes in Brandenburg einstimmen zu wollen. Und die Potsdamer CDU versucht mit dem neopopulistischen Thema »Innere Sicherheit« aus ihrem kommunalen Schattendasein als marginale parlamentarische Randgruppe herauszutreten. Bei den letzten Stadtverordnetenwahlen 1998 errang sie gerade einmal 12,9 Prozent. Im Vergleich zu den 39,3 der SPD und den 32 Prozent der PDS eine Demütigung.

Doch seitdem der Partei letztes Jahr unter dem Vorsitz des ehemaligen Berliner Innensenators und Ex-Bundeswehrgenerals Jörg Schönbohm ein Erfolg auf Landesebene gelang und die CDU mit der bisher allein regierenden SPD eine Große Koalition bildete, wollen auch Potsdams Christdemokraten hoch hinaus.

Wer ein Polizeigesetz verschärfen will, muss beweisen, dass das alte zu lasch ist. So ist zu verstehen, dass die Polizei in den vergangenen Tagen zum ersten Mal in großem Maßstab vom viertägigen Vorbeugegewahrsam Gebrauch gemacht hat, der bei einer Verschärfung des Polizeigesetzes 1996 noch unter SPD-Innenminister Alwin Ziel durchgesetzt wurde. Gegen 21 Festgenommene ordnete das Amtsgericht Präventivhaft an. Dabei reicht der Verdacht, eine Person könnte potenziell Straftaten begehen.

Ohne die bisherigen Möglichkeiten des Polizeigesetzes wenigstens einmal auszuschöpfen, könnte Innenminister Schönbohm in den nächsten Wochen wohl kaum einen weiteren Verschärfungsvorstoß im Landtag einbringen. Geplant sind unter anderem die Videoüberwachung öffentlicher Plätze und der »finale Rettungsschuss«. Ist Brandenburg bereits jetzt in der Topgruppe der Länder mit den härtesten Polizeigesetzen, dürfte es nach der Novellierung, die von der Großen Koalition unter Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) noch dieses Jahr beschlossen werden soll, einsame Spitze sein. Die Rede von HausbesetzerInnen, die die Bundesgartenschau stören und 2001 das Preußenjahr versauen, in dem die preußische Staatsgründung vor 300 Jahren gefeiert werden soll, ist bei diesem ambitionierten Vorhaben nur unterstützende Begleitrhetorik.

Die Potsdamer HausbesetzerInnenszene stellt für die städtischen Verhältnisse eher ein Image- und Repräsentationsproblem dar. Seit Jahren versucht die Stadtverwaltung aus der ehemaligen Residenzstadt ein touristisches Disneyland des Preußentums zu machen. Die Schlösser, die riesigen Parkanlagen, der Innenstadtbereich und viele der Jugendstilvillen entlang der Seen wurden in den letzten Jahren aufwendig saniert. Dabei stört, dass die Stadt mit Weltkulturerbe Anfang der neunziger Jahre wegen mehr als fünfzig besetzter Häuser auch einen Spitzenplatz in der europäischen Subkulturrangliste belegte.

Eine Reihe von Faktoren sorgte dafür, dass die linke Jugendkultur in Potsdam bis heute eine beachtliche Kraft ist. Bereits zu DDR-Zeiten besetzten Jugendliche zahlreiche Wohnungen und Häuser im Innenstadtbereich, die die Kommunale Wohnungsverwaltung vor sich hin rotten ließ. Im Verwaltungschaos der Nachwendejahre, als der alte Staatsapparat aufgegeben und der neue noch nicht effektiv strukturiert war, wurde das Besetzen zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung handwerklich begabter Jugendlicher, die am Traum einer befreiten Gesellschaft trotz Wiedervereinigung und Naziterror festhielten.

Im Gegensatz zu Berlin-Friedrichshain war der Zustrom von Westlinken aus reaktionären süddeutschen Provinzen eher gering. So blieb im Potsdamer HausbesetzerInnenumfeld ein Identitätsgefühl erhalten, das sich aus einer lokalen Spezifik speist. Dazu gehört, dass die Szene sich nicht in sich selbst zurückzog, sondern als politischer Faktor in der Stadt auftrat. Die Legitimität, Häuser zu besetzen, war weithin akzeptiert - ganz einfach deshalb, weil viele MieterInnen sich selbst mit der Bürokratie der städtischen Wohnungsbaugesellschaft herumschlagen mussten. Dazu kam, dass die Rückübertragung zahlreicher Häuser an WestbesitzerInnen und die folgende Sanierungswelle für viel Unmut bei den PotsdamerInnen sorgten. Ostidentität stellte so eine Klammer zwischen BesetzerInnen und vielen normalen MieterInnen her.