Bürgerkrieg in Sri Lanka

Panik vor den Tigern

Mit Selbstmordattentaten und militärischen Erfolgen haben die Tamil Tigers Sri Lankas Regierung in Bedrängnis gebracht. Die verhängt den Notstand und setzt auf eine Internationalisierung des Konfliktes.

Seit ihrem Beginn hat die Operation »Oyatha Alaigal« (Unaufhörliche Wellen) ihrem Namen alle Ehre gemacht. Ein Jahr lang hatte die tamilische Separatistenorganisation Befreiungstiger von Tamil-Eelam (LTTE) in den Dschungeln im Norden Sri Lankas ausgeharrt und auf militärische Operationen verzichtet. Im vergangenen November schlug sie wieder zu, stärker als je zuvor: Binnen einer Woche vertrieb sie die Armee aus der Wanni-Region, für deren Eroberung die Regierungstruppen zwei Jahre gebraucht hatten. Schätzungsweise 1 000 Soldaten fielen der unerwarteten Offensive zum Opfer, die LTTE erbeutete zahlreiche Waffen. Nie zuvor in der Geschichte des Bürgerkriegs hatten die Tamil Tigers einen vergleichbaren Erfolg verbuchen können.

Ende April erlebte die Armee eine weitere Katastrophe: Der strategisch wichtige Elefanten-Pass, der die Jaffna-Halbinsel mit der Nordprovinz verbindet, fiel in die Hände der LTTE. Deren Führer boten zwei Wochen später großmäulig einen Waffenstillstand an, um die Evakuierung der auf der Halbinsel eingeschlossenen Soldaten zu ermöglichen. Seither tobt ein Kampf um die Stadt Jaffna, die von den Rebellen als kulturelles Zentrum der Tamilen betrachtet wird.

Die Erfolge mögen angesichts des ungleichen Kräfteverhältnisses auf den ersten Blick überraschen: Sri Lanka ist eine der militarisiertesten Gesellschaften der Welt, jeder 162. Bürger trägt eine Uniform. Die Militärausgaben machen mit jährlich 850 Millionen Dollar ein Drittel des Staatshaushaltes aus; 120 000 Soldaten stehen 7 000 bis 12 000 LTTE-Kämpfern und -Kämpferinnen gegenüber, unter denen auch zahlreiche Kinder sind.

Doch die Kampfmoral in der Armee ist denkbar schlecht. Vielfach sehen sich die Soldaten für politische Zwecke missbraucht. So hatte das November-Debakel seine Ursache darin, dass die politische Führung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen mit Erfolgen glänzen wollte und eine Militäroperation vorantrieb, deren Misserfolg absehbar war. Bis zu zwanzig Prozent der schlecht ausgebildeten Soldaten ziehen die Desertion dem Kampf vor. Anders als früher umzingelt die LTTE die Armee-Einheiten nicht mehr, sondern lässt stets einen Fluchtweg offen.

Auf der anderen Seite stehen hoch motivierte Kämpfer. Selten gelingt es der Armee, einen der Partisanen gefangen zu nehmen - sämtliche Tiger tragen Zyankali-Kapseln um den Hals. Seit 1987 hat die LTTE mehr als 180 Selbstmordanschläge verübt. Im Dezember erblindete die derzeitige Präsidentin Chandrika Kumaratunga nach einem Anschlag auf einem Auge, und letzte Woche starb der Industrieminister Clement Victor Gunaratne zusammen mit 22 weiteren Opfern bei einer Explosion in Colombo am »Tag der Kriegshelden«.

Die LTTE dürfte mit ihrem Arsenal an Artillerie, Panzern, Boden-Luft-Raketen und Raketenwerfern eine der bestausgerüsteten Guerillas der Welt sein. Eine genaue Kenntnis des Geländes und die Sympathien in der tamilischen Bevölkerung, die in den fünf Jahren der Armeeherrschaft unter permanenten Ausgangssperren stand, verschaffen den Tigern beträchtliche Vorteile.

Beobachter gehen deshalb davon aus, dass es höchstens eine Frage von Wochen ist, bis die 25 000 bis 40 000 Regierungssoldaten Jaffna aufgeben müssen, auch wenn es der LTTE derzeit nicht gelingt, weitere Schlüsselpositionen zu erobern. Allerdings lässt sich die tatsächliche militärische Lage wegen der Pressezensur nur schwer einschätzen.

Der Kampf der LTTE ist eine Reaktion auf den singhalesischen Nationalismus, der 1956 mit dem Wahlsieg von Sirimawo Bandaranaike begann und in den darauf folgenden Jahrzehnten zur Unterdrückung der Tamilen führte, die mit 3,2 Millionen 18 Prozent der Bevölkerung stellen. Wie die Tiger ihrerseits mit Minderheiten umgehen, machten sie 1990 deutlich, als sie nach der zweiten Eroberung Jaffnas Singhalesen und tamilische Muslime von der Halbinsel vertrieben.

Nach dem Attentat auf den Industrieminister in der letzten Woche warfen Mitglieder der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit Steine auf Geschäfte von Tamilen. Dies weckt böse Erinnerungen an 1983, als Singhalesen Hunderte von Tamilen ermordeten und 100 000 Tamilen nach Indien flohen. In der Folge unterstützte Indira Gandhis Regierung die LTTE mit Waffen und bildete Kämpfer aus. Anders als damals scheint Colombo die Ausschreitungen diesmal allerdings verhindern zu wollen.

In der Hauptstadt macht sich angesichts der militärischen Krise Panik breit. Die Regierung von Kamaratungas Volksallianz hat den Notstand ausgerufen und verfügt daher über die Möglichkeit weitreichender Festnahmen, kann Eigentum beschlagnahmen und Zeitungen schließen. Die Pressezensur wurde mit dem Verbot von Live-Berichten verschärft. Ende Mai löste die Polizei eine Demonstration gegen die Einschränkung der Bürgerrechte mit Tränengas und Schlagstöcken auf.

Sämtliche »nicht-essenziellen« Staatsausgaben wurden zu Gunsten des Verteidigungshaushaltes eingefroren. Es begann ein hektischer Waffenkauf in Pakistan, China und Israel. »Befreundete Staaten« wurden aufgerufen, bei der Lösung des Konfliktes zu helfen, den Sri Lanka jahrelang als »innere Angelegenheit« bezeichnet hatte.

Wie auch immer die gegenwärtigen Kämpfe ausgehen mögen, einen Sieg kann wohl keine der Seiten erringen. Zum dritten Mal hat die LTTE nun die Halbinsel erobert und dürfte langfristig die gleichen Schwierigkeiten haben wie die Armee, das Gebiet zu halten. Der Versuch der Regierung, dem Konflikt mit einem »war for peace« ein Ende zu machen, ist, wie die gegenwärtigen Entwicklungen zeigen, aussichtslos.

Eine Verhandlungslösung scheint daher der einzige Weg. Doch keine der beiden Seiten ist bereit, aus einer Position der Schwäche zu verhandeln. Die LTTE hat klar gemacht, dass sie erst zu Gesprächen bereit ist, nachdem sie Jaffna erobert hat. Zudem kann ausgeschlossen werden, dass sich der LTTE-Chef Velupillai Prabakaran auf einen Kompromiss jenseits eines souveränen Eelam einlassen wird, eine Position, von der die Tamil Tigers seit ihrer Gründung Anfang der siebziger Jahre nie abgerückt sind.

Die Regierung lockt damit, die Rechte der Tamilen auszuweiten und dem Norden Autonomierechte einzuräumen. Abgesehen davon, dass die wichtigste Oppositionspartei, die Vereinigte Nationale Partei (UNP) dieses Paket bislang ablehnt, scheint die Strategie, einerseits eine Lösung über eine Verfassungsänderung zu finden, während andererseits die LTTE militärisch geschlagen werden soll, mehr als fragwürdig. Die Tiger sind mittlerweile de facto die einzigen Vertreter der Tamilen. Andere Tamilen-Parteien haben durch die mangelnden politischen Erfolge an Popularität eingebüßt und verfügen durch Mordanschläge der LTTE kaum noch über populäre Politiker.

Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich daher vor allem auf internationale Reaktionen. Die indische Regierungskoalition, an der auch tamilische Parteien beteiligt sind, hat die Bitte um Militärhilfe abgelehnt, aber vorsichtig angedeutet, dass sie bereit sei, die eingeschlossenen Truppen zu evakuieren. Die norwegischen Vermittlungsbemühungen werden von der indischen Regierung unterstützt, die anbot, ebenfalls als Vermittlerin tätig zu werden, falls sie von beiden Seiten darum gebeten würde.

Die LTTE ist in Indien als terroristische Organisation verboten, ein unabhängiges Eelam wird von der Führung als gefährlich betrachtet, da dies nicht nur Unabhängigkeitsbestrebungen unter den 55 Millionen Tamilen in Indien neuen Auftrieb geben, sondern darüber hinaus Widerhall in Kaschmir und im Nordosten des Landes finden könnte, wo ebenfalls separatistische Gruppen aktiv sind. Außerdem wird eine Flüchtlingswelle und damit eine Infiltration durch die LTTE befürchtet.

Indes vermuten einige Beobachter, dass die USA, die die Regierungen Sri Lankas seit Jahrzehnten finanziell und militärisch unterstützen, versuchen, Indien zu einer aktiveren Rolle zu drängen. Die These scheint, obwohl die Gespräche geheim blieben, einigermaßen plausibel: Der Clinton-Besuch im März verdeutlichte die strategische Umorientierung der Supermacht, die angesichts der zunehmenden Unkontrollierbarkeit der pakistanischen Führung nun offenbar auf Indien als Brückenkopf in der Region setzt.

Die Erinnerung an das Debakel von 1987, als eine indische Intervention mit dem Ziel der Entwaffnung der LTTE zu dreißig Monaten aussichtslosen Kämpfen und 1 300 Toten führte, sitzt jedoch tief. Allerdings, so fügt man in Neu-Delhi dieser Tage eilig hinzu, sei Bewegung in der Situation. Die Armee hat vorsorglich Truppen und Kriegsschiffe im Süden Indiens stationiert.