Stadtguerilla 17. November

Patriotische Anschläge

Nach dem Attentat der griechischen Stadtguerilla 17. November vermuten die USA Unterstützer im Staatsapparat.

Die griechische Untergrund-Organisation 17. November hat wieder zugeschlagen. Am vergangenen Donnerstag erschossen zwei Motorradfahrer in Athen den britischen Militärattaché Stephen Saunders in seinem Auto - das 22. Opfer der Gruppe. Der 52jährige wurde mit der gleichen 45er Pistole ermordet, die die Gruppe nach Angaben der Polizei in den letzten zwanzig Jahren schon für sechs Attentate benutzt hat. In der Erklärung, die an die Tageszeitung Eleftherotypia geschickt wurde, steht als Begründung: »Wir haben beschlossen, ihn hinzurichten, denn er hat sich an der Planung der barbarischen Bombardierungen von Jugoslawien beteiligt und ist insofern einer der Hauptverantwortlichen des naziartigen Verbrechens vom vergangenen Jahr, der Ermordung von Tausenden von Zivilisten, der Zerstörung der Wirtschaft und der Infrastruktur dieses Landes.« Die Politik der britischen Regierung habe »sogar die Dreistigkeit und den Zynismus der Amerikaner übertroffen«.

Seit einem Vierteljahrhundert existiert der 17. November, und trotzdem ist die Polizei bislang keinem seiner Mitglieder auf die Spur gekommen. Seinen Namen verdankt er dem Studenten- und Volksaufstand vom 17. November 1973, als die Polytechnische Hochschule im Athener Zentrum besetzt wurde, um Widerstand gegen die Militärjunta zu leisten. Die Besetzung endete zwar mit einem Militäreinsatz, der 34 Tote zur Folge hatte, trug aber wesentlich zum Sturz der Junta acht Monate später bei.

Im Dezember 1975 beging der 17. November sein erstes Attentat gegen den damaligen Chef der CIA in Griechenland, Richard Welch. Im folgenden Jahr wurde Evangelos Mallios, ein verhasster Folterer der Militärjunta, erschossen. Die ersten Anschläge fanden noch eine gewisse Akzeptanz in der griechischen Bevölkerung, die sieben Jahre lang unter der Diktatur und der US-Einmischung gelitten hatte.

Doch anschließend führte die Organisation eine Serie von blutigen Anschlägen durch, die jeglicher Begründung entbehrten. Die Opfer waren fast immer US-amerikanische, griechische und türkische Militäroffiziere, Staatsanwälte, Politiker, Diplomaten und Geschäftsleute - alles Personen, die wegen ihrer eher unbedeutenden Funktion kaum als Symbole von staatlicher Unterdrückung oder militaristischer Dominanz dienen konnten. Beispielsweise wurde 1989 der Abgeordnete der christ-demokratischen Partei Nea Dimokratia, Pavlos Bakogiannis, »hingerichtet«. Der konservative Politiker setzte sich damals für eine Annäherung der Linken zur Bildung einer Regierungskoalition ein. Zwei Jahre später folgte ein schwarzer US-Feldwebel namens Ronald Stewart.

Der 17. November propagiert heute eine Ideologie, die die nationale Unabhängigkeit in den Mittelpunkt stellt und gegenüber der griechischen Regierung eine Art »solidarische Kritik« übt. So wird die Beteiligung der griechischen Regierung am Kosovo-Krieg in ihrer Erklärung vor allem wegen der daraus resultierenden Schwächung der griechischen Interessen im Streit mit der Türkei kritisiert. In einem umgangssprachlichen Stil wird der Regierung geraten: »Wenn du dich morgen dem Türken gegenüber auf das Internationale Recht (...) berufst, dann wird er sich kaputtlachen und fragen: Mein Lieber, was hast du denn in Bosnien getan (...)?«

So präsentiert sich das Bekennerschreiben des 17. November als eine Mischung aus linkem Nationalismus, Verschwörungstheorien und willkürlichen historischen Analogien - etwa, wenn der Krieg im Kosovo mit der Annexion des so genannten Sudetenlandes durch die Nazis verglichen wird.

Solche patriotischen Erklärungen nähren Spekulationen, dass die Organisation bereits Ende der achtziger Jahre aufgelöst und anschließend von Nationalisten neu gegründet oder von Geheimdiensten unterwandert worden sei. Dies könnte zumindest erklären, wieso die Sicherheitsbehörden in den vergangenen 25 Jahren keinen Fahndundungserfolg erzielen konnten.

Gleichzeitig haben die Aktionen des 17. November dazu beigetragen, die staatliche Repression zu verschärfen und die verstärkte Einmischung der US-Geheimdienste zu rechtfertigen. Das beste Beispiel war das so genannte Terrorgesetz, das 1991 von der damaligen Regierung von Nea Dimokratia durchgesetzt wurde und viele Grundrechte einschränkte. Das Gesetz wurde wegen des Widerstandes der gesamten Linken zwar wieder abgeschafft. Nun, nach dem Anschlag auf Saunders, fordert die Nea Dimokratia wieder die Verschärfung der Anti-Terror-Maßnahmen.

Druck kommt nun auch von den Nato-Partnern. In der Wochenzeitung To Pontiki wurde vergangene Woche ein Interview mit dem Ex-CIA-Chef von 1993 bis 1994, James R. Woolsey, veröffentlicht, in dem er behauptet, »einige Personen in der griechischen Regierung kennen bestimmte Mitglieder des 17. November. Getan wurde nichts.« Die griechische Regierung wies diese »unfassbaren« Äußerungen zurück. Fast zeitgleich veröffentlichte der US-Kongress seinen neuen Terrorismus-Report. Darin wird der Clinton-Regierung empfohlen, Griechenland zusammen mit Pakistan als Länder zu bezeichnen, die »nicht vollständig« gegen den Terrorismus »kooperieren«. Begründung: »Seit 1975 haben in Griechenland 146 terroristische Angriffe gegen amerikanische Interessen stattgefunden. Nur ein Fall wurde gelöst, und es gibt kein Anzeichen für eine sinnvolle Untersuchung der verbleibenden Fälle.«

Bereits im vergangenen Herbst hatten die USA der griechischen Regierung ein Abkommen über »gemeinsame Terrorismusbekämpfung« vorgeschlagen, was diese als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« zurückwies (Jungle World, 47/99).

Nach dem Anschlag auf Saunders verlangt auch Großbritannien eine schnelle Aufklärung. »Griechische Regierung wird des geheimen Einverständnisses beschuldigt«, schrieb die Times. In einem Kommentar wurde zudem vielsagend auf mögliche Konsequenzen für den geplanten Euro-Beitritt Griechenlands und die Olympischen Spiele, die Jahr 2004 in Athen stattfinden sollen, verwiesen. Scotland Yard hat drei Anti-Terror-Spezialisten auf Anfrage der griechischen Regierung nach Athen entsandt.

Doch selbst wenn den Sicherheitsbehörden weiterhin keine Erfolge gegen den bewaffneten Untergrund gelingen sollten, eine Konsequenz wird der Anschlag sicherlich haben. Wie die Geschichte des 17. November zeigt, werden die Anti-Terror-Maßnahmen jederzeit auch bei anderen »sozialen Konflikten« eingesetzt.