Polnische Minderheitsregierung

Real Bad Job

Nach dem Ende der Koalition in Warschau regiert die Solidarnosc nun alleine - und vermutlich nicht mehr lange.

Seinen Arbeitsplatz als polnischer Premier wird Jerzy Buzek einfach nicht mehr los. Und dabei hat er ihn schon überall feilgeboten - zuletzt dem Gewerkschafts- und Parteichef der Solidarnosc, Marian Krzaklewski. Der hatte ihm den Job allerdings 1997 selbst angedreht - und zeigte während der aktuellen Regierungskrise keine großen Ambitionen, ihn zu übernehmen. Der große Vorsitzende war bereits mit den Präsidenten-Wahlen im Herbst beschäftigt.

Als er schließlich nach langem Zögern einwilligte, war es zu spät. Die Liberalen von der Unia Wolnosci (Freiheitsunion, UW) verließen am Dienstag vergangener Woche endgültig die seit zweieinhalb Jahre bestehende Koalition mit dem Wahlbündnis Solidarnosc (AWS). Und einer Minderheitsregierung, die vermutlich nicht lange überleben wird, wollte Krzaklewski auf keinen Fall vorstehen. Buzek muss den Job jetzt doch wieder übernehmen.

Dabei galt Krzaklewski als letzte Joker der jetzigen Regierungspartei. Schließlich hatte er bereits 1997 die erstaunliche Leistung vollbracht, das völlig zerstrittene Solidarnosc-Lager in einem Wahlbündnis zu vereinen und bei den Parlamentswahlen einen erdrutschartigen Sieg über die postkommunistischen Sozialdemokraten zu erzielen. Da Krzaklewski jedoch schon damals das Präsidentenamt im Auge hatte, kürte er den völlig unbekannten Jerzy Buzek, der dem liberalen Flügel der AWS angehörte und noch dazu Protestant ist, zum Premierminister. Finanzminister und Stellvertreter Buzeks wurde der in der polnischen Wirtschaft und im Ausland angesehene Leszek Balcerowicz von der Freiheitsunion.

Für den blassen Premier war das Amt von Beginn an ein real bad job. Er sollte die völlig heterogene AWS-Fraktion, in der katholische Nationalisten, Wirtschaftsliberale und Gewerkschafter zusammensaßen, einigen und ihnen gleichzeitig auch noch die neoliberalen Wirtschaftsreformen von Balcerowicz verkaufen.

Dass eine solche Strategie nicht lange gut gehen konnte, hatte wohl auch Krzaklewski geahnt. Er zog sich aus dem politischen Alltagsgeschäft zurück - und überließ es Buzek, die für den EU-Beitritt notwendigen Maßnahmen durchzusetzen: Subventionen streichen, Entlassungen in den Staatsbetrieben und Kürzungen bei den Sozialleistungen. Ein Sparprogramm, das vor allem bei dem Gewerkschafts-Flügel der AWS auf erbitterten Widerstand stieß. Die Spannungen in der Koalition wurden unerträglich, als eine Gruppe von »Rebellen« begann, konsequent gegen die Vorlagen der eigenen Regierung zu stimmen.

Spätestens seit Anfang des Jahres war die Mitte-Rechts-Regierung auf die Stimmen der verhassten Postkommunisten angewiesen, um ihre Vorhaben überhaupt noch im Parlament durchzusetzen zu können.

Nach dem Bruch der Koalition muss Buzek nun die im Westen hoch angesehenen Politiker der UW ersetzen: Bronislaw Geremek, der die Nato ins Land holte und Polen anschließend gleich am Kfor-Einsatz im Kosovo beteiligte. Und Leszek Balcerowicz, der maßgeblich für die Privatisierung der polnischen Wirtschaft verantwortlich ist.

In seine neue Minderheitsregierung hat sich Buzek den bisherigen Stellvertreter Balcerowiczs, Jaroslaw Bauc, geholt. Der neue Finanzminister wird dafür sorgen, dass alles beim Alten bleibt. Bauc stehe für die »Straffung der polnischen Finanzpolitik und der Kürzung des öffentlichen Etats«, kommentierte Radio Free Europe vergangene Woche mehr als wohlwollend. Und nach Ansicht von Marek Sawicki von der oppositionellen Bauernpartei PSL ist »Bauc sogar ein stärkerer Anwalt des extremen Liberalismusâ als es Balcerowicz war«. Danuta Waniek von der sozialdemokratischen SLD zieht aus der Nominierung von Bauc den Schluss, dass die Regierung die von den rechten AWS-Abgeordneten so scharf kritisierte Finanzpolitik fortsetzen wird - inklusive der damit verbundenen partei-internen Probleme.

Etwas anderes bleibt einer polnischen Regierung anscheinend nicht übrig. Die Rahmenbedingungen werden nach wie vor von den großen Kreditgebern und der EU vorgegeben. Denn vor dem ersehnten Beitritt müssen die bekannten »Schwächen« der polnischen Wirtschaft behoben werden: Der Agrar- und der Industriesektor harren der »Reform«. Dafür sollen nach Ansicht der Brüsseler und Warschauer Experten noch in der laufenden Legislaturperiode rund 100 Gesetze im Parlament verabschiedet werden. Wie das der Minderheitsregierung Buzek, die sich noch nicht mal der Stimmen der eigenen Fraktion sicher sein kann, gelingen soll, wird vermutlich ihr Geheimnis bleiben.

Die liberale Freiheitsunion hat zwar schon ihre Mitarbeit zugesichert, falls das »Polen nach vorne bringt«. Möglicherweise wird auch die sozialdemokratische SLD dem einen oder anderen Gesetz zustimmen, um sich regierungsfähig zu zeigen. Vor allem aber fordert sie vorgezogene Neuwahlen, die nun für den Herbst oder spätestens im Frühjahr 2001 erwartet werden.

Umfragen zufolge könnte die SLD dann sogar die absolute Mehrheit schaffen, während AWS, UW und PSL jeweils zwischen zehn und 20 Prozent erwarten können. Realistisch wäre jedoch eine Koalition zwischen Liberalen und Soziademokraten, die beiden Parteien gelegen käme. Die SLD wäre nicht mehr auf ihren angestammten Koalitionspartner, die Bauernpartei PSL, angewiesen, während die liberale UW keine Rücksicht mehr auf den Gewerkschafts-Flügel der AWS nehmen müsste.

Ideologische Konflikte sind zwischen den potenziellen Koalitionspartnern kaum zu erwarten. Der Beitritt zur Europäischen Union und die dafür erforderliche radikale Spar- und Privatisierungspolitik überdeckt mittlerweile alle anderen Interessengegensätze im politischen Spektrum Polens. Dem neuen Bündnis stehen im Wesentlichen nur noch die letzten antikommunistischen Reflexe der ebenso wie die AWS aus der Solidarnosc-Bewegung der achtziger Jahre hervorgegangenen Freiheitsunion entgegen.

Sollte eine solche Koalition tatsächlich zu Stande kommen, würden sich die bisherigen Koordinaten der polnischen Politik verkehren. Die Postkommunisten könnten sich dann als die wahren Reformer präsentieren; einer europafreundlichen Regierung stünde eine konservative Opposition der Modernisierungsverlierer gegenüber.

Diese hat schon angekündigt, dass sie nicht mit ehemaligen Parteigenossen auf der Regierungsbank sitzen will - in Anspielung auf die derzeitige SLD-Führung um Leszek Miller und Jozef Oleksy, beides ehemals ZK-Mitglieder der Polnischen KP.

Auf kommunaler Ebene läuft die Zusammenarbeit der ehemaligen Feinde bereits. In der Hauptstadt Warschau regierte sogar zwei Monate lang eine UW-SLD-Koalition unter der Führung des populären jungen Liberalen Pawel Piskorski, der schon als möglicher Präsidentschaftskandidat der Freiheitsunion gehandelt wurde.

Auch in den oberen Kreisen rückt man sich näher. So hat Staatspräsident Marian Kwasniewski, ehemaliges Mitglied der SLD, den rücktrittswilligen Außenminister Geremek (UW) gebeten, bis auf weiteres seine Amtsgeschäfte weiterzuführen. Der EU-Erweiterungsprozess werde durch »das Hickhack in der Regierung weder gebremst noch blockiert«, erklärte Kwasniewski. Auf der nächsten Ministerkonferenz am 14. Juni, bei der das heikle Kapitel Agrarpolitik offiziell aufgeschlagen werden soll, soll die polnische Regierung »voll funktionsfähig vertreten« sein.