Zum Tod von Ernst Jandl

Unter der Wiese

Zum Tod des Dichters Ernst Jandl.

Ernst Jandl war ein politischer Lyriker, d.h. er war nicht besonders politisch. Er zielte auf Wirkung ab, und das heißt, die Sprache zu unterschätzen. Jandl unterschätzte die Wirkung der Sprache. Er zweifelte nicht an ihr.

Das unterscheidet ihn von der Wiener Gruppe. Sie pflegte den Zweifel und mied die Pointe. Jandl konnte von der Pointe nicht lassen und hatte Erfolg. Wir haben Tränen gelacht, als wir ihn in den Achtzigern lesen hörten. Jandl lachte auch und schrieb ein Gedicht über diese Lesung. Er freut sich darin über seine lachenden Zuhörer. An einen der Texte, die er damals vortrug, erinnere ich mich gut: Er beschreibt die unwiderstehliche Anziehungskraft, die Ausgespienes und Exkremente auf den Passanten haben können; er möchte sich auf die Knie werfen und den Schmutz vom Bordstein aufschlecken.

Jandls Lesung war ein Fest der Selbstdestruktion. Vielleicht haben wir gelacht, um den Schrecken abzuschütteln. Jandl besaß die nötige Brutalität, seinen Zuhörern diesen Schrecken aufzunötigen, gab aber, um ihn wieder zu mildern, stets seine drolligen Scherze dazu. Man hält ihn für amüsant. Sein Erfolg beruht, wenn auch nicht ausschließlich, auf Missverständnissen, auch seinen eigenen.

Als erste Einflüsse werden von ihm selbst Bertolt Brecht und Carl Sandburg genannt. Der Krieg ist ein weiterer. Die frühen Gedichte sind, in Abgrenzung zum Schwulst der Nazis, prosanah, antilyrisch, faktisch. Hier liegt die Nähe zu Erich Fried begründet, mit dem Jandl befreundet war und dessen naiven Humanismus er teilte. Dieses Ethos erhält sich auch in den seriellen Arbeiten: »vater komm erzähl vom krieg / vater komm erzähl wiest eingrückt bist« usw., solche Gedichte wurden bald lesebuchreif. Bei ihnen lässt sich am ehesten von der spröden Form abstrahieren und zu Allgemeinverbindlichem überleiten. Man bedenke dabei, dass der Antimilitarist Jandl in den Fünfzigern zu einer winzigen und befeindeten Minderheit gehörte; gegen die Wiederbewaffnung standen in Österreich allein die Kommunisten, der linke Flügel der SP - und die literarische Avantgarde.

Der Krieg und die Wunden, die er geschlagen hatte, ließen die Erinnerung an eine Kriegsdichtung wach werden, die sowohl die Nazis als auch die Bürgerlichen für »entartet« gehalten hatten, an einen, der selbst Wunden schlug: August Stramm. »er august stramm / sehr verkürzt hat / das deutsche gedicht // ihn august stramm / verkürzt hat / der erste weltkrieg // wir haben da / etwas länger gehabt / um geschwätzig zu sein«. Wer Stramms Dichtung ernst nimmt, gelangt zum Laut, vorderhand zum Sprenglaut, zur Sprengung. Hier einige einschlägige Laute, nebst Frikativen:

rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr

und

fffffffffffffffffffffffffffffffffff

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krrruuuuuuuuuuuuuuuuuu

ndfffuuuuuuuuuuuuuuuuu

nnnnnnnnnkrrrrrrrrrrrrrrr

und

fffunnnnnnnnnnnnnnnnnn

krrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrru

ndfffffffffffffffffffffffffffffffu

nk nk nk nk nk nk nk nk nk

Auch als Wortkünstler bleibt Jandl populär und lässt sich vom Semantischen Richtung und Form vorgeben. Die Lektüre verläuft wie das Lösen eines Zeitungsrätsels: Der aufgeschlossene Leser findet das Wort »Rundfunk« und lehnt sich beruhigt zurück. Dass dieser Rundfunk ganz merkwürdig dissonante Klänge sendet, geht dabei verloren. Wirkungsästhetiker, der er war, gab Jandl das Verstehen nie ganz preis, er schaffte es aber, insbesondere mit den Lautgedichten, den Literaturverwaltern unbegreiflich zu werden. Er gehörte zu der Generation von österreichischen Dichtern, die aus dem Lande oder in den Selbstmord getrieben und, wenn sie dann noch immer keine Ruhe gaben, mit Staatspreis oder posthumer Ehrung befriedet wurden. Jandl, immerhin, blieb. Er nahm auch die Preise. Er ist dennoch nicht so harmlos, wie manche seiner Gegner glauben.

Sein »konversationsstück« »die humanisten« gehört, neben »wien: heldenplatz«, in der umfangreichen politischen Literatur der Sechziger und Siebziger zu den wenigen gelungenen Arbeiten. Zwei Altösterreicher, einer (m2) musisch, einer (m1) witzenschaftlich orientiert, verständigen sich in manipuliertem Pidgin über ihre Weltanschauung: »m1 vaterland sein kunst / deutsch sprach und österreich vaterland sein kunst / m2 österreich sein ein kunstland / m1 vaterkunstland / m2 kunstvaterland Ö / salzenburger fetzenspiele! / m1 burgentheatern! / m2 operan! / m1 schuber und brahmst! / m2 schrammenmusik! / m1 österreich sein ein kunstland! / m2 donau zu blau, zu blau, zu blau«. Seine Bedeutung, als Autor und als Sprecher, für das Neue Hörspiel ist kaum zu überschätzen. Erst dem allerneuesten Hörspiel - eine Art Synthesizer-Soße mit darauf wie Fettaugen schwimmenden Sätzen - ist es gelungen, sich von seinem Vorbild zu lösen.

Neben der Politik bildet Konfession eine zweite durchgehende Linie. Bekenntnis - man sieht das an der jungen deutschen Literatur - geht fast immer daneben. Jandl zweifelte nicht an der Sprache, aber er wusste, dass das Entscheidende nicht gesagt werden kann. Seine Sprechoper »aus der fremde« erschüttert als Selbstbild gerade deshalb, weil sie von diesem Wissen getragen ist: »103 / der konjunktiv nun / bewirke / daß dieses erzählen // 104/ nicht ein erzählen / von etwas / geschehenem sei // 105 / sondern daß es das erzählen / von etwas erzähltem sei«. All die Bilder aus dem trostlosen Alltag erreichen einen auf dem allerweitesten Umweg, sie erscheinen nicht nur, sie schlagen ein wie von der Atmosphäre ungebremste Meteore.

Marcel Duchamp hat gesagt, Dadaisten gab es auch vor dem Dadaismus: Rabelais, Alfred Jarry. Das sind große Humoristen. Große Humoristen gab es auch nach dem Dadaismus. Jandl blieb ein großer Humorist nach der Konkrete-Poesie-Phase und er war es auch davor. Ein Text aus dem Jahr 1954: »sommerlied // wir sind die menschen auf den wiesen / bald sind wir menschen unter den wiesen / und werden wiesen, und werden wald / das wird ein heiterer landaufenthalt«. Am vergangenen Freitag starb der Schriftsteller, 74jährig, in Wien.

Eine Zeitlang schien es, als sei Ernst Jandl, als einziger Vertreter der deutschsprachigen Moderne nach dem Krieg, Allgemeingut geworden. Erst die Mitte der Achtziger einsetzende und gerade auch von Linken betriebene kulturelle Restauration rückte ihn - und erst recht die Radikaleren - wieder an den Rand. Nicht allein dieser Umstand, aber er ganz besonders, bezeugt, wie stark diese Dichtung ist.