Schwul-lesbische-Bewegung

CSD plus X

Alle feiern: Bundeswehroffiziere, autonome Schwule, Kubaner und Motorradlesben. Und ein paar Leute streiten für die Repolitisierung des schwul-lesbischen Events.

Streit um linke so genannte Schwulen- und Lesben-Politik entzündet sich in schöner Regelmäßigkeit am kalendarischen Ereignis CSD (auch in der Jungle World ist das nicht anders). »Pro oder contra CSD?« Die Frage ist langweilig geworden. Längst ist die Schwulen- und Lesben-Bewegung als Teil des Mainstreams entlarvt; politisches Handeln mit Identitäten zu begründen, gilt zudem als zweifelhaft; und die inzwischen dominierende Form homosexueller Identitätspolitik - Lobbyarbeit von FunktionärInnen - hatte ohnehin nie emanzipatorischen Gehalt. Der CSD, die große Referenz schwul-lesbischer Identitätspolitik, ruft vor allem nach der Homo-Ehe. Und was können die Kritiken, die gern von links am CSD geäußert werden, daran ändern? Nichts. Aus den heterosexistischen Zwängen und einer Reihe anderer übler Verhältnisse lassen sich zwar konkrete Forderungen ganz schlüssig ableiten, aber das erwünschte politische Handeln zeigt sich nicht so recht. Da ist doch die Frage fällig: warum nicht?

Der Großstadt-CSD ist ein identitätspolitisches Ereignis und kann auch nichts anderes sein, er funktioniert, weil er Vielfalt zulässt, die dann allerdings für politische Vernutzungen offen ist. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass die Parade der Ort ist, wo alle Politiken gleichermaßen präsent wären. Prädestiniert sind solche, die im Namen der Feiernden (oder zumindest der überwiegenden Mehrheit von ihnen) sprechen können, und das sind die LobbyistInnen. Sie deuten den von der Parade »gemeinten Sinn«, und einzelne unpassende Spruchbänder - selbst wenn sie an der Spitze des Zuges getragen werden - ändern daran nichts. In der schwul-lesbischen Parade wimmelt es von unterschiedlichen Erwartungen, Selbstausdrücken und (vielleicht) politischen Zielen. Man kann mitlaufen als Bundeswehroffizier, autonomer Schwuler, Kubaner, Türkin, Motorradlesbe, Feministin, Transgender-Politikerin. Wichtig ist nur ein einziges Motiv: »Heut gehe ich zum CSD!« Daneben gibt es noch ein Plus X, um dies oder das auszudrücken, diese oder jene zu treffen, Spaß zu haben, einen Typen kennzulernen usw. Plus X bezeichnet das individuelle Motiv hinzugehen und macht das Gewimmel perfekt. So entsteht eine diffuse Menge von Menschen, die alle dabei sind. Sie kann keine politischen Ziele formulieren, geschweige denn eine politische Praxis begründen, weil es eben keine gemeinsamen Ziele gibt. Trotzdem finden diese Menschen es mehr oder weniger wichtig, einmal im Jahr zum CSD zu gehen - das ist alles.

Damit sind allen Versuchen, dem CSD oder zumindest einem Teil der Parade einen anderen (Gesamt-) Ausdruck zu geben, enge Grenzen gesetzt. Soll eine Botschaft ankommen, muss sie von einer wahrnehmbaren Menge getragen werden. Das konnte halbwegs gutgehen mit der Anti-Kriegs-Mobilisierung im letzten Jahr, und da der Berliner CSD ein massenmediales Großereignis ist, war die Präsenz der Antikriegs-Position sehr angebracht. Auch die internationalen CSDs 1993 und 1994, der NassauerInnen-Block 1996 (der dann doch mit durchs Brandenburger Tor bummelte), der Rattenwagen 1997 und die Kreuzberger Partys der letzten beiden Jahre hatten politische Ziele, die nicht in beliebiger Vielfalt untergingen. In all diesen Fällen mögen kritische Diskussionen über Profilierungssüchte, Gruppen-Egoismen und vor allem natürlich Auseinandersetzungen über die Forderungen selbst angebracht gewesen sein. Aber, und darum geht es mir hier, der CSD war für diese Politiken nur ein Medium, ein Mittel, um Öffentlichkeit herzustellen, aber nicht die zu verändernde Zielgröße.

Eine Politik, die allein auf den CSD selbst hin gedacht ist, verfängt sich im identitätspolitischen Reflex. Die immer wiederholte Klage über Verbürgerlichung und über Anmaßungen seiner (mehrheitlich schwulen) Repräsentanten befestigt den CSD in seiner Bedeutung und verbaut Alternativen. Das Elend der Identitätspolitik: Auch die Kritik an der Identitätspolitik weist wieder auf die Identität zurück und bleibt an diese Logik gekettet. Die Festschreibung eines Wesensmerkmals, dessen (bürgerliche, nationalistische etc.) Artikulationsform attackiert wird, teilt man ja mit den Kritisierten - aus genau diesem Grund kommt die heftige Attacke. Damit gerät die kritische Absetzbewegung unter Entschuldigungszwang gegenüber der (Hetero-) Linken. Die vorgeführten Schwulen haben nicht nicht nur teil an kapitalistisch, rassistisch und sexistisch regulierten Praktiken, sondern sie werden als besonders verwerfliche Gruppe vorgeführt - der Vorwurf: Gerade sie müssten es ja eigentlich besser wissen. Damit ist gleich die zweite Falle der Identitätskritik aufgestellt: der Kampf um die Repräsentation der korrekten (politisch-) sexuellen Identität.

Auch in diesem Jahr haben ein paar Leute - die Gruppe Basis 69 - versucht, Forderungen zu formulieren, die den Ad-hoc-Party-Konsens des CSD durchbrechen - sympathische Forderungen, die aber leider nur dazu dienen, die Claims abzustecken. Dass sie von einer kleinen Gruppe von Leuten entwickelt wurden, ist ihnen deutlich anzumerken, es fehlt ein Forum, in dem sie breiter - und kontinuierlich - diskutiert und in entsprechende Praxen umgesetzt werden könnten. »Stoppt den Rassismus und seine Förderung durch staatliche Politik« heißt es in einem Flugblattentwurf von Basis 69. Rassismus habe sich »in der lesbisch-schwulen Szene, insbesondere über Kriminalstatistiken und Reporte eingerichtet, die als primäres Merkmal von Gewalttätern die ethnische bzw. kulturelle Herkunft angeben«.

Allerdings sind Polizeiberichte keine Erfindung von Homo-Gazetten, und falls Rassismus sich erst oder »insbesondere« über die lesbisch-schwule Szene einrichtet, dann soll die Szene wohl vorher nicht rassistisch gewesen sein. Das wäre zwar schön, aber woraus speist sich diese Erwartung? Zudem wird hier ein Widerspruch ignoriert, der sich in der Praxis auftun kann: der Widerspruch zwischen der Arbeit gegen heterosexistische Gewalt und gegen rassistische Phantasmen. Körperliche Gewalt hat ihre Ursache in sozialen Verhältnissen und ist deshalb immer »gruppenspezifisch« - die Frage ist allerdings, wie diese Gruppen definiert werden. Wichtig wäre also eine Diskussion darüber, wie konkrete Täter benannt und gefasst werden können, wie hilfreich dafür »Kriminalreporte« sind und wie heterosexistische Gewalt sich in gesellschaftliche Strukturen einfügt.

Auch der zweite Punkt des Forderungskatalogs, »Bleiberecht für alle«, müsste weit über den CSD hinausreichen. Zwischen dem deutschen Staat und der schwul-lesbischen Bürgerrechtslobby deutet sich derzeit ein Asylkompromiss an, der Homosexualität zumindest als Aufenthaltsgrund anerkennt. Das klingt besser und unkomplizierter, als es tatsächlich ist. Um Asyl zu erhalten, werden Flüchtlinge sich essenzialisierenden Vereindeutigungen unterwerfen müssen. Egal, woher sie kommen und über welche Selbstthematisierungen sie verfügen - ein Gericht wird ihnen das westlich-moderne Konzept »Homosexualität« einschreiben, bei Strafe der Abschiebung. Nach der Erfahrung von Verfolgung und Repression wird das häufig genug eine weitere Traumatisierung bedeuten. Und nebenbei legt der Staat Wesensmerkmale sexueller Identitäten fest (schicksalhafte Prägung statt bewusster Entscheidung). Auch das sind gute Gründe, das Projekt »sexuelle Staatsbürgerschaft« sehr kritisch zu betrachten.

Ein weiterer Punkt handelt von Antisemitismus in der schwulen Szene, von der Erinnerung an den Holocaust und dem geforderten Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer. Kritisiert wird von der Basis-Gruppe dessen offizielle Forderung nach einem zentralen Mahnmal für schwule Verfolgte im Dritten Reich; damit würden jüdische und homosexuelle Verfolgte gleichgesetzt. Diese Unterstellung ist zumindest gewagt, so lange nicht einmal klar ist, wie das Denkmal konzipiert ist und woran dort wie erinnert werden soll. Der Nationalsozialismus war eben auch eine heterosexistisch regulierte Gesellschaft mit einem restriktiven Geschlechterregime, das weibliche Körper anders unterwarf als männliche. Die geschlechtliche Regulation nahm zum Machtzentrum des NS hin zu, weshalb sich überproportional viele NS-Funktionäre unter den Rosa-Winkel-Häftlingen fanden. Wäre es nicht sinnvoll, auch diese Dimension des Nationalsozialismus mit im Blick zu behalten? Warum sollen sich nicht Erinnerungsformen finden lassen, in denen auch die heterosexistische Regulation thematisierbar bleibt? Ohne dass eigens »schwule« Verfolgte erfunden werden müssen.

Die Parade dürfte mit dieser Diskussion mächtig überstrapaziert sein, und den Machern des CSD kann jede Kritik egal sein, sie haben seine Funktionsweise - Spaß, Identität, Vielfalt - auf ihrer Seite. Die Form bestimmt hier, was an Inhalten möglich ist: (fast) alles, und deshalb bleibt alles inhaltsleer. Wenn Politiken vor allem auf den CSD und auf »die Schwulen« hin entworfen sind, müssen sie im CSD-Pluralismus untergehen. Das ist schade, weil bestimmte Forderungen, Diskussionen und Ziele auch in anderen Kontexten Ausgangspunkt für politische Interventionen sein könnten.