Putins Charme-Offensive

Der Deutsche

Es war ein seltsames Timing: Der russische Präsident Wladimir Putin weilte bei seiner Europa-Tournee gerade in Spanien, als der Medien-Mogul Wladimir Gussinski in Moskau im berüchtigten Moskauer Gefängnis Butyrka landete. Das war der zweite Schlag gegen Gussinskis mittlerweile halbwegs Kreml-kritisches Medienimperium: Im Mai hatten vermummte Sondereinheiten Niederlassungen seiner Media-Most brachial durchsucht. Nun wirft die Staatsanwaltschaft Gussinski vor, sich 1996 in Petersburg fremdes Vermögen in Höhe von etwa 20 Millionen Mark angeeignet zu haben.

In Russland wird dies zum Vorwand für eine politische Abrechnung genommen, die zum Ziel hat, die schwachen Überreste kritischer Medien zu knebeln. Ein nationaler wie internationaler Sturm der Entrüstung brach los. Ein hoher Offizieller unter Boris Jelzin, Oleg Susyjew, meinte, in den Augen der Öffentlichkeit erscheine diese Aktion wie eine »politische Exekution«. Am Freitagabend wurde der Tycoon wieder freigesetzt.

Die Affäre hat eine weitere hässliche Note: Gussinski ist Vorsitzender des Russischen Jüdischen Kongresses. Ausgerechnet am Tag seiner Verhaftung wählte eine kleine Organisation ultra-orthodoxer Juden einen neuen, vom Kreml handverlesenen Oberrabbi für Russland. »Nach der russischen Tradition«, kommentierte die Moscow Times bissig, »sollte (und soll) jeder Zar einen loyalen Juden an seiner Seite haben - um zivilisiert auszusehen.«

Und Putin? Das sei ein »zweifelhaftes Geschenk« für ihn, meinte er in Spanien. Zuvor hatte er in der Welt am Sonntag in bester deutscher Tradition gegen »parasitäre« Geschäftsleute polemisiert. Jedenfalls habe er keine Vorabkenntnis von Gussinskis Verhaftung gehabt. Das mag man glauben oder nicht: Die New York Times zitierte einen politischen »Experten« zu Russland, Michael McFaul, mit den Worten, es handele sich dabei um eine »unglaubliche Dummheit« von Seiten Putins: »Dies zeigt entweder, dass er nicht die Kontrolle hat - und das ist ein schlechtes Zeichen -, oder dass er die Kontrolle hat. Und das ist auch ein schlechtes Zeichen.«

Während der Kreml innenpolitisch versuchte, einen ihm unbequemen »Oligarchen« auszuschalten, versuchte Putin außenpolitisch zu punkten. Nach dem Besuch in Spanien tourte er nach Deutschland - unter sorgfältiger Umgehung Frankreichs, wo die Kritik an seinem Tschetschenien-Feldzug besonders ausgeprägt ist. »Warmer Empfang für 'Putin, den Deutschen'« - schon aus der Überschrift der New York Times vom 15. Juni sprang den Leser das Misstrauen förmlich an. Und in Deutschland hatte sich Putin, glaubt man dem US-Blatt, einiges vorgenommen: Sein Besuch »scheint Teil einer ehrgeizigen Strategie zu sein, Russland fest an Europa anzudocken, Investitionen anzuziehen, Deutschland anzuspornen, ebenso nach Osten wie nach Westen zu schauen, und, wenn möglich, einen Keil zwischen Europa und die Vereinigten Staaten zu treiben«.

Das Misstrauen kam nicht ohne Grund: Putin schlug Europa vor, dass Russland in die Verteidigung Europas involviert werden solle. Seine Kritik am von den USA vorgeschlagenen Raketenabwehrsystem fällt besonders in Deutschland und Spanien auf fruchtbaren Boden. Putin bezeichnete Deutschland als »Russlands führenden Partner in Europa und der Welt«.

Was aber machte Bundeskanzler Gerhard Schröder? Er sagte, Deutschland sei an einer »strategischen Partnerschaft« mit Russland interessiert - dieser Begriff war bislang den Beziehungen zu den USA vorbehalten. Kein Wunder, dass dort sämtliche Warnglocken schrillten - und ein frommer Wunsch sich in die Spalten der New York Times verirrte: »Noch wird die plötzliche Nähe zwischen Berlin und Moskau sicher einige Beunruhigung unter den europäischen Partnern Deutschlands auslösen, die immer befürchten, dass Europas Zentralmacht ihr Glück ein weiteres Mal im Osten suchen wird.« Was aus einer solchen »Beunruhigung« über den deutschen EU-Hegemon werden kann, steht auf einem andern Blatt.