Baskischer Schul-Boykott gegen Roma-Kinder

Klasse gegen Klasse

Im baskischen Barakaldo haben Eltern einen Schul-Boykott gegen Roma-Kinder organisiert.

Wir Eltern werden uns dafür einsetzen, dass das Zusammenleben in der Schule wieder funktioniert.« Die Elternvertreterin Mar'a Tato ist fest entschlossen, »das Bild der Intoleranz zu widerlegen«. Das wird nicht so leicht sein: Schließlich haben die Eltern der San-Juan-Bosco-Schule im baskischen Barakaldo fast zwei Wochen lang den Unterricht boykottiert, weil drei Roma-Kinder eingeschult werden sollten.

Die ersten Proteste ereigneten sich bereits Ende März. Nach der Schließung einer Schule waren die letzten 13 Jugendlichen auf verschiedene Lehranstalten verteilt worden. Sie alle gehören Roma-Familien aus dem Armutsviertel Retuerto an. Doch die Eltern der Zuazo-Schule lehnten die Einschulung von drei der Roma-Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren ab. Die Familie der Kinder sei dafür bekannt, Konflikte zu provozieren, behauptete der Elternrat.

Sechs Wochen lang blieben die drei Kinder ohne Unterricht. Dann wurden sie der katholischen Schule San Juan Bosco zugeteilt. Francisco Iglesias vom Elternrat beschreibt die Situation rückblickend so: »Die Schulbehörde hat sie uns dann hier reingesetzt. Es ist klar, dass die Eltern Angst bekamen. Auf den Versammlungen kursierten zudem schlimme Geschichten von der alten Schule der drei.«

Von einer rassistischen Hysterie ergriffen, organisierten die Eltern nach den Osterferien einen Boykott: Mitsamt ihren Kindern zogen sie jeden Tag ins nahe gelegene Bilbao vor die Schulbehörde. Den Vorwurf des Rassismus wiesen die Elternvertreter weit von sich; sie hätten lediglich Angst um den Schulfrieden. Zehn Tage lang stellten sich Hunderte von Eltern mit ihren Kindern vor die Lehranstalt. Mitte Mai eskalierte die Situation, als die Roma-Kinder das erste Mal zum Unterricht erschienen. Die Eltern versuchten, die LehrerInnen am Betreten des Gebäudes zu hindern; nach einigen Rangeleien bildete die baskische Polizei schließlich ein Spalier. Einige SchülerInnen, die zusammen mit den Roma den Unterricht besuchen wollten, wurden als Streikbrecher beschimpft: »In den Klassen sind drei, draußen 633.«

Der Boykott gegen die Roma-Kinder wurde in ganz Spanien bekannt. Der sozialdemokratische Bürgermeister von Barakaldo, Carlos Pera, appellierte vergeblich an die Eltern, ihre Kinder nicht für den Protest zu benutzen. Der stellvertretende Bildungsminister in der baskischen Regionalregierung, Alfonso Unzeta, machte den protestierenden Eltern Zugeständnisse: Für die drei Kinder sollen drei zusätzliche Lehrkräfte, ein Psychologe und ein Vermittler eingestellt werden. Doch umstimmen konnte er die Eltern nicht. Denn um die materielle Ausstattung ihrer Schule ging es den Eltern ebenso wenig wie um eine Verständigung mit den Roma.

Ende Mai haben nun alle Eltern der Bosco-Schule Post vom Jugendgericht erhalten. Ihr Boykott sei ein Verstoß gegen die Schulpflicht. Nur wegen dieser Strafandrohung schickten die Eltern ihre Kinder wieder in die Schule. Doch ihr Widerstand hat nicht nachgelassen. Die Anwältin des Elternrates versuchte, die Behörde wegen der Einschulung der Roma-Kinder zu verklagen. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Roma-Eltern dürfen die Schule nicht betreten. Außerdem soll eine spezielle Kommission die weitere Entwicklung der Roma-Kinder kontrollieren.

Seit drei Wochen gehen alle Kinder wieder zur Schule. Die drei Roma-Kinder sind dabei weitgehend isoliert: Sie haben einen eigenen Klassenraum, eigene Lehrkräfte, gehen nicht auf den Schulhof und nicht in die Kantine.

Die spanische Bildungsministerin, Pilar del Castillo, erklärte, der Konflikt von Barakaldo sei ein Einzelfall: »Die Einschulung der Minderheiten funktioniert gut. Manchmal ist die Präsenz von Minderheiten sehr stark und dann können sich Schwierigkeiten häufen.« Die bildungspolitische Sprecherin der sozialdemokratischen PSOE, Amparo Valcarce, warf del Castillo dagegen vor, sie habe monatelang keine Stellung zum Konflikt in Barakaldo bezogen.

Überhaupt häufen sich in Spanien solche »Einzelfälle»: Dem Zentrum für Studien über Migrationen und Rassismus zufolge gingen 1997 von 180 000 schulpflichtigen Roma in ganz Spanien 66 Prozent nicht zur Schule. Die Untersuchung macht dafür vor allem den weit verbreiteten Rassismus verantwortlich: 27 Prozent der Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren sind dafür, dass die Roma aus Spanien ausgewiesen werden, 24 Prozent wollen, dass zuerst die AraberInnen verschwinden. Das passt zur Meinung der Erwachsenen: In einer EU-Umfrage stuften sich 40 Prozent der SpanierInnen als etwas und 18 Prozent als ziemlich rassistisch ein.

Die rassistische Ausgrenzung ist vor allem eine soziale. Denn nicht nur die Roma-Kinder von Barakaldo wohnen in einem Elendsviertel. Auch andere marginalisierte soziale Gruppen leben in Stadtteilen, wo die staatlichen Schulen reine Aufbewahrungsorte sind.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass Kinder aus sozial besser gestellten Familien häufig Privatschulen besuchen. Mit raffinierten Tricks schotten sich diese Einrichtungen gegen Minderheiten ab: Eine indirekte Auslese findet über den Preis der Schuluniform und der angeblich freiwilligen außerschulischen Aktivitäten statt.

Nicht alle Roma, Einwanderer und Einwanderinnen sind arm, aber die Mehrheit. So studieren nach Angaben der Uni-n Romani zwar in Andalusien 300 Roma. Doch die elenden Barackensiedlungen sind noch immer der einzige Bereich, in dem Roma und MigrantInen in der absoluten Mehrheit sind: Eine Untersuchung der Fundaci-n Foessa, die im spanischen Parlament folgenlos debattiert wurde, ergab Ende 1999, dass 95 Prozent der BarackenbewohnerInnen Roma sind. In den Hütten gibt es oft nicht einmal fließendes Wasser oder Strom. Die Lebenserwartung von Roma-Frauen liegt zwischen 49 und 61 Jahren - gegenüber 85 Jahren im Landesdurchschnitt.

Mariano González von der Roma-Organisation Expresi-n Gitana betonte gegenüber El Pa's, dass die ökonomischen Bedingungen der Roma entscheidend dazu beitragen, dass viele Roma die Ausbildung abbrechen: »Vorrang für viele Familien hat das Überleben.« González fordert daher, dass soziale Betreuer ausgebildet werden, die selbst Roma sind. Anstatt davon zu reden, dass sich Roma an die nationalen Normen anzupassen haben, sollten sie erst einmal die Chance erhalten, ein Leben nach ihren Vorstellungen zu organisieren.

Ein Ende der Ausgrenzung ist aber kaum in Sicht. Für José Manuel Fresno vom staatlichen Secretariado Gitano ist klar: »Eine Konzentration der Minderheiten in den Schulen muss vermieden werden«. Dabei hat der Boykott von Barakaldo einmal mehr gezeigt, dass nicht die Minderheiten das Problem sind.