Arbeitszwang in Frankreich

Medef denkt deutsch

Es war ein Erpressungsversuch, mehr nicht: Wenn Frankreich nicht von seinem bisherigen Modell abrücke, in dem Regierung und Gesetzgeber eine zentrale Rolle in der Gestaltung der sozialen Beziehungen spielen, droht der Arbeitgeberverband Medef seit vergangenem Herbst, werde er aus der paritätischen Verwaltung der Kassen des Sozialversicherungssystems, der Arbeitslosen-, Renten- und Krankenkassen also, aussteigen.

Bis Ende 2000 werde er seine Tätigkeit in den Kassen niederlegen, falls es bis dahin nicht zu einer grundlegenden »Neubegründung der sozialen Beziehungen« komme. Denn das bisherige Modell sei zu anfällig bei gesellschaftlichen Krisen - etwa, wenn wie im Herbst 1995 Millionen gleichzeitig gegen eine Regierungsentscheidung streiken und demonstrieren.

Stattdessen will Medef Teile des bundesdeutschen Modells der »Tarifautonomie« übernehmen, in dem Gewerkschaften und Kapitalverbände die wesentlichen sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen tragen. Wenn Gewerkschaften als »Tarifpartner« »verantwortungsvoll« im Sinne einer »Stabilität« des Gesamtsystems handeln und dabei quasi-staatliche Aufgaben übernehmen, so lautet das Kalkül, werden sie sich kaum an die Spitze einer Protestbewegung von der Straße stellen.

Die erste Möglichkeit, dieses Vorhaben durchzusetzen, bietet sich jetzt bei der Arbeitslosenversicherung; am 30. Juni laufen hier die geltenden paritätischen Vereinbarungen aus.

Und allem Anschein nach wird die Erpressung der Arbeitgeber-Verbände funktionieren. Zwei Gewerkschaftsbünde - von insgesamt fünf auf nationaler Ebene anerkannten - haben sich für eine Reform des bisherigen Modells ausgesprochen. Die sozialdemokratische CFDT sowie der kleine katholische Gewerkschaftsbund CFTC zeigten sich am vergangenen Donnerstag bereit, das Projekt der Kapitalverbände zu unterschreiben.

Demzufolge sollen alle, die nach dem 1. Januar 2001 erwerbslos werden, einen »Plan zur Rückkehr an einen Arbeitsplatz« (»Pare«) unterschreiben. Binnen eines Monats soll die Arbeitslosenkasse ein »persönliches Handlungsprojekt« ausarbeiten, in dem definiert wird, welche Tätigkeiten dem Profil des Arbeitslosen entsprechen und ihm zuzumuten sind. Nach sechs Monaten wird Bilanz gezogen.

Je nachdem, wie viele angebotene Arbeitsplätze der Erwerbslose ausgeschlagen hat, werden Sanktionen verhängt. Die vier Sanktionsstufen reichen von einer Ermahnung beim Ausschlagen nur eines Arbeitsplatzes über die Senkung des Arbeitslosengeldes um 20 Prozent bis hin zu dessen Streichung für solche Arbeitslosen, die vier oder mehr Arbeitsplätze abgelehnt haben.

Der Gesetzgeber muss das Abkommen zwischen Kapitalverbänden und Gewerkschaftsbünden noch »ratifizieren«. Innerhalb der regierenden Linkskoalition haben Grüne und die Kommunistische Partei bereits ihre entschiedene Opposition gegen das Abkommen angekündigt.