Verleihung des Deutschen Filmpreises

Öl und Tränen fließen

Die Verleihung des Deutschen Filmpreises in Berlin ist ein Anachronismus im globalisierten Kino. An den deutschen Film glaubt mittlerweile nur noch Fachminister Michael Naumann.

Deutsche Filmregisseure, -firmen und Schauspieler - sie sind umzingelt von Feinden. So sieht es zumindest Michael Naumann, der ranghöchste Kulturmananger im Land. Aber zum Glück gibt es ja noch den Deutschen Filmpreis, der am vergangenen Freitag in Berlin zum 50. Mal verliehen wurde: »In einer feindlichen Welt versucht er, einen gewissen kulturellen, intellektuellen und künstlerischen Standard des deutschen Films aufrechtzuerhalten, und das gelingt ihm.«

Der Staatskulturminister, der bei der Veranstaltung seit 1999 Regie führt und die kommandoführenden Cineasten des Innenministeriums ablöste - hat in gewisser Weise Recht. Denn der so genannte deutsche Film hat zig Millionen Feinde: jene, die keinerlei Interesse zeigen am, wie man in der Musikbranche sagt, »nationalen Produkt«. 1995 beispielsweise wollten sechseinhalb Millionen Lustspielsüchtige »Der bewegte Mann« von Sönke Wortmann sehen. Im vergangenen Jahr dagegen trieb das gehypte Drama »Aimée und Jaguar« gerade mal knapp 1,2 Millionen Menschen an die Kinokassen, und über die noch stärker beworbene, tja, Satire »Late Show« wollten nur 860 000 Zuschauer schmunzeln. Als bestbesuchter deutscher Film des Jahres 1999 gilt »Asterix und Obelix gegen Caesar« (3,5 Millionen Tickets), weil die Klamotte von einer Münchener Firma mitfinanziert wurde. Der Marktanteil deutscher Produktionen betrug 1999 insgesamt 14 Prozent - weniger als 1996 und 1997 (16,2 respektive 17,3 Prozent).

Damit das anders wird, müssen hier zu Lande in Zukunft andere Filme gedreht werden, fordert Michael Naumann. Und wie die aussehen sollen - daran lässt er keinen Zweifel. In einem Interview mit dem Spiegel - teilweise geprägt von einem nassforschen »Hier dekretiert der Reichsfilmminister»-Sound, der seinen Vorgänger Manfred Kanther im Nachhinein als Liberalen erscheinen lässt - beklagt sich Naumann über »schwermütige« und »unglaublich deutsche Geschichten«. Dazu zählt er befremdlicherweise auch »Absolute Giganten«, einen ausgesprochen lebensfrohen Film über die Freundschaft eines Jungmänner-Trios. Naumann als Filmminister - das ist so, als wäre ein Schlachter Vorsitzender einer Vegetarier-Vereinigung. Und sollte das Hamburger Abendblatt das Faible des Politikers für »Liebesfilme« korrekt beschrieben haben, wäre dies ein weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser Einschätzung. »Er könne hemmungslos im Kino weinen, bekannte der Kulturstaatsminister. Naumanns Tränen flossen in letzter Zeit bei 'American Beauty' und 'Magnolia.'« (Hat unser oberster Kulturfunktionär womöglich keinen guten Dealer?)

Flennen will er also, der Herr Minister. Unbedingt gedreht werden müsse hier zu Lande mal eine deutsche »Operette« ˆ la »Schlaflos in Seattle«. »Im deutschen Film gibt es nichts Derartiges«, klagt er. Die »neuen Problemfilme« dagegen möchte Naumann nicht sehen, ebensowenig Geschichten, die in der NS-Zeit spielen. »Filme jenseits des Schuldgefälles der deutschen Geschichte« fordert der Kulturpolitiker. Man weiß zwar nicht, was ein »Schuldgefälle« sein soll, aber die Intention ist klar. Dem ehemaligen Zeit-Redakteur und Rowohlt-Geschäftsführer missfällt nicht etwa, dass in vielen dieser Filme der Faschismus verkitscht wird; er will, dass Autoren und Regisseure endlich den berühmten Schlussstrich ziehen.

Auch wenn die Zuschauer und der Minister nicht zufrieden sind mit den einheimischen Produkten: Vielen Firmen, die in Deutschland mit Filmen Geschäfte machen, geht es ziemlich gut - aber nur, weil »der deutsche Film« bei ihnen »zur Nebensache« geworden ist, wie der Spiegel bemerkt. Lediglich für das Fernseh-Geschäft gilt das nicht, denn pro Jahr werden in Deutschland rund 300 TV-Movies gedreht. Was das Kino betrifft, geht der Trend zu multinationalen Produktionen. Die hiesigen Unternehmen sehen sich als Global Player, sie kaufen sich in allen relevanten Ländern bei Studios sowie Produktions- und Verleihfirmen ein, nachdem sie am Neuen Markt in den vergangenen ein bis zwei Jahren mehr Geld eingenommen haben, als sie in Deutschland ausgeben können.

Die Münchener Kinowelt-Gruppe zum Beispiel ist in mehreren osteuropäischen Staaten sowie in Großbritannien und Kanada ins Verleihgeschäft eingestiegen. In der 100 Millionen Dollar schweren Produktion des Miramax-Films »Gangs Of New York« (mit Leonardo DiCaprio) steckt Geld der Kölner Vertriebsfirma Splendid Media, die für ihre »digitalen und Internet-Projekte Urheberrechte besitzen will«, so Unternehmens-Chef Andreas Klein gegenüber der Financial Times Deutschland. Und die Konkurrenz von Advanced Medien aus München hat einen Vertrag mit Wolfgang Petersen (»Das Boot«) abgeschlossen, der im Juli den »Titanic»-Rip-Off »Der Sturm« in die Kinos bringt. Mit seinen neuen Partnern, mit denen er in Hollywood eine Produktions- und Vertriebsfirma gegründet hat, will Petersen zehn »richtig große Event-Filme« umsetzen; amerikanische Firmen werden nicht beteiligt sein.

Die Aktionäre verlangen die Expansion geradezu, denn wenn eine Firma Geld in eine Hollywood-Produktion investiert, darf sie auf eine ordentliche Rendite hoffen. Filme mit dem Etikett »Made in USA« lassen sich schließlich weltweit vermarkten, während sich Ware aus Babelsberg kaum exportieren lässt. Die amerikanischen Firmen sehen das keineswegs skeptisch, vielmehr ist das Kapital von der deutschen Börse willkommen, weil die Produktion von Filmen zusehends teurer wird. Auch der deutsche Filmfreund, der ein paar tausend Mark im Sparstrumpf hat, kann sich an der Finanzierung von Filmen beteiligen.

Die Potsdamer Firma Vif zum Beispiel produziert zehn Filme jährlich über Fonds; die Gesellschafter, die auch am Merchandising partizipieren, sind mit Summen zwischen 10 000 und mehreren Millionen Mark dabei. Das animierte die Süddeutsche Zeitung zu einer amüsanten Bildunterschrift: »Irgendwann kommt 'Mission Impossible II' ins Kino, und im Publikum werden Menschen sitzen, die deutsche Filmfonds-Anteile besitzen und das Gefühl haben, Tom Cruise spiele nur eine Rolle, weil sie ihn finanzieren.« Dass sich einige Firmen sowie kleinere und mittlere Anleger oder Fonds-Gesellschafter verspekulieren werden, liegt in der Natur der Sache, denn der Erfolg von Filmen ist weiterhin nicht planbar. »Film braucht Verrückte und Visionäre, Leute, vor denen die Börse eigentlich Angst hat«, sagt Volker Schlöndorff, ein Visionär a.D. Warum aber kaufen Spekulanten wie du und dein Friseur dann ausgerechnet Filmaktien?

Auf jedem Fall lockt die Filmwirtschaft die Aktienkäufer, weil sie Zukunftsbranchen-Flair versprüht. DVD, Video On Demand, Internet - alles mutmaßlich neue Einnahmequellen. Das Fraunhofer-Institut ISI schätzt, dass sich die Ausgaben für Fernsehen, Kino und Internet bis 2015 mehr als verdoppeln. Kurz gesagt: »Filme sind der Rohstoff der Mediengesellschaft, das Öl des 21. Jahrhunderts« (aus einer Selbstdarstellung der Kinowelt-Gruppe).

Mit Blick auf all diese Entwicklungen ist der Deutsche Filmpreis nur noch eine anachronistische Propagandaveranstaltung - ein nationalistischer Reflex in Zeiten des globalisierten Business. Das Prinzip: Man sorgt mit kulturnationalistischer Rhetorik ein bisschen für Stimmung, und ansonsten ist vor allem wichtig, dass Geld in Umlauf gebracht wird. Dieses Mal wurden 5,36 Millionen Mark Preisgeld an die Filmschaffenden ausgeschüttet - der Hauptsponsor, die HypoVereinsbank, war sehr generös. Eine nette Gegenleistung für treue Kunden: Das Münchener Geldinstitut durfte in den letzten Jahren die meisten Börsengänge aus der Medienbranche managen.