Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter

Recht und billig

»Deutsche Firmen fordern Rechtssicherheit« - nur diesmal nicht von den USA in Sachen Zwangsarbeit, sondern von Russlands Präsidenten Wladimir Putin für deutsche Investitionen, meldete der ARD-»Bericht aus Berlin« vergangene Woche. Wenige Tage zuvor war wieder einmal ein »Durchbruch« in Sachen Entschädigung von Nazi-Verfolgten erreicht worden, bei dem die deutsche Seite sich nicht nur durchgesetzt, sondern mehr bekommen hat als ursprünglich gefordert.

Von Anfang an waren die deutschen Unternehmen auf ein Tauschgeschäft aus: Zahlungen an Überlebende gegen »Rechtssicherheit« - ein schwammiger Begriff, der bewusst gewählt wurde, um nachbessern zu können - lautete der Deal. Dem deutschen Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff gelang es darüber hinaus, vor allen anderen Ergebnissen eine Einigung über die Höhe der Gesamtsumme zu erzielen. So wurden gleich mehrere Probleme für die deutsche Seite gelöst: Erstens durfte es in den Verhandlungen nicht um individuelle Ansprüche gehen, sondern um die von »Opfergruppen»; zweitens konnte der Eindruck erweckt werden, die Verteilungskämpfe um die Gesamtsumme seien Sache der Opferseite; drittens konnten sich die Deutschen als Schiedsrichter zwischen verschiedenen Positionen aufspielen.

Sich auf die Gesamtsumme von zehn Milliarden Mark einzulassen, war der zentrale Fehler der Vertreter der osteuropäischen Staaten, Israels, der USA und der verschiedenen beteiligten Verbänden. Zugleich war ihr Verhandlungsspielraum sehr klein: Nicht die Interessen der Überlebenden standen im Mittelpunkt, sondern die der beteiligten Staaten, die ökonomisch schon von Deutsch-Europa abhängig sind; abgesehen von den USA und Israel, die sich allerdings auch nicht mit Deutschland anlegen wollten, jedenfalls nicht wegen so einer alten Geschichte. Insofern ist es vielleicht sogar ein Erfolg, wenn einige der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter überhaupt Zahlungen erhalten.

Nachdem man nur zehn Milliarden bezahlen sollte, gab es auch keinen Grund mehr, wegen der »Rechtssicherheit« nicht noch weiter zu gehen. Denn eigentlich hatte es im Oktober schon eine Einigung gegeben: In einem Briefwechsel sagte US-Präsident William Clinton dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder die legal closure, den juristischen Schlussstrich, zu. Doch die Unternehmen wollten mehr: Im statement of interest der US-Regierung, das Klagen gegen deutsche Firmen in den USA verhindern soll, finden sich nun auch juristische Ratschläge zur Abweisung von Klagen. Damit gibt es nicht die - im angelsächsischen Recht übliche - politische Willenserklärung, die ausdrücklich keinen Gesetzescharakter hat, sondern nur eine Mischung aus beidem.

Die Folge davon ist, dass auch Firmen, die nicht in den Fonds einzahlen und auch sonst keine Zahlungen leisten wollen, in den USA vor Klagen geschützt sind. Und das, noch bevor die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ihren Beitrag von fünf Milliarden Mark von den Firmen eingesammelt hat. Anders als der Sprecher der Initiative, Wolfgang Gibowski, behauptet, werden die Unternehmen nach dieser Zusage noch weniger Gründe finden zu zahlen. Die Konsequenz wird sein, dass die deutschen Unternehmen weniger zahlen als ursprünglich zugesagt. Je länger die Prozedur der Auszahlung dauert, um so weniger Berechtigte wird es ohnehin geben. Die Erben derer, die nach dem Verhandlungsbeginn im Februar 1999 gestorben sind, können zwar Ansprüche geltend machen, erhalten aber nicht die volle Summe, von der im Moment ohnehin niemand weiß, wie hoch sie im Einzelfall ausfällt. Von Land zu Land, von »Opfergruppe« zu »Opfergruppe« wird es große Unterschiede geben.

»Rechtssicherheit« - dieses Wort wird man auch in Zukunft oft hören. Überall dort, wo die Berliner Republik politisch, militärisch, ökonomisch oder kulturell ihre Standpunkte durchsetzt, wird dieser terminus teutonicus auftauchen.