Leiharbeit auf der Expo 2000

Tanz für die Arbeitswelt

In Hannover schützt der DGB Leiharbeiter - vor sich selbst. Bilder einer Ausstellung V.

Haben die Skeptiker oder die Optimisten Recht?« wollte vor einigen Wochen das Expo-Info wissen, der Newsletter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Da hatte der Gewerkschafts-Chef sein Urteil über die Weltausstellung in Hannover schon gefällt. »Die Skeptiker der Vergangenheit sind ruhiger geworden«, giftete Dieter Schulte in Richtung der gewerkschaftlichen »Bedenkenträger«, die die Beteiligung des DGB an der Expo kritisieren: Immerhin ist die deutsche Dachgewerkschaft offizieller »Förderpartner der Expo 2000 Hannover»; schlappe 14 Millionen Mark hat die Lobby-Organisation der Arbeitsplatzbesitzer lockergemacht, um sich »einer breiten Öffentlichkeit als Zukunftsorganisation zu präsentieren«, wie Schulte auf der Eröffnungspressekonferenz sagte.

Doch die »breite Öffentlichkeit« lässt in Hannover weiter auf sich warten. Klaus Zwickel, IG-Metall-Vorsitzender und Vertreter der Gewerkschaften im Expo-Aufsichtsrat, kritisierte deshalb, dass normale Arbeitnehmer sich den Eintrittspreis von 69 Mark nicht leisten könnten. Vielleicht auch deshalb geht der DGB auf einer der Expo-Gesprächsrunden der Frage nach, wie die »Zukunft der Einkommen« aussieht. Unter Beteiligung der Deutschen Direktbank und der Dresdner Bank wird dieses Projekt von der Beratungsgesellschaft ISA-Consult durchgeführt. »Die Börse wird dabei auch eine Rolle spielen«, ergänzte Schulte.

Schöne neue Arbeitswelt: Nach Modellen der Mitarbeiterbeteiligung suchen die Gewerkschafter auf der Expo. Damit Brüche im Erwerbsleben keine Lücken in die Altersversorgung reißen, könnten Arbeitnehmer künftig am Produktivkapital und an Kapitalerträgen beteiligt werden, lautet eine der DGB-Strategien zur Einkommenssicherung. Zudem will man den »Zeitdieben« auf die Spur kommen, wofür eigens das Projekt »zeiten:der:stadt« aufgelegt wurde: Vom Betrieb über den öffentlichen Nahverkehr, die Schulen, Kindertagesstätten und den Einzelhandel, bis hin zu Ämtern und Behörden sollen die Akteure des Arbeitsmarkts über Zeit und Zeitarrangements neu verhandeln.

Aber auch nach »Visionen zur Zukunft der Arbeit« fahnden die Gewerkschaften. Das liest sich in den DGB-Pressemitteilungen so: »Mit Tanztheater, Videosequenzen und Multimedia-Techniken werden künftige Arbeitsmodelle, Unternehmensformen und Sozialsysteme dargestellt.« Alles schön abstrakt, virtuell und modernistisch neudeutsch: »Mehr inhaltliche Infos zu den Projekten gibt es im Pre- und Post-Show-Bereich.«

Wie die Zukunft der Arbeit tatsächlich aussieht, lässt sich an den 20 000 Expo-Beschäftigten aufzeigen: Erstmals in der deutschen Tarifgeschichte gibt es einen Tarifvertrag zwischen den Gewerkschaften und einer Zeitarbeitsfirma. Während solche Firmen früher als »Menschenhändler« bezeichnet wurden, ist heute von »Personaldienstleistern« die Rede. Einer von ihnen ist der US-amerikanische Marktriese Adecco, der 7 000 Arbeitskräfte an diverse Standbetreiber ausleiht. Unter Federführung der IG Metall haben mehrere Einzelgewerkschaften einen Tarifvertrag mit Adecco abgeschlossen.

Immerhin wird ihnen so die 35-Stunden-Woche, Überstundenbezahlung und Urlaub zugestanden. Und die Expo-Expropriierten haben - das ist ein Novum - eine Interessenvertretung: So sieht der Tarifvertrag vor, dass Adecco auf Vorschlag der Gewerkschaften sechs Leute einstellt, »deren Aufgabe die Interessenvertretung der Beschäftigten ist«. Es handelt sich also nicht um einen gewählten, sondern um einen von den Gewerkschaften und dem Unternehmen gemeinsam eingesetzten Betriebsrat. »Wir betreten hier völliges Neuland und fühlen uns dabei fast wie Pioniere«, sagt Betriebsratschef Peter Fischer.

Seine erste Bewährungsprobe hatte der Betriebsrat bereits zu bestehen. In der ersten Woche der Expo war das Besucherinteresse derart gering, dass sich Bratwurst- und Brezelverkäufer, Einlass-Kontrolleure und Stand-Hostessen gelangweilt die Beine in den Bauch standen. Leute, die einfach nur herumstehen, kann man auch nach Hause schicken, dachte sich der Adecco-Personalchef und drohte 523 Jobbern mit der Kündigung. Doch die dürfen nach der Intervention des installierten Betriebsrates vorerst bleiben und Stunden auf ihrem »Minus-Zeitkonto« anhäufen: »Das heißt«, erklärt Fischer, »die Beschäftigten bekommen zunächst Minus-Stunden auf ihrem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben.« Sobald die Expo gut läuft, muss gerackert werden, um die Stunden wieder auszugleichen. - Wenn sie denn gut läuft: Sollten die Besucher weiter fortbleiben, hat auch Fischer keine Idee, wie es weitergeht. Für 154 Beschäftigte kam das neue Modell ohnehin zu spät, ihnen wurde bereits gekündigt.

Auch sonst haben Fischer und seine Crew jede Menge zu tun. »Manchmal müssen wir die Jobber auch vor sich selbst schützen. Die denken, sie könnten jeden Tag 16 Stunden ranklotzen und das fünf Monate lang«, erzählt der Betriebsratschef. So wurden Schichtmodelle und Freizeitregelungen vereinbart. Heide Schnare, ehemalige Betriebsrätin bei McDonald's und jetzt von der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten (NGG) auf der Expo eingesetzt, beklagt sich, dass man in den Anfangstagen für Tische und Stühle in den Pausenräumen selbst sorgen musste. Schnare macht auf ein Manko aufmerksam: Bei einer Betriebsgröße von 7 000 Beschäftigten wird üblicherweise ein 27köpfiger Betriebsrat gewählt. Sechs davon bekommen eine Freistellung: »Die 21 Leute, die so dem Betriebsrat zuarbeiten würden, fehlen uns schmerzlich.«

Wenn die Betriebsräte über das Gelände gehen, haben sie immer einen Packen Flyer in der Tasche. Darin stellen sie sich mit Foto und Telefonnummer vor und klären die Beschäftigten darüber auf, dass sie sich während der Arbeitszeit an den Betriebsrat wenden können. Ein Satz zur »Erbauung« findet sich auch im gewerkschaftlichen Propaganda-Material: »Bei der Arbeit auf der Weltausstellung können Sie reichlich Erfahrung sammeln und sicherlich zusätzliche Qualifikationen erwerben.«