Alternative Lebensformen

Bahnhof mit drei S

Von

Bahnhof schreibt sich neuerdings mit S. Mit drei S. »Bahnhof der Zukunft« heißt das dann bei der Deutschen Bahn AG. Bundesweit sollen 26 Bahnhöfe modernisiert werden. Sie alle sollen zu Bahnhöfen mit drei S werden. Und das bedeutet konkret: »gesteigerte Aufenthaltsqualität«.

Der Berliner Ostbahnhof macht es vor. Nach 18 Monaten Bauarbeiten und der Investition von 63 Millionen Mark ist das Gebäude nun eine öde Shopping-Mall, die einen Bahnhof beherbergt. Heute stehen im Komplex, der täglich von 110 000 Besuchern frequentiert wird, 14 146 Quadratmeter Dienstleistungsfläche zur Verfügung. Dort verteilen sich auch die drei S: Den größten Teil beansprucht der Service - Gastro-Betriebe, Schuhläden und Supermärkte. Dieses erste S ist besonders günstig: Discounter wie Lidl und Mini Mal sind es, die im Ostbahnhof an sieben Tagen von jeweils 7 bis 21 Uhr ihre Waren anbieten.

Eigentlich müsste auch das Reisezentrum zum Service-S dazugehören. Mit seinen sieben Schaltern ist es aber viel zu klein geraten, lässt also die gute Ost-Tradition des Anstehens wieder aufleben. Großzügiger war die Bahn beim zweiten S: der Security. Dank dieser sind alle Reisenden voll im Bilde - in der richtig modernen Videozentrale.

Wie bunte Aufkleber mit den drei S lehren, dient die permanente Überwachung natürlich nur der eigenen Sicherheit. Sollte sich jemand schlecht benehmen, ist schnell eine dunkelblau uniformierte Security-Task-Force vor Ort. Fast so schnell wie Dutzende installierte Kameras. Schwenkbereich 360 Grad, Passanten werden von einer Kamera an die nächste weitergegeben, Bewegungen lückenlos registriert. Da lacht der Videorekorder. Und die Bahn: Denn das zweite S ist spottbillig. Auf acht Mark netto dürfte sich in etwa der Lohn eines Hilfspolizisten belaufen. Kein Wunder, bei der Qualifikation. In ihrer vierwöchigen Ausbildung haben die Pseudo-Sheriffs vor allem eines gelernt: Nur Gesindel, Gesockse und Gelumpe lagert auf dem blankem Boden.

Das aber ist falsch. Die misstrauischen Security-Blicke treffen vor allem den gemeinen Reisenden. Ganze Familien campieren vor dem Fahrtantritt regelrecht auf dem Granitboden des modernen Bahnhofs. Warum das? Ganz einfach: Der Fahrt voraus geht eine schöne Zeit, die allgemein als »Warten« bezeichnet wird. Weltweit sind darum Bahnhofsbauten dem Prinzip verpflichtet, den Reisenden Sitzgelegenheiten anzubieten. Nun liegt der Ostbahnhof aber in Berlin-Friedrichshain und nicht in der schönen weiten Welt. Und deswegen hat die Deutsche Bahn in der dreistöckigen Eingangshalle konsequent auf die Möblierung mit Bänken oder Stühlen verzichtet. Einzige Ruhestätten sind von Arbeitern zurückgelassene Holzkisten, aus denen Kabel ragen.

Das dritte S steht also ganz bestimmt nicht für Sitzkomfort. Sondern für Sauberkeit. Eine beeindruckende Anzahl von Müllcontainern ziert den Ostbahnhof. Und in diese muss alles ordentlich getrennt eingeworfen werden. Das letzte S ist zugleich das teuerste, so steht es zumindest auf bunten Aufklebern im ganzen Gebäude geschrieben: Für »jede absichtlich herbeigeführte Verschmutzung wird pauschal eine Reinigungsgebühr von 30 DM erhoben«.