Geschlossene Gesellschaft

Deutsche Rechtsradikale haben das Prinzip des Standorts mehr verinnerlicht, als es Politik und Wirtschaft lieb ist. Wie eine antifaschistische Volksfront von Beckstein bis zum BDI mit der Bevölkerung hadert.

In Deutschland ist, einmal mehr, der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Innenminister Otto Schily (SPD) möchte am liebsten alle Organisationen, die er neben dem BGS noch zur Zivilgesellschaft zählt, zur Teilnahme an seinen Aktionsbündnissen gegen Gewalt, (Rechts-) Extremismus und Fremdenfeindlichkeit verpflichten. Über ein Verbot der neonazistischen NPD sind sich alle einig.

Da will auch die deutsche Wirtschaft nicht mehr zurückstehen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) macht in einer Kampagne auf die Möglichkeiten aufmerksam, die aus dem Betriebsverfassungsgesetz resultieren: Wenn Rechtsradikale den »Betriebsfrieden« stören, können sie entlassen werden. BDI-Präsident Dieter Hundt hat gar entschieden, den Rechtsradikalismus in der nächsten Runde der Gespräche des »Bündnisses für Arbeit« und damit im Allerheiligsten des korporatistischen deutschen Gemeinwesens zu thematisieren. Letztlich gefährdeten Rechtsradikalismus und Rassismus nämlich deutsche Arbeitsplätze. Und Außenminister Joschka Fischer fürchtet natürlich um »Deutschlands Ansehen in der Welt«. Die Spitzen der deutschen Wirtschaft haben sich ihrem Verbandspräsidenten inzwischen angeschlossen. Dafür erhält der BDI bereits Anrufe von Neonazis, die mit Bombenanschlägen drohen. Die deutsche Industrie sei, so der Tenor, jüdisch unterwandert.

Die These, der Neonazismus sei vor allem in den neuen Bundesländern kein Randgruppenphänomen, stand bis vor kurzem unter dem Verdacht des Linksradikalismus. Nun stimmen fast alle Kommentatoren und Politiker der Ansicht zu, der Rassismus komme aus der Mitte der Gesellschaft und beruhe auf der stillschweigenden oder gar aktiven Unterstützung einer Bevölkerungsmehrheit. Diese bestehe zwar nicht aus Nazis, aber eben doch aus dumpfen Rassisten, die alles Fremde ablehnten. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), mit der Mentalität der Ostdeutschen bestens vertraut, teilt diese Einschätzung inzwischen ebenso wie das Innenministerium.

Die gesamte Gesellschaft müsse gegen den Rechtsextremismus mobil machen und Zivilcourage beweisen, verlangte die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast. »Entscheidend ist wirklich die breite Öffentlichkeit.« Notwendig sei ein Bewusstseinswandel. Auch die Bürger müssten aktiv werden. Sonntag-Wolgast forderte, rechtsextreme Gewalttaten und Vorfälle nicht hinzunehmen, sondern zu melden. Notwendig seien Mut und Zivilcourage. Die Täter müssten merken, dass sie im Abseits stehen. Die ganze Gesellschaft müsse »den Skinheads den Boden unter den Füßen heiß machen«.

Dieser Gemeinsamkeit der Demokraten kann sich auch die CDU nicht entziehen. Sie will allerdings konsequenter erscheinen als der politische Gegner. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat nun 13 Forderungen zur Eindämmung rechtsextremistischer Gewalt erhoben. In dem am Sonntag in Berlin veröffentlichten Katalog wird unter anderem die Einrichtung eigener »Polizeiinspektionen für fremdenfeindliche Gewaltdelikte und politisch motivierte Straßengewalt« verlangt.

Der Regierung hielt Merkel eine »rot-grüne Appellpolitik« vor. Derzeit fehle eine bundesweit abgestimmte und nachhaltige Strategie gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, bemängelte sie. Bundeskanzler Gerhard Schröder müsse umgehend dafür Sorge tragen, dass die Regierung ihrer Verantwortung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus auch tatsächlich nachkomme. Milieubezogene Prävention, die Einrichtung von Aktionsforen gegen rechte Gewalt, Stadtteilkonferenzen zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Spezialabteilungen bei den Staatsanwaltschaften, die zentrale Erfassung reisender Gewalttäter der rechten Szene durch das BKA und weitere Maßnahmen werden gefordert. Die »Bekämpfung des Extremismus« brauche »die Geschlossenheit aller Demokraten«.

Genau hier liegt aber das Problem und nicht seine Lösung. Die völkische Grundstimmung eint die Bevölkerung und die Generationen - nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland. Und sie verbindet die Bevölkerung mit der Politik. Bei Befragungen bekennen sich rund ein Drittel der ostdeutschen Jugendlichen offen zu rechtsextremen Grundeinstellungen. Das würde ein bayerischer Innenminister natürlich nicht tun. Er fordert das Verbot der NPD, um weiter als demokratischer Rassist statt als Nazi gelten zu können.

Die neue Koalition der Rechtsextremismus-Bekämpfer ist sich schließlich darin einig, dass Asylsuchende weiterhin in die Rolle von »Sozialschmarotzern« gedrängt und in Sammelunterkünfte gesteckt werden sollen. Otto Schily wird auch weiterhin die »Grenzen der Belastbarkeit« durch Immigranten für überschritten halten. Er wird auch weiterhin versuchen, die Einwanderung erwünschter Migranten gegen das politische Asyl zu verrechnen. Ein von Beckstein als nützlicher Ausländer anerkannter Immigrant wird bei nachlassendem Bedarf der Wirtschaft sehr schnell wieder zu einem »uns ausnützenden« ummodelliert werden. Die Prügelrassisten wissen das und werden sich daher von der gegenwärtigen Kampagne nicht sonderlich beeindrucken lassen.

Der rege Aktionismus rechtsradikaler Gruppen und Bewegungen wird in den nächsten Jahren in Deutschland weiter zunehmen. Sie können nicht nur auf ihre kulturelle Hegemonie in vielen Gegenden der neuen Bundesländer bauen, sie liegen auch gesellschaftspolitisch im Trend. Die Standortdiskussion und die Politik Individualisierung und Privatisierung verschärfen den Wettbewerb. Rassisten, die der Ansicht sind, sie hätten qua Geburt mehr Anrecht auf bestimmte Ressourcen, und sei es auch nur auf das Recht, sich frei bewegen zu können, werden daher noch viel Futter für ihre Ideologie und Praxis bekommen.

Die rassistischen Schläger teilen die Menschheit in deutsch und undeutsch, in wertes und unwertes Leben ein. Die Rassisten in der Regierung sind sich mit ihnen im Ansatz, der Exklusion von Nicht-Deutschen aus der Gesellschaft, einig. Nur würden sie die Selektion gerne dem stummen Zwang der Verhältnisse überlassen statt dem Baseballschläger oder dem Stahlkappenschuh.