Therapeutisches Klonen

Hunde, wollt ihr ewig leben?

Für immer jung und gesund - das therapeutische Klonen ist das neue Heilsversprechen der Bioindustrie.

Es geht ja heute nicht darum, einen Rubinstein zu klonen, wie Hans Jonas sich das vorstellte«, betont Trutz Rendtorff, Professor für Ethik an der Münchner Universität. »Minimalisierung« heiße das Ziel der Genforschung: Nicht einen ganzen Menschen klonen, sondern Gewebe, Zellen, Organe. Durch die Vermehrung embryonaler Stammzellen, also jener Zellen, die noch in der Lage sind, alle 210 menschlichen Gewebetypen zu bilden, sollen menschliche Ersatzteillager geschaffen werden: Klone als Bio-Reserve gegen Alter und Verfall. Auch wenn Rendtdorff vor »phantastischen Erwartungen« warnt und Ernst Winnacker, Genetiker und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, betont, die Forscher hätten noch gar keine Ahnung, wie so ein Ersatzorgan gebildet wird: Klonen - bislang das Schreckgespenst aller gentechnologischen Diskussion - gilt nicht mehr nur Tony Blair und seinen Ministern als neues Heilsversprechen der Medizin.

»Unvermeidlich« sei die Freigabe des so genannten therapeutischen Klonens zum Wohl der Patienten und des medizinischen Fortschritts, titelte der Independent letzte Woche. Und das britische Parlament wird das wohl genauso sehen. Im August hatten Experten unter dem Vorsitz des obersten Gesundheitsbeamten Liam Donaldson einen 60seitigen Bericht vorgelegt, in dem sie die Forschung mit Embryonen empfahlen. Das Ziel der Genetiker und Neurologen ist es, embryonale Stammzellen zu gewinnen und sie zu Haut-, Leber- oder Muskelzellen, zu Gewebe oder Organen weiter zu verarbeiten. Inzwischen hat sich auch eine Reihe renommierter Biologen und Mediziner für den freien Zugriff auf den biologischen Wunderstoff ausgesprochen.

Auch die USA wollen, nach jahrelangem Zögern, die Forschung mit embryonalen Stammzellen künftig mit staatlichen Geldern finanzieren. Bislang wurden vereinzelte Projekte bereits von der Privatwirtschaft gesponsert. So waren es in erster Linie private Biotech-Unternehmen, die an der Weiterentwicklung der Stammzell-Technologie arbeiteten. 1996 wurden dabei erstmals aus embryonalen Stammzellen gezüchtete Herzzellen in die Herzen kranker Mäuse eingepflanzt.

Im gleichen Jahr züchteten Wissenschaftler aus Stammzellen frische Nervenzellen für demenzkranke Ratten. Und australische Forscher haben zuletzt in Experimenten mit Mäusen bewiesen, dass der gesamte Prozess des therapeutischen Klonens - von der Entnahme der Zellen über deren Klonierung bis hin zur Züchtung spezialisierter Zelltypen - funktioniert. Daher sind nicht wenige Wissenschaftler schon heute davon überzeugt, dass diese Technik im Prinzip auch auf den Menschen anwendbar ist. In den USA haben die staatlichen Gesundheitsinstitute (NIH) nun angekündigt, dass sie diese zukunftsträchtige Boom-Branche finanziell unterstützen wollen.

Nervenzellen für Parkinson-Kranke, frisches Herzmuskelgewebe für Infarktopfer, eine neue Niere für jeden Dialysepatienten - das sind, so schallt es aus den Presseabteilungen der Bio-Industrie, die gar nicht so fernen Utopien, die die Vernutzung der geklonten Embryonen legitimieren sollen. Die umstrittene Erschließung dieser unerschöpflichen Quelle an biologischem Rohstoff wird mit dem Ende von Diabetes, Querschnittslähmungen und degenerativen Erkrankungen beworben, das Ende des Menschen als gebrechliches und dementes Wesen soll nahe sein: das Ende des Menschen als biologisches Einweg-Exemplar. Leber oder Haut, Blutgefäße oder Ohrmuscheln auf Bestellung - Lebensqualität ohne Ende, das ist die Frohe Botschaft, und kein Organmangel mehr auf Erden. Das therapeutische Klonen ist der neue Hoffnungsträger, der mit einem Schlag die von der Biomedizin selbst geschaffenen Probleme lösen soll. Medizinische Alternativen werden vernachlässigt, und Akzeptanzprobleme sind mittelfristig nicht zu erwarten: Die mediale Sakralisierung der Gentechnik bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat das Glaubensdogma der Gen-Pioniere öffentlichkeitswirksam durchgesetzt: Die Gentechnik ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Mit der konkreten Aussicht auf Forschungsgelder und Reputation wird der Gegenwind für Fundamentalkritiker rauher. Richard Dawkins etwa würde die ethischen Bedenken gern in zwei bis drei Spiegelstrichen abhaken: Wer sich heute immer noch gegen das Klonen ausspreche, meint der Evolutionsbiologe, müsse jetzt endlich mal exakt die Gefahren benennen, die angeblich von der neuen Laborkunst ausgehen. Schließlich könne Schwerkranken nicht ohne gewichtige Gründe die lebenserhaltende Therapie versagt bleiben.

Doch die Gefahren und Risiken, die Embryonenforschung und Klonieren provozieren, lassen sich nur für all jene bündig bilanzieren, die an die Heiligkeit menschlicher Zellhaufen glauben und »Achtung Menschenwürde« rufen, wenn sich der millimeterkleinen Gewebekugel die Mediziner-Pipette nähert. Die säkulare Kritik dagegen muss sich in verschnörkelten Diskursen über die instrumentelle Vernunft der Gen-Medizin darum mühen, Barrieren gegen den drohenden Dammbruch zu errichten. Das dauert und hat ungleich weniger Unterhaltungswert als die virtuellen Szenarien vom ewigen Leben aus der Organretorte.

Wer will angesichts der verlockenden Angebote, die die Klonforscher in Aussicht stellen, noch lange darüber streiten, ob sie unmoralisch sind? Ist es angesichts dieser Verheißungen sinnvoll, aufs Neue zu wiederholen, dass der biomedizinische Fortschritt von den Interessen der Industrie geleitet ist, nicht von ethischen Überlegungen? Dass in den letzten Jahren die Gen- und Reproduktionsmedizin schrittweise und schleichend nicht nur die Grenzen des Machbaren, sondern damit auch des moralisch Vertretbaren extrem erweitert hat? Dass sich Ansprüche und Gebrauch der Technik im Durchgang durch ihr Anwendungsfeld verändern? Dass Technik sich technokratisch, nicht aber demokratisch durchsetzt? Und dass das therapeutische Klonen in Hinblick auf sein Potenzial als Türöffner für weit bedenklichere Technologien kritisiert werden muss?

Spätestens mit der Ankündigung der Briten, in Kürze mit der Embryonenforschung beginnen zu wollen, sind die Begehrlichkeiten der internationalen Genetiker-Gilde gewachsen. Nicht zuletzt in Deutschland wird derzeit nach alter Standortlogik die Frage diskutiert, ob das Embryonenschutzgesetz nicht doch zu restriktiv sei - man dürfe den Anschluss an die internationale Entwicklung nicht verpassen. Und nur mit knapper Mehrheit (237

zu 230 Stimmen) sprach sich das EU-Parlament in Straßburg in der vergangenen Woche gegen das Klonen zu therapeutischen Zwecken aus.

Der britische Vorstoß, das therapeutische Klonen zu gestatten, ist jedoch ein Teilsieg jener Rationalität, die auf den benachbarten Feldern der Gentherapie oder der Präimplantationsdiagnostik, der genetischen Untersuchung künstlich erzeugter Embryonen, für die Durchsetzung eines biomedizinischen Selbstverständnisses des Menschen wirkt. Während noch vor zwei, drei Jahren Skepsis, Misstrauen und ein unbändiges Kontrollbedürfnis in der Debatte um das Klonen vorherrschten, dominieren heute Neugierde, Faszination, ja Euphorie. Warum, so fragen Ethiker und Genetiker im rhetorischen Gleichtakt, soll man das therapeutische Klonen verbieten? Nur etwa deswegen, damit nicht demnächst - mit dem Angebot wächst der Appetit - Kundschaft im Repro-Labor aufkreuzt, die einen kompletten Embryo, bitte geklont, wünscht?

Der Tonfall in der Debatte hat sich grundlegend geändert, und es bedarf keiner prophetischen Gabe, zu prognostizieren, dass nach dem therapeutischen Klonen auch das reproduktive Klonen, die Erzeugung genidentischer Duplikate, kommen wird. Denn, so wird man bald fragen, ist dieses reproduktive Klonen, bei dem der Embryo nicht zerstört, sondern in die Gebärmutter einer Frau eingepflanzt wird, um zu einer Kopie des Genspenders heranzureifen, wirklich des Teufels - oder nicht in Wirklichkeit sehr viel humaner als das so genannte therapeutische Klonen?

Zunächst jedenfalls muss der Einstieg Deutschlands in das lukrative Geschäft mit den Embryonen organisiert werden. Bereits im Februar hatte eine Expertenrunde an der Münchner Universität, die Rendtdorff zusammen mit Ernst Winnacker leitet, in einer Stellungnahme das Klonieren von Organen »von der Zielsetzung her für ethisch vertretbar« erklärt. Mit dem therapeutischen Klonen, behaupteten die Autoren, könnten in Zukunft von jedem Menschen die passenden Organe gezüchtet werden. Könnten, betonen die Forscher. Werden, versteht die Öffentlichkeit - und so soll es auch sein.