Nichts wie weg
Es war der wohl spektakulärste Bankraub der neunziger Jahre in Los Angeles: Am Vormittag des 28. Februar 1997 überfielen zwei bis an die Zähne bewaffnete Männer die Filiale der Bank of America in einem Mittelklasse-Viertel im Norden Hollywoods. Doch weit kamen sie mit ihrer Beute nicht. Als sie die Bank verließen, war das Gebäude bereits von Polizisten umstellt, die Räuber konnten sich gerade noch hinter ihrem Fluchtfahrzeug verschanzen. Dann begann ein Feuergefecht, das live und fast in voller Länge von News-Helikoptern, die normalerweise zur Verkehrsberichterstattung über der Stadt kreisen, im lokalen Fernsehen übertragen wurde. Die beiden Räuber verfügten zwar über automatische Waffen, die denen der Polizei weit überlegen waren, und trugen kugelsichere Westen; doch nach einem fast einstündigen Schusswechsel mit rund 200 Polizisten wurde der erste Räuber tödlich am Kopf getroffen. Sein Kollege bestieg daraufhin den Fluchtwagen, wurde aber niedergestreckt, als er auf einen braunen Pickup-Laster überwechseln wollte, und verblutete schließlich in Polizeigewalt (1).
Die Krise des Fluchtwegs
Wenn dieser Raub paradigmatisch für eine aktuelle Generation von Banküberfällen ist, dann ergibt sich für diese vor allem ein gravierendes Problem: Die Flucht vom Tatort scheint kaum mehr möglich. Der Fluchtweg ist in einem Maße verstellt, dass sich auch die glamouröse Dreifaltigkeit von Banküberfall, Automobil und Spielfilm in einer konzeptionellen Krise befindet. Bargeld im Überfluss, individuelle Mobilität und die mediale Vervielfältigung solcher Wunschproduktion im Genre Gangsterfilm sind in der bleiernen Wirklichkeit der Kontrollgesellschaft (2) Platzhalter blanker Verzweiflung, kalkulierten Irrsinns oder bloßer Nostalgie.
Los Angeles ist nicht nur die Hauptstadt der Film- und Unterhaltungsindustrie, sondern auch die Hauptstadt des Bankraubs. Anfang der neunziger Jahre erlebte die kalifornische Megastadt durchschnittlich vier Banküberfälle pro Tag. Einer der Gründe dürfte das unübersichtliche Gewirr der Highways und Freeways sein, das die Verfolgung der fliehenden Bankräuber vermeintlich erschwert (3). 1997, nach der spektakulären Schießerei im Norden Hollywoods, nahe den großen Studios, verdoppelte sich die Überfallquote gar landesweit.
Besorgte Kolumnisten machten in alter Manier eine Reihe neuerer Hollywood-Produktionen verantwortlich: Einer der erschossenen Bankräuber habe sich vor dem Überfall wiederholt das Robert De Niro/Al Pacino-Drama »Heat« angesehen (4). Tatsächlich aber dürfte die Live-Übertragung des Überfalls im Reality-TV wesentlich aufschlussreicher sein. Wie bei der vereitelten Flucht O.J. Simpsons 1994 in Richtung mexikanische Grenze nehmen - neben oder sogar noch vor der Polizei - Kamerateams der lokalen TV-Stationen in Helikoptern die Verfolgung auf und mobilisieren Hunderte von Schaulustigen. Das mit der Flucht beabsichtigte Untertauchen in der Anonymität wird angesichts einer solchen Situation völlig aussichtslos.
Vom Pferd zu den PS
Die große Zeit des Bankraubs scheint vor diesem Hintergrund unwiederbringlich vorbei. Nicht zufällig fiel die Hochkonjunktur der Überfälle auf Geldinstitute zusammen mit der Generalmobilmachung der modernen Gesellschaft, denn der entscheidende Faktor der klassischen zweigeteilten Bankraubdramaturgie ist die Flucht. Nach dem wie auch immer erzwungenen Aushändigen des Geldes und dem Verlassen des Bankgebäudes müssen die Bankräuber so schnell wie möglich einen Vorsprung herausarbeiten, da er die Voraussetzung dafür ist, das Leben mit den erbeuteten Barmitteln auch genießen zu können.
So läutete die Entwicklung der ersten Automobile eine frühe Blütezeit des Bankraubs ein. Zwei bekannte VertreterInnen dieser Epoche, Bonnie Parker und Clyde Barrow, machten kein Hehl daraus, wem sie den legendären Erfolg ihres knapp zweijährigen Beutezuges durch den amerikanischen Süden zu verdanken hatten. Sie ließen sich mit Waffen vor ihrem gestohlenen V-8 Ford Model A fotografieren. Im Henry Ford-Museum wird heute ein Brief von Clyde Barrow an den Konzernchef ausgestellt, in dem er versicherte: »Solange ich noch atme, möchte ich Ihnen sagen, was für ein großartiges Auto sie bauen. Ich fahre ausschließlich Ford, seit es mir einmal gelang, mit einem zu entkommen« (5). Sollte das Schreiben nicht authentisch sein, belegt es doch, welche Bedeutung das Automobil in den kollektiven Erinnerungen zur Geschichte des Bankraubs einnimmt. Der V-8 war die letzte große Ingenieursleistung von Henry Ford. Ein Automobil, das seiner Zeit um 20 Jahre voraus war und den amerikanischen Traumwagen verkörperte: geräumig, antriebsstark, mit rund laufendem Motor und dank Massenproduktion für breitere Schichten erschwinglich. »Watch the Fords Go By« lautete 1934 der Werbeslogan der Automobilhersteller, und manche Bankangestellte dürften dies auch Bonnie und Clyde hinterhergerufen haben, wenn diese mit sagenhaften 140 Stundenkilometern auf Feldwegen davonrasten.
Der praktische Erfolg der Überfälle beruhte auf dem technologischen Vorsprung, den sich Bankräuber mit den Automobilen zu eigen machen konnten. Bis in die dreißiger Jahre wurden die automobilen Outlaws in den USA »Highwaymen« genannt, ein bewaffneter Banküberfall »Highway Robbery« (6). »Highwaymen« waren die Raubritter des Mittelalters, die sich das aristokratische Privileg aneigneten, ein Pferd nicht nur als Nutztier, sondern auch als Verkehrsmittel zu verwenden. So waren sie in der Lage, einschlägige Eigentumsdelikte zu begehen und sich drohender Verfolgung rasch zu entziehen. Die Bankräuber in den USA des 19. Jahrhunderts standen in dieser Tradition. Es handelte sich um berittene Banden, marodierende Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg, die sich nach jedem Überfall in ihre Verstecke zurückzogen und dort ein eigengesetzliches soziales Leben organisierten.
Der erste automobile Banküberfall datiert wohl auf den 20. November 1911. Die anarchistische Bonnot-Bande stahl in Paris einen Wagen, der als das beste Auto vor dem Ersten Weltkrieg galt: die 1910er Limousine von Delaunay-Belleville. Das Kalkül war einfach. Niemand durfte in der Lage sein, die Bankräuber einzuholen. Der Überfall gelang, die Bande raste mit dem schnellen Auto davon - einzig die Beute war lächerlich: ganze 5 000 Franc, was auch damals nicht besonders viel war (7).
Die allmähliche Verbreitung der Automobile nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einer Wiederkehr der Outlaws, vor allem in den prohibitions- und depressionsgeplagten USA. Ende des 19. Jahrhunderts waren Überfälle bei Tageslicht zu einer riskanten Sache geworden. Von den Kommunen angeheuerte private Sicherheitsdienste sagten den Banden den Kampf an und verfolgten die berittenen Outlaws über die Staatsgrenzen hinweg. Den nun motorisierten Banditen aber standen die Gesetzeshüter machtlos gegenüber. Mit traditionellen Polizeimethoden war den technologisch überlegenen und meist recht populären Verbrechern nicht beizukommen. Die Aufrüstung des korrupten Polizeiapparates mit Motorrädern und Automobilen scheiterte oft schon an der Sparsamkeit der Kommunen. Erst mit Roosevelts »New Deal« und der Kriegserklärung an das organisierte Verbrechen sowie der Stilisierung der Bandenanführer zu »Public Enemies« fand der Staat eine Antwort auf die Bedrohung seines Gewaltmonopols durch die Outlaws.
Automobilisierung der Gesellschaft
Derselbe Henry Ford, dem Clyde Barrow für sein Erfindertum so überschwänglich dankte, stand Anfang der dreißiger Jahre Pate für ein neues Verständnis von Gesellschaft: das Fabriksystem des Fordismus. Ford produzierte schon 1908 sein berühmtes Model T am Fließband, wofür zuvor die einzelnen Fertigungsschritte und Produktionsabläufe sorgfältig untersucht und in einzelne Abschnitte eingeteilt worden waren, um die industrielle Fertigung eines Produktes auf mathematische Art und Weise berechnen zu können. Das kapitalistische Kommando und seine disziplinierende Funktion sollten sich aber nicht nur auf den Arbeitstag beschränken, sondern auch weite Teile der Reproduktionssphäre unterwerfen. Resultat ausgeklügelter Fertigungsprozesse bei höheren Löhnen und »Sozialpartnerschaft« und der Unterwerfung der so genannten Freizeit unter das Wertgesetz und die Herrschaft der Unterhaltungsindustrie war die Schaffung einer massenhaften Binnennachfrage nach industriell hergestellten Konsumgütern und vor allem nach Automobilen.
Mit der Automobilisierung der Gesellschaft in der Nachkriegszeit verlor der motorisierte Bankräuber seine Avantgardestellung. Gleichzeitig war auch das Delikt des Bankraubs einer Verschiebung unterworfen. Konnten Bankräuber in den zwanziger und dreißiger Jahren noch auf verhältnismäßig lange Karrieren in einer der Lohnarbeit radikal entgegengesetzten Geldaneignungsform zurückblicken und führten die nicht gerade exorbitanten Erträge aus den Überfällen zu einer kontinuierlichen Praxis dandyhafter Selbststilisierung und verschiedenen Formen kollektiver Organisation, änderte sich dies mit dem Verlust der technologischen Überlegenheit schlagartig. Banküberfälle konnten nicht länger mit einem Rollenmodell assoziiert werden, das auf eine Gegengesellschaft der Outlaws, ein Außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft referierte, sondern standen auf einmal für kurzfristige Ausbruchsversuche aus dem kapitalistischen Alltagstrott, für mehr oder weniger spontane Auflehnung und individuelle Verweigerung.
So stellte das FBI in einer Untersuchung Mitte der fünfziger Jahre überrascht fest, dass inzwischen mehr als die Hälfte aller Banküberfälle von Einzeltätern verübt würden. 1961 wird dann resümiert, dass fachgerechte und von organisierten Gruppen durchgeführte Überfälle aus den Zeiten eines Dillinger endgültig der Vergangenheit angehörten. Dieter Schubert zieht in seiner »Phänomenologie des Bankraubes« den Schluss, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch eine Angleichung der Bedingungen in Europa und den USA vollzogen habe. Was vormals als »Ärmlichkeit« und »Phantasielosigkeit« des Bankraubes europäischer Provenienz galt, »stellt sich als Nüchternheit und Sachlichkeit dar. Die Notwendigkeit des blitzartigen Auftauchens, der schnellen Durchführung, des geplanten Fluchtweges wird berücksichtigt; (...) was unter phantasielos vermerkt ist, erscheint im Wesentlichen als zweckmäßig und für den Erfolg als effektvoll« (8).
Die Flucht findet unter den Vorzeichen der nun herrschenden Waffengleicheit unter erschwerten Bedingungen statt. Bankräuber tauchen urplötzlich aus der anonymen Masse auf und betreten die öffentliche Bühne eines bevölkerten Schalterraums. Die Banken haben sich des Privatkundengeschäftes angenommen und verfügen über ein weitverzweigtes Filialsystem, Bankgeschäfte sind längst kein Privileg der Reichen mehr. Doch kundenfreundlich heißt immer auch räuberfreundlich. In den Kassenschränken warten enorme Beträge, die in einer Art vorübergehender Verkehrung der Gewaltverhältnisse die Besitzer wechseln. Die Übergabe des Geldes hat in wenigen Minuten zu erfolgen, und so schnell, wie sie aufgetaucht sind, müssen die Bankräuber auch wieder verschwinden. Draußen wartet meist mit laufendem Motor ein Fluchtfahrzeug. Dieses Vehikel muss dann so rasch beschleunigt werden, dass der rein zeitliche Vorsprung sich weiter vergrößert, etwaige Verfolger abgeschüttelt werden und die fliehenden Bankräuber wieder in der Anonymität der Masse untertauchen können. Entscheidend ist weniger, welche Wegstrecke in welcher Zeit zurückgelegt wird. Entscheidend ist der Grad der Beschleunigung. Auf ihrer Fluchtlinie werden die Bankräuber ein allerletztes Mal auffällig, bevor die Fluchtgeschwindigkeit zu ihrem Verschwinden führt.
In der kriminologischen Untersuchung »Der Überfall auf Geldinstitute« aus dem Jahr 1975 heißt es folgerichtig: »Für den Bankräuber ist es von entscheidender Bedeutung, so schnell als möglich den Schauplatz seines Verbrechens zu verlassen, da mit jedem Augenblick die Gefahr einer Entdeckung des Raubes und eines danach folgenden Einschreitens wächst« (9). Mit der wachsenden Automobilisierung der Gesellschaft komme deswegen der Planung der Flucht immer größere Bedeutung zu. Waren die »Highwaymen« und Bankräuber-Banden der zwanziger und dreißiger Jahre noch hauptsächlich damit beschäftigt, eine detaillierte Arbeitsteilung für den eigentlichen Überfall zu entwerfen, während die Flucht nach einem verhältnismäßig einfachem Schema vonstatten ging, hat sich dies nun verkehrt. Zum Gelingen der Flucht treffen Bankräuber schon vorab allerlei Vorsichtsmaßnahmen, die eine spätere Identifizierung erschweren sollen: gestohlene Fluchtfahrzeuge, falsche oder manipulierte Nummernschilder, Doubletten. Je höher der Grad der Organisation, desto intensiver werden vor dem Überfall mögliche Fluchtwege ausgekundschaftet.
Diente die Flucht der in der Regel mit ihrem bürgerlichen und sogar mit Spitznamen bekannten Banditen in den Anfängen der Geschichte des Bankraubes vor allem dazu, das unmittelbare Umfeld des Tatorts physisch zu verlassen, um sich der strafenden Gewalt zu entziehen, kommt der Flucht in den fordistischen Disziplinargesellschaften vor allem eine anonymisierende Funktion zu. Mit zunehmender Verkehrsdichte wächst die polizeiliche Überwachung der Verkehrsströme, mit der Reichweite der Medien dehnt sich auch der behördliche Fahndungsapparat aus. Videokameras und stiller Alarm, Ringfahndung und Fahndungsfoto sind die Methoden einer Polizeiarbeit, die in den hochentwickelten kapitalistischen Regionen kaum auf eine präventive und banal anmutende Befestigung der Bankgebäude, sondern auf Re-Identifizierung und Dingfestmachung post festum setzt.
Die Ergreifung der Täter ist ein Wettlauf mit der Zeit. Dieses sportive Moment dürfte einen Gutteil der Faszination ausmachen, die der Bankraub immerhin als ein Kardinaldelikt besitzt, das die Machtverhältnisse innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft für die geringstmögliche Zeitspanne umkehrt. Aus der Mannschaftssportart wurde im Zuge der fortschreitenden Formierung und massenhaften Mobilisierung der Gesellschaft zwar tendenziell eine Individualsportart; nach wie vor aber zeichnete der Bankraub eine Fluchtlinie aus der Gesellschaft vor, die die Kinoindustrie in zahllosen Plots aufgegriffen und vervielfältigt hat. Die Verfolgungsjagd auf die Delinquenten ist beherrschendes Motiv in der Realität wie im Spielfilm. Das Thema der Flucht heißt: beweglich werden und beweglich bleiben, um der Fabrik und dem Gefängnis, den einschließenden Milieus der Disziplinargesellschaft, zu entkommen.
Einsatz und Verwendung von Fluchtfahrzeugen spiegeln dabei den Grad der Mobilität einer Gesellschaft und die Diversifizierung der vorherrschenden Verkehrsmittel. Entscheidende Kriterien für die Eignung eines Fluchtfahrzeuges sind Schnelligkeit und Wendigkeit, und so kristallisieren sich aus der Masse der Automobilproduktion neben dem Ford V-8 noch weitere Gangsterautos heraus. Der Citroën Traction Avant war bis in die fünfziger Jahre eines der populärsten Fluchtfahrzeuge in Europa: beliebt bei Résistance-Kämpfern wie auch bei Bankräubern. Firmengründer André Citroën war schon früh beeindruckt von den Produktionsmethoden Henry Fords und entwickelte 1934 einen Wagen mit selbsttragender Karosserie und Frontantrieb, der seinen Verfolgern weit überlegen war.
Von der Beschleunigung zur Beweglichkeit
Auch die in den fünfziger Jahren als die »schnellsten Gangster Deutschlands« bekannte »Jaeger-Korbmacher-Bande« bevorzugte den Traction Avant. Die Räuber frisierten den Wagen mit dem Ziel, immer höhere Fluchtgeschwindigkeiten zu erreichen. Ein anderes, gern eingesetztes Gangsterauto war der Opel Rekord, den findige Mechaniker bis auf acht Zylinder tunen konnten. Die Versicherung, in rasanten Verfolgungsjagden nicht eingeholt werden zu können, dürfte zumindest zum Teil auch Andreas Baaders Vorliebe für ein Fluchtfahrzeug mit dem schönen Namen Iso Rivolta erklären. Auf den Einsatz des als »Ferrari fürs Volk« bekannten Sportwagens verzichtete die Rote Armee Fraktion allerdings, als mit intensivierter Fahndung Anonymität vorrangig wurde und im Straßenbild leicht auszumachende Fahrzeuge hinderlich waren. In den USA jedoch stand die Abkürzung BMW noch lange Zeit für »Baader-Meinhof-Wagen«, weil sich herumsprach, dass die Kommandos der RAF bevorzugt das Modell BMW 2002 kurzschlossen. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, nur deswegen sei BMW aus seiner Absatzkrise Ende der sechziger Jahre herausgekommen (10).
Mit der fortschreitenden Nivellierung der Automobilproduktion lassen sich kaum mehr spezielle Fluchtfahrzeuge ausmachen. In der Regel dürfte es nun darauf angekommen sein, dass der Verbreitungsgrad des Wagens in einem brauchbaren Verhältnis zur Motorleistung stand, was auch bei vielen Fahrzeugtypen der Fall war.
Schlagzeilen macht der zwischenzeitlich zum Volkssport gewordene Banküberfall nur noch, wenn mit einer gescheiterten Flucht eine dramatische Zuspitzung erfolgt oder im Verlauf der Flucht originelle Momente ausgemacht werden können. Bankräubern gelingt es heutzutage, auf verschiedensten Fortbewegungsmitteln zu entkommen: Skateboards, Rollschuhe, Krücken und Rollstühle, Damen- wie Herrenfahrräder. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft: Anfang 1997 zwingt ein Bankräuber nach vorheriger Terminvereinbarung den Direktor eines Offenburger Geldinstitutes mit vorgehaltener Pistole zur Öffnung des Banktresors im Keller des mehrstöckigen Gebäudes. Anschließend zerrt er den Direktor auf das Dach des Bankhauses und verständigt per Mobiltelefon einen Komplizen, der kurz zuvor einen Hubschrauber entführt hat. Weil sich in der unmittelbaren Nachbarschaft ein Krankenhaus befindet, fällt die Helikopterlandung auf dem Flachdach niemandem auf. Die Bankräuber lassen die Geisel zurück und entschwinden unterhalb der Radarüberwachung in den Lüften, von wo aus sie wiederum per Handtelefon eine weitere Komplizin, die ein zweites - konventionelles - Fluchtfahrzeug steuert, verständigen. Hubschrauber und Pilot werden zurückgelassen, die Polizei wird mit einem fingierten Anruf auf eine falsche Fährte gesetzt, und die Räuber fliehen in einem knallroten Geländewagen - offenbar aber ein zu auffälliges Fluchtfahrzeug, das von Passanten bemerkt wird, weil es stark beschleunigt und die Insassen sich hektisch umziehen (11). Wie meistens, wenn der Fluchtweg nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist, steht die Verhaftung am Ende eines ansonsten laut Bild »filmreifen« Szenarios.
Die besondere Beziehung zwischen Banküberfall, Fluchtfahrzeug und Medienapparat funktioniert aber auch in umgekehrter Richtung, und die Koketterie mit dem Tabubruch Bankraub kann erstaunliche Formen annehmen. In der Schweiz, dem Stammland des Bankgewerbes, schaltete der Automobilkonzern Mazda nur zwei Tage nach dem größten Postraub aller Zeiten eine Aufsehen erregende Anzeigenkampagne: »Liebe Posträuber, im Mazda E 2000 hätten sogar 70 Millionen Franken Platz gehabt.« Das Inserat spielte auf die in den Augen vieler offenbar bedauerliche Tatsache an, dass die Räuber wegen des begrenzten Laderaumes ihres Fluchtfahrzeuges drei der acht Geldkisten ungeraubt zurücklassen mussten. Etwas weniger direkt versucht Renault in einem TV-Werbespot auf die besonderen Eigenschaften eines Kleintransporters aufmerksam zu machen. Weil der Wagen unvermuteter Weise durch Schiebetüren an beiden Fahrzeugseiten zu beladen ist, werfen die Bankräuber ihren Beutesack quer durch das Fluchtfahrzeug hindurch, geradewegs in die Arme eines Bettlers. Die Neuartigkeit des Gefährtes wird an das populäre Robin Hood-Motiv gekoppelt: den Reichen nehmen, um den Armen zu geben.
Beispiele, die aber auch als Indikatoren für ein langsames Schwinden der Symbolkraft von Banküberfällen dienen könnten. Mit der Krise des Fordismus ist auch der klassische Bankraub mit anschließender motorisierter Flucht als soziales Paradedelikt in Gefahr, zur Nostalgie zu verkommen. Neuartige erweiterte Kontrolltechniken sowie Überwachungsnetze, die in Echtzeit operieren, transformieren die modernen Disziplinargesellschaften in Kontrollgesellschaften und lassen Banküberfälle wie Relikte einer vergangenen Epoche erscheinen. Angesichts globalisierter Polizeiarbeit und einer internationalen Kooperation bei der Zielfahndung, die die durchaus realistische Drohung ausspricht, einmal identifizierter Täter überall auf der Welt habhaft werden zu können, hat ein Banküberfall den Charme eines Himmelfahrtskommandos. Die ausgetretenen Fluchtwege aus der kapitalistischen Gesellschaft wirken blockiert oder perspektivlos, weil das physische Entkommen in ein alternatives Territorium unmöglich wird. Gleichzeitig verliert der Fetisch Bargeld an Bedeutung. Anstelle der Fixierung auf das Eigentum geht es in den postmodernen Ökonomien schon um den bloßen »Access« zu Eigentum und Lebensmöglichkeiten, also um die Zugangsberechtigung. Und diese gebiert neue Archetypen sozialer Delinquenz wie den »Hacker« oder den »Schlepper«, welche völlig neuartige Fluchtlinien und Fluchttechniken entwickeln müssen.
Anmerkungen:
(1) Reed, David: The Circumstantial & the Evident. In: Jungle World, 5/99
(2) Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: ders.: Unterhandlungen. 1972-1990. Frankfurt/Main 1993, S. 254-262
(3) Steele, Sean P: Heists: Swindles, Stickups, and Robberies that shocked the World. New York 1995
(4) Gwynne, S.C./Hylton, Hilary: Bloodshed in the banks. In: Time Magazine, 31. März 1997
(5) Die Welt des Verbrechens. Bibliothek erstaunlicher Fakten und Phänomene. Amsterdam 1992
(6) Helmer, William: Public Enemies: America's Criminal Past, 1919-1940. New York 1998
(7) Gyllenhak, Ulf : La Bande à Bonnot. In: Schwarzer Faden 33/1989. Wieder abgedruckt in: Clavé, Florenci/Godard, Christian: Viel Blut für teures Geld. Berlin 1990
(8) Schubert, Dieter: Phänomenologie des Bankraubs. In: Gleißner, Gerhard/ Lorenz, Wolfram/May, Volker/Schubert, Dieter (Hg.): Bankraub in der Bundesrepublik Deutschland. 2 Bde. Bd. 1 (Kriminologie. Abhandlungen über abwegiges Sozialverhalten, Nr. 7). Stuttgart 1972, S. 7-108
(9) Császár, Franz: Der Überfall auf Geldinstitute. Eine kriminologische Untersuchung (Kriminologische Abhandlungen, Neue Folge, Bd. 11). Wien u.a. 1975
(10) Huffmann, Richard: This is Baader-Meinhof. In: www.baader-meinhof.com
(11) Rienhardt, Joachim: Der Coup.
In: stern, 22. Januar 1998