Klein-Prozess

Absturz eines Kronzeugen

Der Angeklagte Klein widerruft im Opec-Verfahren seine Aussagen gegen angebliche RZ-Mitglieder.

Gemeinsam stehen sie vor Gericht: Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler. Wegen des Überfalls eines propalästinensischen Kommandos auf die Wiener Opec-Konferenz im Dezember 1975 wird ihnen vom Landesgericht Frankfurt/Main der Prozess gemacht.

Gemeinsam ist Klein und Schindler jedoch nur die Anklagebank, die sie seit dem 17. Oktober teilen. Denn einzig wegen Kleins Aussagen sitzt Schindler hier. Der 52jährige Klein, der nach seinem öffentlich inszenierten Ausstieg aus der Guerilla in den siebziger Jahren erklärte, keine noch lebenden Genossen und Genossinnen zu verraten, hat sich nach seiner Verhaftung in Frankreich 1998 anders entschieden. Neben Schindler belastete er die in Frankreich lebende Sonja Suder. Sie soll in die Vorbereitungen für die Opec-Aktion involviert gewesen sein, bei der drei Menschen getötet wurden.

Es versteht sich heute von selbst, dass der politische Kontext, in dem die später als »Carlos-Gruppe« bekannt gewordenen Militanten in Wien agierten, im Gerichtsaal fast spurlos verschwindet. Einzig Klein erinnert an Ereignisse, die ihn damals zur Beteiligung motivierten: die Ohnmacht der legal operierenden Linken, der Vietnam-Krieg, die israelischen Angriffe auf palästinensische Flüchtlingslager. »Die Opec-Staaten sollten dazu gezwungen werden, mehr Unterstützung und Solidarität für das palästinensische Volk zu zeigen«, sagte Klein am zweiten Prozesstag. Dabei blieb es aber auch in Sachen zeitgeschichtlicher Hintergrund. Schließlich stellte der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke gleich zu Beginn der Hauptverhandlung klar: »Dies ist eine Gerichtsverhandlung und kein historisches Seminar.«

Auch ein weiterer brisanter Aspekt dieses Prozesses soll nach dem Willen des Juristen unbeachtet bleiben: »die Gewinnung von Erkenntnissen über noch lebende Politiker«. Damit waren wohl deutsche Grüne wie Daniel-Cohn Bendit oder Joseph Fischer gemeint, die Klein zu seinen engen Freunden zählte. Denn ein ähnliches verordnetes Desinteresse an ausländischen Politikern war nicht auszumachen. Schließlich soll in dem Verfahren gerichtsverwertbar festgestellt werden, was seit Jahren als Vermutung oder sogar Wahrheit gehandelt wird: dass der Opec-Überfall vom libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi ausgeheckt und das Kommando von der Botschaft des Landes mit Waffen und Sprengstoff ausgerüstet sowie mit den nötigen Informationen über das Gebäude versorgt wurde. Sollte der Prozess dies bestätigen, so wäre das Bild vollständig, das westliche Regierungen sich lange Zeit von »Schurkenstaaten« machten.

Klein konnte hierzu allerdings wenig beitragen. Bislang bestätigte er vor allem, dass er nichts mit eigenen Augen gesehen, sondern seine Informationen aus Erzählungen Dritter bezogen habe. So reagierte er auf die Frage der Ankläger, woher er von der Waffenlieferung aus der libyschen Vertretung wisse, mit einer bescheidenen Antwort: »Das wurde mir gesagt.« Auf Nachfragen brachte Klein den Namen Wilfried Boese ins Spiel, ein Mitglied der RZ, das bei einer Flugzeugentführung eines palästinensisch-deutschen Kommandos im Jahr 1976 ums Leben kam.

Ähnlich dünn sind auch Kleins Vorwürfe gegen Schindler: der 57jährige soll an einem Treffen im Frankfurter Stadtwald teilgenommen haben, bei dem Klein für die Opec-Aktion gewonnen wurde. Zwar bestätigte der Angeklagte, dass Schindler anwesend war, doch bereits beim ersten Vorhalt begab er sich in Widerspruch zu früheren Einlassungen. Dass er mit Schindler zu diesem Meeting angereist sei, wie er einst behauptet hat, will Klein heute nicht mehr bestätigen. Im Gegenteil: »Ich bin ganz sicher nicht mit Schindler in der Straßenbahn gefahren.« Er sei alleine unterwegs gewesen.

Sichtlich verwundert hielt ihm Richter Gehrke dann die fünf Versionen des Treffens vor, die er seit seiner Festnahme angefertigt hat: War einmal Boese beteiligt, so fehlte er später, dafür tauchte das RZ-Mitglied Johannes Weinrich auf. In der vierten Version ging es nicht mehr um Schindler, in der fünften verschwand auch Weinrich wieder.

Dass die Ermittler nur die Version für glaubhaft hielten, in der Schindler belastet wird, stört Richter Gehrke wenig. Er führte einen zweiten Baustein der Anklage ein: Schindler und Suder sollen in Wien Wohnungen für die Aktion angemietet haben. Dazu Klein in früheren Aussagen: »Ich habe Schindler mit Sicherheit dort gesehen.«

Auch hier durchkreuzte der Mann alle Erwartungen an einen Kronzeugen. »Ich habe Schindler und Suder in Wien nie persönlich gesehen«, weiß er heute. Sogar Gehrke befürchtete wegen dieser »bedeutenden Rücknahme« Schlimmstes: »Auf dieser Aussage basiert ein wesentlicher Teil der Anklage.« Stille im Gerichtssaal. Auch ein letzter Versuch Gehrkes an diesem Tag sollte scheitern. Als der Richter weitere Aussagen zitiert, die Suder belasten, nimmt Klein auch diese zurück.

Fest steht nach den ersten Verhandlungstagen: Was er nach seinem Ausstieg aus der Guerilla in sein Buch »Rückkehr in die Menschlichkeit« schrieb, was er über die Opec-Aktion in Wien und über Pläne der RZ und der Bewegung 2. Juni zu wissen vorgab, war »trivial überhöht«, wie Klein selbst im Prozesssaal einräumte. Seine damalige »Wahrheit« reflektierte offenbar weniger seine Erinnerung, als die Bedingungen und Umstände, unter denen er sie formulierte - Erwartungen anderer, denen er mehr oder weniger freiwillig folgte.

Nach seiner Abkehr von der Guerilla wurde der Aussteiger zum Kronzeugen für die Politik der Frankfurter Spontis um Cohn-Bendit und Fischer. Und noch heute reklamiert etwa der »rote Dany«, »mehr gegen den Terrorismus getan zu haben als der deutsche Staat«. Das erklärte er vergangene Woche dem Hessischen Rundfunk. »Eine wahre Zersetzungsmaschine« gegen den bewaffneten Kampf habe man damals betrieben, rühmt sich der Ex-Sponti, der heute Fischer beisteht, wenn es gilt, wie im Fall Wallert die Dienste eines ehemaligen »Schurkenstaates« in Anspruch zu nehmen, um den Schutz deutscher Interessen zu gewährleisten.

Nun wird Klein abermals als Kronzeuge gehandelt. Glaubt man den Worten Kleins sowie seines Rechtsanwaltes Eberhardt Kempf, so hat es bislang mit der Staatsanwaltschaft »keine Absprachen« über Aussagebereitschaft und Strafnachlass gegeben. Klein müsste sich also, wie der Frankfurter Ankläger Job Tillman vorab formulierte, »seine Vorteile aufgrund seiner Aussagen« vor Gericht erst noch verdienen.

Was Klein bewogen hat, seine belastenden Aussagen dennoch zurückzunehmen, wird wohl zunächst sein Geheimnis bleiben. Für seine bisherige Haltung hat er jedenfalls schon jetzt einen hohen Preis gezahlt: Faktisch verhandlungsunfähig, musste sich Klein vergangene Woche nach einem Herzanfall einer Untersuchung unterziehen. Weniger überraschend verhalten sich hingegen Gericht und Staatsanwaltschaft. Statt den Haftbefehl gegen Schindler sofort aufzuheben und das Auslieferungsverfahren gegen Suder einzustellen, wird weiter verhandelt, als wäre nichts geschehen.