Anschläge auf jüdische Einrichtungen

Antisemitismus ohne Rechte

Seit Wochen erlebt Frankreich einen beispiellosen Anstieg bei Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen. Die Täter sind meist Jugendliche aus den Banlieues.

Über 100 Angriffe auf Einrichtungen der jüdischen Bevölkerungsgruppe und auf Kultstätten der jüdischen Religion haben seit Anfang Oktober in Frankreich stattgefunden. Dazu zählen der Brandanschlag auf die Synagoge von Trappes - einer westlich von Paris gelegenen Vorstadt - die dabei ausbrannte, und zahlreiche versuchte Brandstiftungen im Département Seine-Saint-Denis, der nördlichen Pariser Trabantenstadt-Zone. In der Lyoner Vorstadt Vénissieux wurde versucht, die Mauer der Synagoge mit einem so genannten »Rammbock-Auto« einzureißen - eine in den Trabantenstädten beliebte Methode: mit einem gestohlenen Wagen wird die Fassade eines Gebäudes durchbrochen, das geplündert werden soll.

In der Regel handelt es sich bei den Tätern um Jugendliche oder junge Männer, die aus der arabischen - meist maghrebinischen - Immigrationsbevölkerung stammen und bereits zuvor in anderem Zusammenhang straffällig geworden sind. Die Festnahme der fünf Attentäter von Trappes oder von drei jungen Männern, die Feuer an die Synagoge von Noisy-le-Sec (im Département Seine-Saint-Denis) gelegt hatten, belegen dies.

Zu einer ähnlichen Diagnose kam Mitte Oktober in einer Studie für Innenminister Daniel Vaillant der polizeiliche Nachrichtendienst Renseignements Généraux, eine Art französischer Verfassungsschutz. Demnach steht keine fest gefügte politische Organisation oder Struktur hinter den zahlreichen Attacken, sondern eine halbwegs »spontane« Organisation durch Banden und Jugendgruppen.

Bisher nicht nachgewiesen ist eine aktive Teilnahme französischer Neonazi-Gruppen. Doch es kursieren Berichte, wonach in den Hochhaussiedlungen des Pariser Umlands militante Rechtsextremisten versuchen, mit arabischstämmigen Jugendlichen in Kontakt zu treten, um gemeinsam den »Kampf gegen die Juden« zu bestreiten. Bislang seien diese Avancen jedoch zurückgewiesen worden.

Während des Golf-Kriegs 1991 hatte der neofaschistische Front National für den Irak Partei ergriffen und erstmals versucht, arabischstämmige Jugendliche zu rekrutieren. Nach Kriegsende wurde dieses Vorhaben jedoch nicht weiter verfolgt, da es sich kaum mit der gleichzeitig stattfindenden Hetze gegen die Immigrationsbevölkerung vereinbaren ließ.

Doch bereits damals identifizierten sich in bestimmten Milieus der Vorstädte arabischstämmige Jugendliche mit den Scud-Angriffen auf Israel. In der - in der Folge eher enttäuschten - Erwartung, dass die jungen Banlieuzards Partei für Husseins Irak ergreifen und sich radikalisieren würden, wurde damals der in abgeschwächter Form bis heute geltende Notstandsplan »Vigipirate« eingeführt. Er hat zu Personenkontrollen und Durchsuchungen geführt, die sich häufig gegen »Personen arabischen Aussehens« richten.

Auch Allone Igal sieht arabischstämmige Jugendliche als die Urheber der Attacken. Er ist der Besitzer des bekannten jüdischen Restaurants Tib's im 19. Pariser Arrondissement, das zu den ersten Opfern der Angriffe der letzten Wochen zählte: Ein Molotow-Cocktail flog nachts in den Eingangsbereich. »Seit kurzer Zeit«, berichtet Igal, »verstecken sie sich kaum noch.« Die Attentäter, maghrebinische Jugendliche aus einer 500 Meter entfernten Hochhaussiedlung, treten tagsüber offen und provozierend auf. Politische Forderungen würden nicht formuliert. »Sie begnügen sich damit, ihren 'Hass auf die Juden' auszusprechen, 'wegen dem, was in Palästina passiert'«, sagt Igal.

Die Rue Manin im 19. Arrondissement, wo das Tib's liegt, ist besonders exponiert. Hier grenzen jüdische Geschäfte und Restaurants an die Hochhaussiedlungen des Stadtrands, in denen viele arabische Einwanderer leben. Rassistische Diskriminierung und mangelnde soziale Perspektiven sind für diese Gegenden typisch.

Für viele der aus der arabischen und nordafrikanischen Immigration stammenden Jugendlichen ist der Nahost-Konflikt zur Projektionsfläche für ihre Frustrationen und Aggressionen geworden, die es ihnen vermeintlich erlaubt, in der Situation der Palästinenser ein Spiegelbild ihres eigenen Schicksals zu sehen. Die meisten von ihnen wissen weder viel vom Nahen Osten, noch vom Islam - auch wenn sie sich oft auf ihn berufen. Islam, das bedeutet für viele in erster Linie Antisemitismus. In einer Schulklasse im Département Seine-Saint-Denis machte eine Gruppe Jugendlicher die Runde und skandierte: »Wer ist hier Jude? Wer ist hier Jude?«

In der jüdischen Gemeinschaft herrscht wegen solcher Vorkommnisse eine Stimmung, die zwischen Angst - Restaurant-Besitzer Igal spricht sogar von einer »Psychose« - und der Forderung nach Gegenwehr oder Vergeltung schwankt. Angst herrscht vor allem in Familien, die Opfer der Shoah wurden.

Die Forderung nach militanten Gegenmaßnahmen macht sich insbesondere der Betar zu Eigen, eine Organisation, die dem Likud de France nahe steht und deren Methoden umstritten sind. Allone Igal berichtet, dass der Betar in den Tagen nach den Angriffen mit 300 jungen Männern die Rue Manin hinaufmarschierte, um seine Bereitschaft zu Gegenwehr oder Vergeltung zu demonstrieren. Von sich aus, fügt Igal hinzu, hätten die jüdischen Anrainer der Straße, die von koscheren Geschäften und Supermärkten geprägt ist, kein Interesse an einer Eskalation. So ist in Frankreich während der letzten Wochen kein Übergriff bekannt geworden, der von Juden ausgegangen wäre.