Einwanderungsdebatte in der CDU

Deutsche Streitkultur

Die CDU nutzt die Debatte um die Frage, ob Einwanderung ein Wahlkampfthema sei, um Wahlkampf zu machen. Die SPD zeigt sich in inhaltlichen Fragen nachgiebig.

Die »deutsche Leitkultur« ist Friedrich Merz nicht gut bekommen. Für seine Forderung, in Deutschland lebende Ausländer müssten bereit sein, »sich einer deutschen Leitkultur anzuschließen«, hat der Bundestagsfraktionschef der Union vorige Woche einiges einstecken müssen. »Zählt Entenhausen zur deutschen Leitkultur oder ist das schon Ausdruck der amerikanischen Überfremdung?« höhnte Außenminister Joseph Fischer.

Auch der bayerische Hardliner und Innenminister Günther Beckstein erklärte öffentlich, dass er in strategischen Fragen nicht gerade zu den Anhängern von Merz zähle. Und das, obwohl der am Wochenende rhetorisch auf Becksteins Wendung aus dem Sommer einging, wonach Deutschland mehr Ausländer brauche, »die uns nützen«, und weniger, »die uns ausnützen«. In einem Gastbeitrag für die Welt schrieb Merz, Deutschland brauche in den nächsten Jahren »eine andere Zusammensetzung der Zuwanderung«.

Laurenz Meyer schließlich, der designierte CDU-Generalsekretär, findet den Begriff »deutsche Leitkultur« zwar ebenfalls nicht falsch, aber »unscharf«: »Begriffe, die nicht automatisch verstanden werden, sind eher ein Problem.« Als ob der gemeine Nazi nicht verstanden hätte, was Merz damit meint. Denn inhaltlich rückte der kommende CDU-General keinen Deut von dessen Position ab. Im Gegenteil: »Es geht um unser Land. Frankreich hat die französische Leitkultur, Italien die italienische - warum sollen wir nicht die deutsche in unserem Heimatland haben?«

Man darf gespannt sein, welche Worte Meyer künftig wählen wird, damit »auch die Stammtische uns verstehen«, wie er seine Tätigkeit als Generalsekretär umreißt. Bundespräsident Johannes Rau (SPD) jedenfalls ermahnte er am Wochenende, »sich nicht in die parteipolitische Tagesdiskussion einzumischen«. Schließlich sei es »völlig klar, dass die Grundwerte unseres Grundgesetzes für alle gelten müssen, die in Deutschland leben«. Wenn es bei der Zuwanderungspolitik nicht zu einer Einigung mit der Bundesregierung komme, werde das Thema zwangsläufig im Wahlkampf aufgegriffen. Insofern ist sich die Unionsspitze einig. »Der Wahlkampf wird mit den Themen geführt, die die Menschen interessieren«, bekräftigte auch Parteichefin Angela Merkel.

Dass Meyer keine Problem damit hat, sich etwa mit schwarz-braunen Burschenschaftlern an einen Tisch zu setzen, stellte er erst Anfang dieses Jahres unter Beweis, er - damals noch als CDU-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag - der Jungen Freiheit ein Interview gab. In Sachen Ausländerpolitik hielt sich Meyer zwar noch zurück, beim Thema Einbürgerung sah er sich aber immerhin »auf bayerischer Linie«. »Jemand, der Deutscher werden will, sollte auch Deutsch können«, entgegnete Meyer auf die Frage, ob er einen strengen Sprachtest für alle Einbürgerungswilligen befürworte. Auch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor jeder Einbürgerung halte er für richtig, so Meyer.

Die Union wird also bis zu den im Frühjahr 2001 anstehenden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Debatte um die Frage, ob Einwanderung ein Wahlkampfthema sei, zu nichts anderem benutzen, als um Wahlkampf zu machen. Im neuen Focus zitierte Meyer in bester Wahlkampfmanier schon mal einen beliebten Bomberjacken-Aufnäher, als er sagte, er sei durchaus »stolz, ein Deutscher zu sein«. Und: In der Bundesrepublik lebende Ausländer müssten sich stärker an die hierzulande geltenden Regeln anpassen.

Merkel nutzte die aktuellen Auseinandersetzungen um den Begriff der Leitkultur ebenfalls zum Generalangriff auf die »Linken«.Diese seien mit ihrer Idee von der multikulturellen Gesellschaft gescheitert. Deshalb sei die Aufregung über Merz' Äußerung auch so groß. Allerdings könne die Union erst dann Rot-Grün attackieren, wenn sie ihre eigene Position beim Thema Zuwanderung geklärt habe. Das ist auch dringend nötig, hat sich die CDU doch immer noch nicht entschieden, ob sie es künftig lieber mit den Stammtischen oder mit der Wirtschaft halten will, deren wichtigste Vertreter sich klar gegen den Missbrauch der Einwanderungsdebatte zu Wahlkampfzwecken ausgesprochen haben.

So lässt sich auch erklären, dass Gerhard Schröder seinen Generalsekretär am Wochenende anwies, auf eine gesetzliche Regelung der Einwanderung noch im kommenden Jahr hinzuarbeiten. Franz Müntefering sagte, die von der Regierung eingesetzte Zuwanderungskommission unter der Leitung von Rita Süßmuth (CDU) werde bis Mitte nächsten Jahres einen Bericht vorlegen, auf dessen Basis entschieden werden müsse.

Angesichts des spätestens für 2010 prognostizierten Fachkräftemangels auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat sich auch die CDU längst zu mehr Zuwanderung bekannt. Unterschiedliche Auffassungen gibt es nur noch in Nuancen - etwa, ob das demnächst fällige Gesetz nun »Einwanderungsgesetz«, »Einwanderungssteuerungsgesetz« oder »Einwanderungsbegrenzungsgesetz« heißen soll. Einig ist man sich jedenfalls darin, dass nützliche - also für den deutschen Arbeitsmarkt verwendbare - Ausländer rein dürfen, die unnützen aber gefälligst draußen bleiben sollen.

Immerhin wollen SPD und Grüne zwischen Einwanderern und Asylbewerbern deutlich unterscheiden - also nicht die einen mit den anderen verrechnen - und das individuelle Recht auf Asyl beibehalten. Die CDU dagegen fordert, das Asylrecht nur noch als institutionelle Garantie weiterbestehen zu lassen - also de facto ganz aufzuheben. Zudem sollen mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gleich alle Arten von Migranten abgefertigt werden - Asylbewerber ebenso wie Bürgerkriegsflüchtlinge oder Green-Card-Bewerber.

Für Günther Beckstein ist jedenfalls klar: Je weniger Asylbewerber reinkommen, desto mehr Platz steht für nützliche Ausländer zur Verfügung. Sein Chef Edmund Stoiber forderte denn auch, den »Missbrauch des Asylrechts« zu beenden. »Wir müssen auch Mittel gegen Einwanderung festlegen, die wir nicht haben wollen«, so Stoiber. Etwas verschrobener drückt sich da der Chef der CDU-Zuwanderungskommission und saarländische Ministerpräsident, Peter Müller, aus: »Wer zwischen Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen und dem Asylrecht eine Brandmauer aufbauen will, begeht Realitätsverweigerung.«

Doch an solchen Kleinigkeiten wird die überparteiliche Einigung über das Zuwanderungsgesetz kaum scheitern, denn Realitätsverweigerung werden sich die Realos von SPD und Grünen sicherlich nur ungern vorwerfen lassen. Auch Beckstein ist sicher, dass sich Opposition und Regierung schon binnen zwei oder drei Monaten auf ein Zuwanderungsgesetz verständigen könnten. Beim Kampf gegen den »Missbrauch des Asylrechs« sei er sich mit Bundesinnenminister Otto Schily ebenso einig wie in der Frage, wie man die Anwerbung von Ausländern aus Drittstaaten am besten regeln sollte, versicherte Beckstein der Süddeutschen Zeitung.

Vor allem aber müssten Ausländer nach ihrer Bedeutung für den deutschen Arbeitsmarkt ausgesucht werden. Auch da seien er und Schily einer Meinung. Freundliche Signale auch von der anderen Seite: Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, verkündete am Wochenende in der Rheinischen Post: »Wenn Herr Schröder und Herr Stoiber so den Weg zueinander finden wie Herr Schily und Herr Beckstein, dann halte ich es für möglich, dass man innerhalb eines halben Jahres zu einem Ergebnis kommt.«

Nur einer will noch immer nicht mitspielen: Roland Koch. Der hessische Ministerpräsident forderte nicht nur Süßmuth auf, ihren Vorsitz in der großen Zuwanderungskommission niederzulegen, sondern verschärfte noch einmal die von Merz erhobene Forderung, Ausländer hätten sich der deutschen Kultur unterzuordnen. »Wir können auf Dauer nicht das einzige Land bleiben, in dem Zuwanderung vor allem aus dem Interesse derjenigen definiert wird, die zu uns wandern«, sagte er der Bild. Auch was Merz mit seinem Begriff von der Leitkultur denn gemeint habe, wusste Koch präziser zu fassen als der Fraktionschef: »Ausländer, die in unserem Land leben wollen, haben unsere Gepflogenheiten mindestens zu respektieren.« Mindestens.