Kommunalwahlen im Kosovo

Patriarchen gegen Kommandeure

Der Wahlsieg der Demokratischen Liga Ibrahim Rugovas ist ein Erfolg für die gemäßigten Kräfte im Kosovo. Doch die Unabhängigkeit der Provinz wird spätestens bei den serbischen Parlamentswahlen im Dezember neu verhandelt.

Symbole sind von zentraler Bedeutung, wenn man eine Nation begründen möchte. Deshalb war es für viele Kosovo-Albaner am Wochenende so wichtig, dass die albanische Fahne vor den Wahllokalen hing, in denen sie ihre Stimme für die neuen Gemeindevertretungen abgaben. Das Verhalten der Uno-Übergangsverwaltung (Unmik) kann ebenfalls symbolisch gedeutet werden. Obwohl das Hissen des albanischen Adlers verboten war - Kosovo gehört nach der Uno-Resolution 1 244 schließlich zu Serbien - gaben die internationalen Protektoren um den Unmik-Chef Bernard Kouchner am Ende nach. Eine »wundervoll positive Stimmung« wollte der Franzose am Wahltag ausgemacht haben. Und der deutsche Außenminister Joseph Fischer begrüßte den »friedlichen und fairen Verlauf der Kommunalwahlen«.

Das Geplänkel macht deutlich, worum es bei den ersten Wahlen im Kosovo seit dem Einmarsch der Nato-geführten Kfor-Truppen vor 16 Monaten hauptsächlich ging: Die kosovo-albanischen Akteure verstanden sie als ersten Schritt zur staatlichen Unabhängigkeit. »Diese Wahl hatte einen lokalen wie nationalen Kontext - nämlich die Unabhängigkeit des Kosovo«, frohlockte am Tag nach den Wahlen denn auch Ibrahim Rugova, dessen Demokratische Liga des Kosovo (LDK) nach ersten Auszählungen 60 Prozent der Stimmen gewann. Erst in zweiter Linie entschieden rund 85 Prozent der 900 000 registrierten Wählerinnen und Wähler darüber, wer in Zukunft in den Gemeinden die Geschicke der Nation im Wartestand lenken soll.

Rugovas LDK lag am Montag weit vor der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK), dem von Hashim Thaqi geführten Nachfolgeverein der Kosovo-Befreiungsarmee UCK. Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) unter Ramush Haradinaj, die zweitgrößte aus der Separatisten-Guerilla hervorgegangene Gruppierung, konnte ebenfalls Erfolge verbuchen. Damit wird die Rolle Thaqis, der als ehemaliger Oberkommandierender der UCK vom Westen lange Zeit umschmeichelt worden war, in Zukunft wohl an Bedeutung verlieren, auch wenn an seinem Sieg in der Region um Drenica kaum gezweifelt wird. Im Westen Kosovos hingegen, in der Gegend um Pec und Prizren, könnte es zu lokalen Koalitionen zwischen Rugova-Anhängern und der Fraktion von Haradinaj kommen.

Mit Lokalpolitik jedoch hatte der Wahlkampf wenig zu tun - den 5 500 Kandidaten aus 19 Parteien und drei Bürgerinitiativen ging es vor allem um die Unabhängigkeit. »Heute oder morgen; besser heute«, wie Rugova fordert, der sich von den UCK-Nachfolgern insofern positiv unterscheidet, als er nach der Aufhebung des Autonomiestatuts 1989 zunächst auf passiven Widerstand gegen die serbischen Behörden setzte. Am liebsten wäre es ihm, wenn die Unabhängigkeit anerkannt würde, solange die Schutztruppe Kfor und die Uno-Verwaltung präsent sind. Verrottete Krankenhäuser wiederum, miserabel ausgestattete Schulen, sich türmende Müllberge und fehlende Wasserversorgung waren kein Thema - auch wenn sich die 920 neu gewählten Vertreter von 30 Kommunalparlamenten bald darum kümmern müssen. Mehmet Kraja, Redakteur der Tageszeitung Koha Ditore, kritisierte: »Die politischen Parteien haben sich nicht den pragmatischen Aufgaben gestellt.«

Politische Differenzen zwischen den drei größten Parteien sind auch auf dem Papier kaum zu erkennen. Neben der Unabhängigkeit wollen alle die Integration des Kosovo in die Europäische Union und die Nato. Auch sonst haben die Programme den Anschein von westlichem Politik-Design. So zählen der Schutz der Menschenrechte, demokratische Partizipationsmöglichkeiten und die Respektierung von Minderheiten zu den Essentials. Geradezu lachhaft angesichts der Tatsache, dass sich von den 100 000 in der Provinz verbliebenen Serben gerade einmal 1 000 registrieren ließen. Der Rest boykottierte die Wahlen aus Protest gegen den Terror albanischer Nationalisten, die seit dem Abzug der jugoslawischen Armee für die Massenvertreibungen verwantwortlich sind.

Auch Shkëlzen Maliqi, einer der wenigen besonnenen Intellektuellen im Kosovo, macht sich inzwischen weniger Sorgen um die Ausgrenzung der serbischen Minderheit als um die neu entdeckte Liebe des Westens zu den Machthabern in Belgrad. »Die warme Aufnahme des neuen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica besorgt die Albaner. Sie fürchten, Serbien könnte zum Schaden des Kosovo bevorzugt werden. Die Drohung mit dem Verlust ausländischer Hilfe und ausländischen Schutzes führt dazu, dass die kosovo-albanischen Reihen geschlossen werden.«

Das sind sie allerdings ohnehin schon - auch wenn die Erfolge von Rugovas LDK die UCK-Nachfolger in AAK und PDK neu herausfordern könnten. Offenbart sich in deren schlechtem Abschneiden doch auch der Frust großer Bevölkerungsteile angesichts der oftmals mafiösen Praktiken der UCK-Kommandanten, die nach dem Krieg viele Gemeindeverwaltungen übernommen hatten. Ob sie den ihnen zugewiesenen untergeordneten Platz akzeptieren werden, ist noch ungewiss. Die internationale Polizei IPTF und die Kfor-Truppen rechneten nach dem ruhigen Wahltag damit, dass es in Zukunft zu Auseinandersetzungen kommen könnte.

Interessant an der Machtverschiebung ist besonders der dahinter stehende Generationenkonflikt. Rugova (56), der fast gleichzeitig mit der Aufnahme des bewaffneten Kampfes durch die UCK im Frühjahr 1998 bei Untergrundwahlen zum »Präsidenten« gewählt wurde, pflegte stets ein pragmatischeres und rationaleres Verhältnis zur serbischen Politik als die jüngeren Akteure wie Thaqi und Haradinaj. Immer noch genießt er das Vertrauen der älteren Generation - unabhängig davon, dass er den bewaffneten Kampf der UCK abgelehnt hat. Seine Bereitschaft, mit dem neuen jugoslawischen Präsidenten Gespräche aufzunehmen, hatte er bereits vor den Wahlen bekräftigt. Kostunica aber erkannte die Wahlen nicht an und monierte, sie trügen zur Legalisierung einer »mono-ethnischen« Gesellschaft bei. Vor großen Problemen steht so auch die Uno-Verwaltung, der es schwer fallen dürfte zu begründen, weshalb die Kosovo-Bevölkerung an den serbischen Parlamentswahlen im Dezember nicht teilnehmen darf, obwohl die Provinz offiziell Teil der Republik ist.

Das sind Probleme, mit denen sich die 32jährigen Ex-UCK-Kommandanten Thaqi und Haradinaj nicht beschäftigen wollen. Rugova griffen sie noch vor Beginn des Nato-Krieges im März letzten Jahres als »Kolloborateur« an. Sein Händedruck mit Slobodan Milosevic während des Krieges schien ihnen Recht zu geben. Die 1989 einsetzende Desintegration Jugoslawiens nutzten sie, um auf den wirtschaftlichen und sozialen Zerfall der Provinz wie ihre sezessionistischen Vorbilder in Kroatien und Bosnien-Herzegovina militärisch reagieren zu können.

Sechzehn Monate nach dem Ende des Nato-Krieges und rund vier Wochen nach dem Sturz Milosevics hat sich die Form der Verteilungskämpfe freilich geändert. Gestützt auf die patriarchal-klientelistischen Strukturen der agrarischen Kosovo-Gesellschaft, die von kleinbäuerlicher Subsistenzwirtschaft und entsprechenden Moralvorstellungen geprägt ist, wirken die Auseinandersetzungen wie archaische Clan-Kämpfe. Tatsächlich aber handelt es sich eher um Begleiterscheinungen der globalen kapitalistischen Modernisierung, die eine periphere Provinz nach dem Scheitern eines nachholenden Entwicklungsversuchs wieder in den freien Weltmarkt entlässt.

Die Gruppen, die sich im Kosovo als politische Parteien präsentieren, sind denn auch eher als politische Unternehmen zu verstehen, die unter der Führung lokaler charismatischer Chefs um die wenigen Ressourcen kämpfen. Ob die Ex-UCK-Kommandanten dabei künftig eine Rolle spielen werden, dürfte deshalb vor den serbischen Parlamentswahlen am 23. Dezember die spannendste Frage in der Provinz bleiben. Seine Unterstützung im Kampf gegen Belgrad hat den kosovo-albanischen Radikalen jedenfalls schon Tom Koenigs zugesagt, der Leiter der zivilen Uno-Verwaltung im Kosovo. Der Ex-Vietcong-Sympathisant und frühere Frankfurter Stadtkämmerer sprach sich am Montag dafür aus, spätestens im nächsten Jahr allgemeine Wahlen durchführen zu lassen. Das sei notwendig, so der enge Vertraute von Außenminister Fischer, um die Verhandlungsposition des Kosovo gegenüber Serbien zu stärken. Sprich: um die Option der Unabhängigkeit zu erhalten.