FPÖ-Affäre

Patriotische Spitzel

Jörg Haider und die Funktionalität der Krise in der FPÖ.

An ein Stehaufmännchen erinnert in den letzten Wochen viele Österreicher das einfache FPÖ-Mitglied Jörg Haider. Während sich seine Partei immer mehr in eine Spitzelaffäre verstrickt, scheint der Kärntner Landeshauptmann wieder einmal auf die Füße zu fallen. Dabei hat Haider eigentlich nichts zu lachen. Denn das geheime Datenmaterial, das, wie Josef Kleindienst, ein ehemaliger Personalvertreter der freiheitlichen Polizeigewerkschaft aufdeckte, aus Polizeibeständen entwendet worden war, wurde vor allem an hohe FPÖ-PolitikerInnen aus der Umgebung Haiders weitergegeben.

Nun ermittelt die Justiz nicht nur gegen Haider, sondern auch gegen den ehemaligen FPÖ-Fraktionschef Ewald Stadler, den Wiener FPÖ-Vorsitzenden Hilmar Kabas und andere. Im Zentrum der Affäre steht mittlerweile der Haider-Intimus Dieter Böhmdorfer, der 1995 in einem Prozess Haiders und Stadlers die illegal beschafften Informationen aus dem Polizeicomputer verwendet haben soll. Als Justizminister ist Böhmdorfer mittlerweile Chef der Behörde, die den Skandal aufklären soll.

In seinem Buch »Ich gestehe. Was ein Polizist über die Exekutive weiß« schreibt Kleindienst, die geklauten Informationen seien vor allem eingesetzt worden, um »politische Gegner in TV-Diskussionen mundtot zu machen«. Nach Recherchen österreichischer Magazine zählten zu den Bespitzelten der Künstler André Heller, der ehemalige Wiener SP-Bürgermeister Helmut Zilk und der ehemalige SP-Innenminister Caspar Einem.

Sowohl in Umfragen als auch in Wahlen verliert die FPÖ seit der Aufdeckung der Affäre an Terrain. Am 15. Oktober büßte sie bei den steirischen Landtagswahlen trotz TV-erfahrener Spitzenkandidatin fast fünf Prozent ein. Haider schäumte. Jetzt schlägt er verbal und juristisch wild um sich und droht mit dem Rückzug der FPÖ aus der Regierung. Viele Menschen in Österreich atmen auf, weil Haiders Himmelfahrt ins Kanzleramt gestoppt zu sein scheint.

Wenn aber nun die GegnerInnen der schwarzblauen Regierung in Jubel ausbrächen, so wäre ihnen erstens zu entgegnen, dass dem Formtief der FPÖ nicht eine Bewegung der Wählerstimmen von rechts nach links entspricht, sondern eine Konsolidierung der rechtskonservativen ÖVP, die sich vermehrt der Idylle von Heimatseligkeit, Sparefroh-Dasein und patriotischer Selbstgenügsamkeit hingibt und mit Kanzler Wolfgang Schüssel, Klubobmann Andreas Khol und den sechs ÖVP-Landeshauptleuten zur nationalen Ideologie der ultra-autoritären fünfziger und sechziger Jahre zurückkehrt.

Nach einem ersten, 1994 misslungenen ÖVP-Anlauf mit dem »Schüssel-Ditz-Kurs« - durch den in Anspielung auf den Raab- Kamitz-Kurs der späten Fünfziger kaum verhohlen die Rückbesinnung auf die reaktionäre Nachkriegszeit betrieben wurde - wird nun über den Kanzler-Bonus und die staatsgetragene Macht der kleineren, aber gewichtigeren Regierungspartei flächendeckend ein kleinbürgerlicher Patriotismus eingeführt.

Gleichzeitig sollte den aktuellen FP-Krisen-Theoretikern aber auch die bisherige Entwicklung dieser Partei zu denken geben. Rückschläge kündigten immer wieder autoritäre Säuberungsaktionen innerhalb der Partei an, die danach gestärkt in die Gewinnzone zurückkehrte.

Solche Comebacks waren immer nur möglich durch die kräftige Mithilfe der damaligen Regierungsparteien, die fleißig zur nationalen Forcierung der Kontrollgesellschaft beitrugen und mutmaßlich auch in diverse Informationsbeschaffungen involviert gewesen sind. Während es sich bei den aktuellen Spitzelskandalen vor allem um die Weitergabe von Daten aus dem Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem (Ekis) an hohe FPÖ-PolitikerInnen handelt, wurde 1997 in Salzburg direkt in den Datenbestand des stellvertretenden Landeshauptmanns Gerhard Buchleitner (SPÖ) eingebrochen. Am Salzburger Landesfeiertag war die EDV-Anlage der Landesverwaltung durch eine Virusattacke für wenige Stunden lahm gelegt. In dieser kurzen Zeit gelangten Mitarbeiter des FPÖ-Landesklubobmanns Karl Schnell an die Festplatte des SPÖ-Politikers und kopierten vertrauliche Daten über Personalumsetzungsstrategien. Die wurden dann auch prompt von Schnell an die Öffentlichkeit gebracht und skandalisiert.

Tiefpunkt der FPÖ-Krise war das Jahr 1998, das Haider schon an seinem Anfang zum Schicksalsjahr der damals kurzfristig in eine F-»Bewegung« umgetauften Partei ausrief. Nach einigen kleineren Skandalen bei den Landesparteien brach im Mai 1998 der Fall Rosenstingl mit voller Wucht über die Partei herein. Der FPÖ-Nationalrat Peter Rosenstingl hatte sich als Betrüger entpuppt, der gleich mehrere hundert Millionen Schilling veruntreut hatte; er setzte sich nach Brasilien ab. Mehrere niederösterreichische FPÖ-Mandatare waren in die Betrügereien involviert, die Partei geriet zum ersten Mal in ernsthafte Schwierigkeiten. Auf diese Serie von Skandalen folgte jedoch das erfolgreichste Jahr der FPÖ, das Jörg Haider in Kärnten 42 Prozent der Stimmen und den Posten des Landeshauptmanns brachte. Im Herbst stieg die FPÖ sogar zur zweitstärksten Partei im Nationalrat auf.

Auch nach vielen kleineren »Ausrutschern« und den bekannten rechtsextremen Äußerungen wirkte die Stehaufmännchen-Automatik. Sie ging immer einher mit hysterischen Rücktrittsdrohungen Haiders, der gleichzeitig selbst oder durch Gefolgsleute innerparteilich für Ordnung sorgte. Nun, da er nur noch ein »einfaches Parteimitglied« ist, könnte Haider die umgekehrte Taktik anwenden und an die Parteispitze zurückkehren. Erste Aufforderungen, vor allem aus den FPÖ-Hochburgen Salzburg und Kärnten, waren schon zu vernehmen.

Eine andere Variante, mit der sich zu große Langeweile für Jörg Haider und die von ihm abhängige Medienmeute vermeiden ließe, wäre es, die Auflösung der schwarzblauen Koalition zu provozieren. In Wien wird im nächsten Jahr gewählt. Der wegen seiner Bordellbesuche und verbale Entgleisungen (er nannte den Bundespräsidenten nach eigener Darstellung nicht »Lump«, sondern »Hump« oder »Dump«) auch im rech-ten Mainstream als angeschlagen geltende Wiener Parteiobmann Kabas könnte sich trotz seiner Neigung zu rassistischen und antisemitischen Anklängen für Haider als nicht effektiv genug erweisen.

Auch das könnte ein Anlass sein, um das Stehaufmännchen aus der Kärntner Einöde zurückzuholen.

Gerald Raunig ist Kunsttheoretiker und Mitglied im Vorstand der IG Kultur Österreich. Von ihm erschien zuletzt: Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands, Turia & Kant, Wien 2000