Krise in Nahost

Zweierlei Einigkeit

Während in Israel eine Notstandsregierung gebildet werden soll, bemühen sich die Palästinenser um eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Islamisten.

Als sich am vergangenen Donnerstag im Gaza-Streifen ein palästinensischer Selbstmordattentäter in die Luft sprengte, schienen sich sämtliche Befürchtungen zu bewahrheiten. Zwar ist es bislang noch zu keinem Attentatsversuch in Israel selbst gekommen, doch Armee und Geheimdienste warnen vor genau solchen Aktionen. Denn Sprecher der Hamas und des Islamischen Djihad haben unter anderem gegenüber der Washington Post klar gemacht, dass solche Angriffe derzeit geplant werden. Insbesondere die Entlassung vieler militanter Islamisten aus den palästinensischen Gefängnissen hat in Israel zu großer Besorgnis geführt.

Noch ist unklar, ob die Islamisten auf Anordnung der palästinensischen Führung freigelassen wurden, oder ob sie sich nach den israelischen Angriffen auf die palästinensischen Polizeistationen selbst befreien konnten. Dennoch steht fest, dass Arafat und die Fatah um eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Islamisten bemüht sind. Marouane Barghouti, Generalsekretär der Fatah in der West Bank, erklärte in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde, dass sowohl Hamas als auch Djihad in den lokalen »Komitees der nationalen und islamischen politischen Kräfte« mit der Fatah zusammenarbeiten. »Manchmal verfolgen sie, so wie wir, ihre eigenen Aktivitäten«, so Barghouti, »aber alles in allem arbeiten wir gut zusammen, sind wir sehr einig.«

Zwar besteht Barghouti darauf, dass die Fatah weiterhin die Bewegung führe. Tatsächlich sind bislang auch weniger die Islamisten als vielmehr Fatah-Aktivisten wie Barghouti in Erscheinung getreten. Dennoch scheint klar, dass gerade die Radikalisierung der Fatah den islamistischen Organisationen wieder einen größeren Stellenwert unter den Palästinensern beschert. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass mit der libanesischen Hisbollah eine islamistische Organisation zum Vorbild für den Aufstand der Palästinenser wurde, trägt zu dieser Entwicklung bei.

Auch auf israelischer Seite zeichnet sich eine Radikalisierung ab. Zwar ist die Bildung einer »Notstandsregierung« mit dem Likud bis zum Wochenende noch nicht gelungen, doch scheint dies nur eine Frage der Zeit zu sein. Barak jedenfalls ist zu diesem Schritt entschlossen, und in seiner Partei One Israel sind die Widerstände gering. Der Likud ist in dieser Frage eher gespalten, sehen doch die Anhänger des früheren Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu dessen Chancen, Ariel Sharon vom Parteivorsitz zu vertreiben, bei einer großen Koalition schwinden. Inhaltlich sind Barak und Sharon hingegen nicht mehr sehr weit voneinander entfernt. Der Forderung des Likud-Chefs, den Friedensprozess zu unterbrechen, ist Barak bereits nachgekommen.

Als entschiedene Gegner einer Regierung der »nationalen Einheit« haben sich innerhalb One Israels bislang nur Justizminister Yossi Beilin und wenige andere Abgeordnete erklärt. Beilin kündigte für diesen Fall seinen Rücktritt an. Auch die liberale Partei Meretz steht nach einer Aussage des Vorsitzenden Yossi Sarid für eine solche Koalition nicht zur Verfügung.

Deutlicher ist die Kritik in der liberalen Öffentlichkeit. In einem Leitartikel der Zeitung Ha'aretz wurde am vergangenen Mittwoch gefordert, dass die Friedensbewegung Barak diesen »fatalen Fehler« nicht erlauben dürfe. Für den Historiker Zeev Sternhell bedeutet eine Koalition mit dem Likud eine »Regierung des moralischen und politischen Bankrotts«.

Für Barak ist die Regierung der »nationalen Einheit« weniger eine sicherheitspolitische Notwendigkeit als eine Frage des eigenen politischen Überlebens. Der Beginn der winterlichen Sitzungsperiode der Knesset in dieser Woche ist das entscheidende Datum, denn im Parlament verfügt Barak zur Zeit über keine Mehrheit. Trotzdem müsste Barak sein Schicksal nicht unbedingt in die Hände des Likud-Vorsitzenden Sharon legen. Die religiösen Parteien, insbesondere die Shas, ließen in den letzten Tagen erkennen, dass man während des Notstandes die Regierung nicht stürzen wolle. Sogar die Möglichkeit einer erneuten Koalition wird in Erwägung gezogen. Barak müsste dafür allerdings seine geplante »säkulare Revolution« erst einmal vertagen. Vor allem aber müsste er selbst wieder den Friedensprozess an die Spitze seiner politischen Agenda setzen.

Um jedoch aus einer solchen Übergangslösung wieder eine stabile Regierung zu formen, die auch eine Basis für die Fortsetzung des Friedensprozesses sein könnte, braucht Barak noch einen weiteren Partner: die arabischen Israelis. Hier scheinen die Gräben allerdings unüberwindbar zu sein. Die Enttäuschung der Araber über Barak, den sie in ihrer übergroßen Mehrheit gewählt haben, ist immens. In einem Interview mit Ha'aretz erklärte der Herausgeber der größten arabischen Zeitung A-Sinara, Lufti Mashour, dass es mit der Unterstützung der arabischen Israelis für die Arbeitspartei, also den Kern von One Israel, definitiv vorbei sei. »Unter der Regierung Barak«, so Mashour, »haben die Araber ihre Anerkennung als Staatsbürger verloren.«

Denn zur gleichen Zeit zeichnet sich unter den arabischen Israelis ein deutlicher Gesinnungswandel ab. Während sie sich bisher in erster Linie als Israelis verstanden haben, so sehen sie sich nun zuerst als Palästinenser. Nicht nur die eigene soziale Situation, sondern auch das Gefühl der Verbundenheit mit den palästinensischen »Brüdern und Schwestern« jenseits der grünen Linie hat sie auf die Straße getrieben. Religiöse und ethnische Identitätskonstruktionen scheinen auch hier gegenüber materiellen oder politischen Interessen die Oberhand zu gewinnen. Diese Entwicklung droht das Verhältnis des israelischen Peace Camp zur arabischen Bevölkerung nachhaltig zu zerstören.

Allerdings ist das Vertrauen auf die zionistische Linke schon jetzt verloren. Dass es ausgerechnet der friedliebende Shlomo Ben-Ami in seiner Eigenschaft als Minister für öffentliche Sicherheit war, der die Opfer unter den arabischen Israelis zu verantworten hat, wird man nicht so schnell vergessen.

Auch das Verhältnis der sozialliberalen Friedensfreunde zu den Palästinensern außerhalb Israels ist zerrüttet. Die Kontakte zwischen den Aktivisten von Labour, Meretz oder Shalom Ahshav und ihren palästinensischen Partnern sind so gut wie abgerissen. Nicht nur von palästinensischer Seite, auch vom linken Flügel der israelischen Friedensbewegung, etwa von Gush Shalom, wird dem linksliberalen Establishment vorgeworfen, sich umstandslos die Interpretation des Scheiterns von Camp David durch Barak zu Eigen gemacht zu haben und nun in die nationale Einheitsfront eingeschwenkt zu sein.

Doch auch von den israelischen Linken ist in diesen Tagen nicht allzu viel zu sehen. Zwar sind sie die einzigen, die die Kontakte zu den Palästinensern noch aufrecht erhalten und auch zu gemeinsamen Aktionen aufrufen. Aber wie schon während des Gipfels in Camp David gibt es auch jetzt keine großen landesweiten Demonstrationen. Dies zeigt, dass auch in Israel die politische Linke marginalisiert ist und nur im Bündnis mit dem liberalen Establishment Massen auf die Straße bringen kann. Die Kampagne gegen eine Regierung der »Nationalen Einheit«, an der sich auch die gemäßigten Teile der Friedensbewegung beteiligen, könnte der Ansatzpunkt für ein neues Bündnis dieser Art sein.

Eine zweite Grundlage für ein solches Bündnis könnte vielleicht die Übereinstimmung darüber sein, dass der Friedensprozess nicht die Existenz Israels in Frage stellen darf. Reuven Kaminer, langjähriger Aktivist der Kommunistischen Partei Israels, kritisierte in einem jüngst veröffentlichten Artikel die Position israelischer »Ultra-Radikaler«, die mit ihrer Forderung nach »einem demokratischen und säkularen Staat in ganz Palästina« den Friedensprozess ebenso gefährdeten wie die israelische Rechte. Demgegenüber besteht Kaminer auf dem »Bekenntnis zu den nationalen Rechten beider Völker«. Nicht zuletzt von der Frage, ob sich die Palästinenser diesen Rechten auch in Zukunft verpflichtet fühlen, hängt das Schicksal des Friedensprozesses insgesamt ab.