AKW Temelín und Proteste aus Österreich

Hausmeister unter Strom

Im Protest gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelín sind sich alle österreichischen Parteien einig.

Von rechts bis links sind in Österreich alle vereint im Kampf gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelín. Das AKW liegt 60 Kilometer nördlich des oberösterreichischen Grenzübergangs Wullowitz. Seit Monaten blockieren mit staatlicher Billigung Tausende besorgter Österreicher die Grenzübergänge zur Tschechischen Republik. Nun kulminiert der Streit. Nach fast 20 Jahren Bauzeit will der staatliche Strommonopolist CEZ den ersten Reaktor in den nächsten Tagen aktivieren. Im Jahr 2002 soll Temelín endgültig betriebsbereit sein und mit zwei Reaktorblöcken ans Netz gehen.

Unterstützung bekommen die Atomkraftgegner von ihren Volksvertretern. Die blau-schwarze Regierung droht damit, ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens einzulegen, wenn der Reaktor ans Netz geht.

Der Bau des AKW Temelín begann in der damaligen Tschechoslowakei im Jahre 1983. Ursprünglich waren vier Reaktoren des sowjetischen Typs WWER-1000 geplant, nach 1989 aber wurde die Arbeit an den Blöcken drei und vier eingestellt. Im März 1993 beschloss die tschechische Regierung die Fertigstellung von Reaktor eins und zwei. Für fast fünf Milliarden Mark hat die CEZ die beiden Reaktoren mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerüstet. Tschechien will mit dem Strom aus Temelín ein Fünftel seines Verbrauches decken und im Gegenzug die luftverpestenden Kohlekraftwerke im Norden des Landes stilllegen.

Österreichs nationale Atomkraftgegner sehen die Sicherheit des Landes durch das AKW bedroht und bemängeln vor allem die Sicherheitsvorkehrungen, die nach ihrer Darstellung den westlichen Standards nicht genügen. Außerdem beanstanden sie, dass die Tschechen ihre Wohnungen mit elektrischen Heizungen ausgestattet hätten. Das Prager Umweltministerium habe dadurch die Nachfrage nach Temelín erst künstlich geschaffen, so die Argumentation auf den Internetseiten der Atomkraftgegner.

Als stärkste Gegnerin des Atomkraftwerks Temelín gebärdet sich die FPÖ. Sie rühmt sich, bereits 1997 die Unterstützung des tschechischen EU-Beitritts von der Frage abhängig gemacht zu haben, wie die Republik zu Temelín steht. Im November 1999 forderten die Freiheitlichen, die jährlichen Ausgaben für die Anti-Temelín-Gruppen auf sieben Millionen Schilling anzuheben. Damals stimmten ÖVP und SPÖ noch dagegen. Jetzt überschlagen sich alle Parteien in ihrem Kampf gegen das tschechische Atomkraftwerk.

Im Sommer dieses Jahres erklärten die Vertreter aller neun österreichischen Landtage, sie hielten die Nutzung der Atomenergie für den falschen Weg und wollten alles tun, um einen Ausstieg herbeizuführen. Einig waren sich alle, von den Grünen über SPÖ und ÖVP bis zur FPÖ. Auch auf den Demonstrationen und Grenzblockaden treten Vertreter aller Parteien und der Anti-Atom-Bewegung gemeinsam auf. So meldete am 10. Oktober der Freiheitliche Pressedienst: »Mit vereinten Kräften und im wahrsten Sinne an der Front ðWullowitzÐ zeigten sich gestern Abend bis in die späten Nachtstunden die Freiheitlichen Oberösterreichs im Kampf gegen die für Montag geplante Inbetriebnahme des AKW Temelín.«

Auch die einheimische Wirtschaft will nicht zurückstehen, selbst wenn die Grenzblockaden wirtschaftliche Nachteile bringen. Die Unternehmer im oberösterreichischen Mühlviertel erklärten, für die »übergeordneten Interessen« nähmen sie die Grenzblockaden in Kauf. Die Nation steht auf gegen die bösen ausländischen Atomkraftwerke.

Gemütlich inländisch ging es dann auch bei den Protesten zu. Im Herbst hatten die Blockaden in Wullowitz begonnen. Das Rote Kreuz verteilte heißen Tee, Essen, Zelte und stellte die medizinische Betreuung sicher. Die Molkerei Freistadt lieferte den Joghurt und der Bauernladen das frische Brot. Die Stimmung war gut. Feuerspucker waren am Werk. Blaskapellen lieferten die Hintergrundmusik.

Die Protestierer brauchen keine Angst vor den ansonsten nicht zimperlichen österreichischen Sicherheitskräften zu haben. Anfang Oktober versicherte Bundeskanzler Schüssel (ÖVP), dass er nicht daran denke, die »friedlichen Kundgebungen« mit Gewalt aufzulösen. Auch Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) befürwortet den Widerstand. Während eines Gesprächs mit einer Delegation österreichischer Atomkraftgegner am 10. Oktober in Wien stellte sie außerdem klar, wer der Herr im europäischen Haus ist: »Wer Mitglied der europäischen Union werden will, muss sich an die Spielregeln halten, sonst gibt es eben keinen Beitritt.« Die FPÖ-Politikerin muss es ja wissen.

In der EU sieht es mit dem Protest schon etwas anders aus. Das Energiekapitel des EU-Statuts legt die Beitrittskandidaten lediglich auf einen »hohen Standard« für ihre Kraftwerke fest. Die Unterhändler können beim Thema Atomstrom keine klaren Bedingungen stellen, denn selbst innerhalb der Gemeinschaft ist dieser Aspekt nicht geregelt. Denn EU-Mitglieder wie Frankreich oder Großbritannien, für die die Atomfrage die nationale Sicherheit und Souveränität berührt, sind nicht bereit, Kompetenzen an Brüssel abzutreten. Die EU kann folglich von Prag nicht verlangen, was sie von Paris, London oder anderen EU-Regierungen nicht einfordern darf. Österreich wird in dem Streit daher wohl das Nachsehen haben.

Zu einem Zwischenfall kam es während der Grenzblockade vergangene Woche. Reporter des tschechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens (CT) wurden von österreichischen Grenzbeamten »mit Grobheit« verdrängt. Die österreichische Regierung wiegelte ab. Außenamtssprecher Walter Greinert erklärte gegenüber APA, die Grenzbeamten hätten das Fernsehteam lediglich daran gehindert, das Grenzgebäude zu filmen. Das einschlägige Verbot werde üblicherweise respektiert.

In Tschechien beobachten selbst Atomkraftgegner das Verhalten Österreichs mit Misstrauen. Die Tageszeitung Lidovc noviny brachte die Kritik in einem Kommentar auf den Punkt: »Aus all dem wird klar, dass der Temelíner Humbug Österreich die Rückkehr nach Europa erleichtern und seine Rolle als wachsamer Hüter von Sicherheit und Ordnung demonstrieren soll, damit ðdie BehmÐ nicht vielleicht glauben, dass die Türen des europäischen Hauses jedem offen stehen. Der österreichische Hausmeister ist ein verlässlicher Garant.«