Clubs und Bars in Mitte

Schluss mit durstig

Gefährliche Orte CXIX: Clubs und Bars in Mitte. Der Hype um die Abendgestaltung im Regierungsbezirk kommt viel zu spät. Denn Mitte ist langweilig geworden.

Die Single der Berlin Mitte Boys sorgte für angenehme Aufregung. Und zwar mit einer simplen Behauptung: »Hackescher Markt statt Broadway«. Alle haben diese Textzeile belacht, allen hat sie sehr gefallen - denn da konnten alle mitreden. Sie nicht? Dann sind Sie wohl kein Fan des Hauptstadtbezirks Mitte? Und Sie leben dann auch nicht auf dieser kleinen Insel, die die alte West- und Ostberliner Inselerfahrung nachzustellen versucht: Hier kreist alles um sich selbst. Denn Berlin insgesamt - und Mitte insbesondere - macht ein wenig blöd. Täglich werden die Augen von so vielen neuen Baustellen, Ladenöffnungen und Witzfiguren der Lokalpolitik strapaziert, dass man die Existenz einer anderen, komplexeren Welt beinahe vergessen kann. So wird Mitte zu dem, was man für ein Dorf hält. Ja, schlimmer noch: Mitte wird dörflicher, als ein Dorf je werden kann.

Mitte ist also eine Insel, so wie früher. So wie immer schon seit den zwanziger Jahren. Der Harald Juhnke dieser Welt ist Jürgen Laarmann. Den Michael Graeter macht der Crossdresser Marcello, der in der Umsonstpostille 030 die Kolumne »Marcellas heiße Spalte« mit niedlichen Obszönitäten füllt. Aber: Die beiden sind so wenig Juhnke und Graeter wie der Cocktailmixer Cooky ein Udo Walz ist. Und - Stefan Heidenreich ist gar nicht Wim Wenders. Ach ja: Schlingensief ist auch nicht Romy Haag. Und das »WMF« nicht das »Café Keese«. Aber sie alle sind es doch. Und sie spielen ihre Rolle gut.

Mitte und das mittesche Besonderssein - das waren in den letzten zehn Jahren vor allem die unzähligen Clubs, die das Gefühl von Hedonismus und Alles-ist-möglich vermittelten und zur Verwirrung ob des Zusammenbruchs der Systemkonkurrenz den passenden Soundtrack lieferten. Der wilde Osten war mitsamt seinen leerstehenden Wohnungen - die DDR plante für den Beginn der neunziger Jahre eine große Bauoffensive und siedelte daher systematisch die Bevölkerung nach Marzahn um - offen für nahezu jeden. Entsprechend reich war zunächst das Angebot an Wohnzimmerbars und Technohallen. Meist waren das einfach nur irgendwelche Keller.

Bezirksverwaltung und Baupolizei zeigten sich überfordert, weshalb erstmal total illegal oder halblegal - als Galerie oder ständige Geburtstagsfeier - wenigstens fünf Dutzend professionelle Bars und Clubs die ersten Monate überleben konnten. Dann hatte man sich auf ein Spiel mit der Polizei eingestellt, verlegte die Partys z.B. auf jeden sechsten Kalendertag, oder nannte sich »Montags-«, »Freitags-« oder »Sonntagsbar«. Die Berlin-Mitte-Clubs verdienten so mit ihrer einfach zusammengehämmerten Theke und den geklauten Stühlen plötzlich mehr als nur ein bisschen Geld. Man legalisierte bald das Unternehmen, ließ die Baupolizei herein und führte Steuern ab. So machten es die einen. Die anderen, also etwa der »Discount« oder das »Urgilab« überlebten nicht und blieben bestenfalls als Veranstaltungsreihe bestehen. Alle waren glücklich.

Das besagt zumindest ein altes Märchen, ohne das es den Mythos von Mitte als Techno-, Clubbing- und überhaupt Spaßzentrum nicht gäbe. Wie immer folgten dann die freundlichen Herren Bauunternehmer und die nicht minder freundlichen Damen Werbeagentur und versuchten, aus der lebendigen Szene möglichst viel Kapital zu schlagen. Also wurde, was bisher nur ein paar pfiffige Kleinverdiener wussten und was sich die von Pillen leuchtenden und von Koks strotzenden Kids auf der Straße zuraunten, plötzlich zu einer handelbaren Nachricht zurechtgestutzt: Mitte ist geil.

Natürlich haben die meisten der Partygänger das schnell kapiert und sind ebenfalls ins Business eingestiegen. Nur jene, die es nicht verstanden haben oder verstehen wollten, betreiben nun in Wedding, Kreuzberg oder am Rand von Friedrichshain eine kleine Bar oder eine Galerie. Dort sitzen sie und erzählen ihren Kindern von früheren lustigen Schlachten auf dem Dancefloor.

Mitte selbst weiß davon kaum etwas. Noch immer sitzen VIPs in ihren VIP-Lounges, noch immer suchen Touristen die totale Abfahrt, und noch immer schleichen Kleinschriftsteller durch die Straßen und tauschen Geheimwissen. Wo einst »Urgilab« und »Toaster« zu finden waren, ist nun das Goethe-Institut. Wo das erste »WMF« stand, wird jetzt schmuck saniert. Und den Standort des »Elektro« gibt es nimmer mehr.

Ohnehin sind die Partys stumpf geworden. Die DJs, auch und gerade die Berliner, lassen sich wie Stars anhimmeln und fotografieren. Andere, die den Hype angeleiert und mitgetragen haben, legen heute für ein paar Mark ihre Platten in Friedrichshain auf. Und auch die Clubgänger sind älter geworden. Der »Tresor« ist einigen »zu dreckig«, das »Maria am Ostbahnhof« ist - lachen Sie nicht - »zu laut«. Die Ausleuchtung der Lounges ist häufig genauso schrill, laut und einfallsreich wie die im Deutschen Theater. Die Tänzerinnen und Tänzer sind vor allem auf eines bedacht: möglichst gut auszusehen. Die Drinks sind längst nicht mehr mit Leidenschaft, sondern bestenfalls noch gut gemixt, die Preise inzwischen verhältnismäßig hoch. Aber wen kümmert das - denn sich betrinken, das tut man eh nicht mehr. Gekokst wird nur noch mit Kichern. Und mit Augenzwinkern. Und Beischlaf - mindestens sechs mal am Tag. Aber nur bei runtergelassenen Rollos. Mitte ist heute das Gegenteil von Sex.

Im Regierungsbezirk passiert heute so viel wie einst in Bonn. Der Bezirk hat sich eingemottet hinter einer Fassade, die keinen Dreck mehr zulässt. Entsprechend steif wird Spaß gehabt. Und gibt es dann mal eine Nacht - und eben nicht: einen Clubabend -, bei der gegen Ende die ganze Meute sich im Dreck wälzt oder auf den Tischen tanzt, so kann man es nachher kaum jemandem mehr erzählen. Denn das tut man jetzt nicht mehr.

Das Ende vom einstigen Spaß - also dem fetten, dem lauten, dem nicht-verkäuflichen, kurz: dem Gegenteil von Fun - auf die Bekämpfung der illegalen Clubs zurückzuführen, wäre viel zu kurzsichtig. Zwar geben sich Senat und Bauamt alle Mühe, dieser ohnehin nicht mehr weit verbreiteten Spielart der Raumnahme ein Ende zu bereiten. Der Niedergang der ersten, der aktionistischen Berliner Clubwelt hat seine Ursache darin, dass auch die so genannte Szene sich in der Neuen Mitte eingelebt hat. Und jetzt ihre Pfründe verteidigen muss und will. Eine feste Hierarchie von Partypromis regiert. Wenn Sie fleißig Marcella und ihre Kolleginnen und Kollegen studieren, wissen Sie, dass in den VIP-Lounges immerzu über dasselbe getrascht wird: Ein Laden macht neu auf, ein anderer zu, jemand heiratet, jemand anderes knutscht wild in der Gegend herum. Es ist eine Szene ohne Szenewissen. Voll auf dem Laufenden zu sein, hat nichts mehr mit Teilen zu tun. Denn alles findet sich genau so in der Klatschkolumne der Berliner Zeitung oder des Tagesspiegel.

Das zusammengewachsene Berlin ist eine ganz normale deutsche Großstadt geworden. Und dazu gehört auch ein ganz normaler Innenstadtbezirk: mit den üblichen Spießern, die sich interessante Leute als Clowns auf ihre Party holen und darüber hinaus nichts und niemanden mehr in ihre Zirkel hineinlassen. Mitte wird zu einem Viertel, aus dem die geilen und ungewöhnlichen Lebens- und Feierkonzepte verdrängt werden, während im Zentrum eine eher müde, durchaus ambitionierte, aber absolut publikumsorientierte Ausgeherei stattfindet. Gesamt-Westdeutschland.