Präsident unter Druck

Snap to Erap

Vom Shooting Star zum Sündenbock: Eine ständig anwachsende, heterogene Koalition fordert den Abgang des philippinischen Präsidenten Estrada.

Vom Schauspieler zum philippinischen Präsidenten: Joseph »Erap« Estrada hat schon einiges geschafft. 1998 versprach er die größte Show seines Lebens - als Führer der philippinischen Bevölkerung ins neue Jahrhundert. Sein Wahlspruch »Erap für die Armen« wurde zu einem unschlagbaren Programm. Er brachte ihm einen Erdrutschsieg, wie er in der philippinischen Geschichte zuvor unbekannt war; die Kampagne der Kirchen und der Unternehmer gegen Estradas Kandidatur wurde von den Armen ignoriert. Sein Sieg wurde als Rache der Massen an den Reichen und Gebildeten interpretiert, die zuvor regiert hatten.

Diese Zeiten sind vorbei. Nun beschäftigt sich der Justizausschuss des Parlaments mit einem Verfahren zur Amtsenthebung Estradas, das am 18. Oktober von oppositionellen Abgeordneten beantragt wurde. Zudem wurde eine vereinte Opposition organisiert, die von Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo angeführt wird. Estrada und Arroyo, Präsident und Vize-Präsidentin, gehören unterschiedlichen Mitte-Rechts-Parteien an: Lamp und Lakas.

Die philippinische Legislative besteht aus zwei Kammern. Damit das Amtsenthebungsverfahren direkt in den Senat kommt, müssen 73 Abgeordnete - das entspricht etwa einem Drittel der Stimmen - aus dem Repräsentantenhaus sich dafür aussprechen; am Samstag wurden in der philippinischen Presse sogar 93 Stimmen für möglich gehalten. Im Senat ginge Estradas Überlebensspiel weiter: Dort sind zwei Drittel der 24 Stimmen zur Amtsenthebung erfoderlich. Nach Übertritten einiger Parteigänger Estradas kann die Opposition mittlerweile mit elf Stimmen rechnen.

Da aber Zweifel an der Unparteilichkeit der politischen Institutionen in dem Amtsenthebungsverfahren weit verbreitet sind, gehen immer mehr Menschen auf die Straße, um Estradas Rücktritt zu fordern. Kompil, früher die größte Allianz gegen die Marcos-Diktatur, hat sich erneut umgruppiert, um den linken Aktivitäten eine Struktur zu geben. Sowohl die Führung der katholischen und der evangelischen Kirche als auch die wichtigsten Organisationen der Wirtschaft stellen sich mittlerweile gegen Estrada.

Der kontinuierliche Niedergang der Wirtschaft, der durch die politische Kontroverse zweifellos verschlimmert wurde, führte bereits zu einer Regierungskrise. Die Landeswährung sank vergangene Woche auf ein Rekordtief von 51 Peso pro Dollar. Nach einem Bericht der philippinischen Zentralbank vom 26. Oktober hat er seit dem Beginn des politischen Skandals am 4. Oktober 9,72 Prozent seines Werts verloren.

Begonnen hatte alles damit, dass Luis »Chavit« Singson, der Gouverneur von Ilocos Sur, Estrada beschuldigte, 130 Millionen Peso (etwa 6,2 Millionen Mark) der in seiner Provinz erhobenen Tabaksteuer sowie umgerechnet rund 18,2 Millionen Mark aus dem überaus beliebten illegalen Lotteriespiel Jueteng eingesteckt zu haben. Er sagte, Estrada habe das Geld aus dem Spiel in Form von monatlichen Zahlungen erhalten, die er selbst dem Präsidenten vom November 1998 bis zum August diesen Jahres übergeben habe. Die Zahlungen beliefen sich auf umgerechnet 450 000 Mark pro Monat. Singson ist ein alter Freund und politischer Verbündeter Estradas.

Das sind nicht die einzigen Vorwürfe in dem Amtsenthebungsverfahren. Hinzu kommt die Anschuldigung von Perfecto Yasay, dem ehemaligen Chef der Security and Exchange Commission an der philippinischen Börse, Estrada habe versucht, ein Gebot an der Börse zu Gunsten der WB Resources zu beeinflussen, die seinem Freund Dante Tan gehört. Zudem existieren Vorwürfe im Hinblick auf die ungeklärten Vermögensverhältnisse Estradas und seiner Familie. Daher wird dem Präsidenten u.a. Bestechung, Korruption und Verletzung der Verfassung zur Last gelegt.

Man erinnert sich gut an den Estrada, der 1992 die Massen in den Demonstrationen gegen die US-Militärbasen angeführt hatte, die sich auch gegen die pro-amerikanischen Kundgebungen unter Leitung der damaligen Präsidentin Corazon Aquino wandten. Als er 1998 die Präsidentschaft antrat, stieß sein Versprechen, der Bestechung und Korruption sowie der Vetternwirtschaft in der Regierung ein Ende zu bereiten, auf Begeisterung. Sein Film-Image als Held aus den Slums, der die Bösen bekämpft, passte gut zum Bild eines Präsidenten, der zusammen mit den Bauern mit den Fingern isst.

In sein Kabinett kamen einige der Besten aus den elitären Universitäten und Institutionen. Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) nahmen ebenfalls Schlüsselpositionen in der Regierung ein - weshalb der Scherz unter Linken populär wurde, eine neue Bedeutung von NGO sei »next government official« (nächster Regierungsbeamter). Die Philippinos sind noch nicht sicher, ob Erap zurücktritt, des Amtes enthoben oder durch eine Initiative der Bevölkerung abgesetzt wird. Jedenfalls aber haben sie begriffen, dass sie den falschen Mann gewählt haben und dessen Amtszeit verkürzen müssen, bevor er noch größerer Schaden anrichtet.

Am 19. und 25. Oktober fanden in Manila von der Linken organisierte Demonstrationen für Estradas Rücktritt statt, an denen nach Zeitungsschätzungen Zehntausende teilnahmen. Eine Neuauflage der People Power-Bewegung aus den achtziger Jahren? Eine Parallele zu den Ereignissen von 1986, die zum Ende der Marcos-Diktatur führten, gibt es immerhin: Wie Marcos damals insistiert Estrada heute weiterhin darauf zu regieren. Kardinal Jaime Sin und die früheren PräsidentInnen Corazon Aquino und Fidel Ramos - alles Prominente von 1986 - haben bereits Erklärungen veröffentlicht, Estrada müsse zurücktreten, um das Land zu retten.

Dennoch unterscheiden sich die aktuellen Geschehnisse von denen des Jahres 1986. Die jetzigen Proteste sind weiter verbreitet und werden von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen getragen. Sie sind nicht auf Manila konzentriert, sondern werden auch unabhängig davon in den Provinzen organisiert. Zudem hat Gloria Macapagal-Arroyo weit weniger Format als Corazon Aquino, die 1986 eine wichtige Rolle beim Sturz von Marcos spielte. So wird behauptet, dass Arroyo selbst einen anderen Lotterie-König beschützt. Auch wird sie weithin wegen ihrer konservativen Haltung in vielen Fragen kritisiert und als ausgesprochen neoliberal bezeichnet.

Welchen Weg gibt es aus der jetzigen Situation? Solange Estrada den Kongress kontrolliert, ist es für ihn vorteilhaft, den langen Weg des Amtsenthebungsverfahrens zu gehen. Seine Lamp-Partei stürzt sich bereits auf alle Verzögerungstaktiken und bemüht außerdem Verfahrensvorschriften, um zu erreichen, dass das Impeachment fallen gelassen wird.

Rufe nach einer snap election, einer Art schneller vorgezogener Neuwahl, die der Präsident zur Erneuerung seines Mandates durchführen kann, breiteten sich vorletzte Woche wie ein Lauffeuer aus. Diese Möglichkeit sieht auch nicht erfolgversprechend aus: Sowohl die Position des Präsidenten als auch des Vizepräsidenten müssten für dieses Vorgehen vakant sein. Arroyo, die schon ihre Chance auf den Präsidentensessel wittert, dürfte für eine snap election kaum ihr Amt frei machen.

All das erklärt die Popularität des Rufes nach Estradas Rücktritt. Für diesen aber müssen verschiedene Faktoren zusamentreffen. Der erste ist Estradas Isolation von der regierenden Partei, vom Kabinett und dem Militär. Die regierende Partei zerfällt bereits. Die Sprecher von Kongress und Senat sind Ende vergangener Woche zusammen mit etwa 50 Parlamentsabgeordneten der Regierungspartei zurückgetreten und haben sich der Bewegung für eine Amtsenthebung Estradas angeschlossen. Zudem werden Rücktritte aus dem Kabinett erwartet. Die militärische Hierarchie stellt sich noch hinter Estrada, aber es gibt bereits Fraktionen innerhalb des Militärs, die möglicherweise die Befehle nicht befolgen würden.

Der zweite Faktor ist, dass der andauernde Niedergang der Ökonomie zu einer weit verbreiteten Übereinstimmung bei den Unternehmern geführt hat. In ihren Augen muss die politische Krise durch einen Wechsel des Präsidenten gelöst werden, um die Wirtschaft vor weiterem Abrutschen zu bewahren. Der letzte Faktor ist Estradas zunehmende Isolation von der Bevölkerung. Er hat die Unterstützung der Massen verloren, die bis vor kurzem noch seine Machtbasis darstellten. Die Zeichen der Zeit stehen schlecht für Estrada.