Sven Brux, Fanbetreuer

»St. Pauli hat ein großes Herz«

Glaubt man den Berichten der letzten Wochen, dann hat der deutsche Fußball im Moment kein größeres Problem, als dass ein mutmaßlicher Kokser beinahe Bundestrainer geworden wäre. Sven Brux, jahrelang im Fanladen des FC. St. Pauli tätig und mittlerweile beim Verein für die Organisation zuständig, verweist jedoch auf ganz andere Probleme von Fans und Clubs.

Ist die Affäre Daum das Ende des deutschen Fußballs?

Natürlich nicht. Ein paar Gramm weißes Pulver können den Fußball doch nicht zerstören - die Liga ist so reich an Skandalen, da kann so eine Geschichte nichts ausrichten. Viele Fans ärgern sich sowieso viel stärker darüber, dass alles immer mehr nach den Vorgaben der Fernsehanstalten läuft.

Mit welchen Auswirkungen?

Es ist häufig so, dass die genauen Termine der Spielansetzungen erst zwei oder drei Wochen vor dem Match erfolgen. So kann man aber nichts planen, weder der Fan, der ja schließlich eventuell seinen Urlaub einreichen muss, noch die Vereine. Wenn man drei Wochen vorher ankommt und einen Sonderzug bestellen will, lacht die Bundesbahn einen einfach nur aus. Wir wissen immer nur das Wochenende, zwischen dem 15. und 18. Dezember beispielsweise werden wir also zu Hause gegen Ahlen spielen. An welchem Tag genau, wissen wir nicht - dabei steigt nach dem Spiel unsere tradionelle Weihnachtsparty. Die muss nun extrem kurzfristig vorbereitet werden, inklusive der Verpflichtung von Live-Acts. Da kann man aber nun mal nicht ankommen und sagen: »Hey, Motörhead, hättet ihr Lust bei uns aufzutreten, den genauen Termin geben wir euch dann allerdings erst zwei Wochen vorher bekannt.«

Wie haben denn die St. Pauli-Fans auf die Affäre um Christoph Daum reagiert?

Das war kein großes Thema. Natürlich gab es in den Internetforen Bilder und Collagen und natürlich wurden auch Witzchen gemacht, man nimmt das Ganze eben belustigt zur Kenntnis und stellt fest, dass Drogen offensichtlich in allen Gesellschaftskreisen präsent sind. Als Skandal, über den man sich aufregt, wird das nicht gesehen. Man empört sich eher über die Scheinheiligkeit der ach so guten Freunde von Daum, die jetzt sagen, sie hätten es entweder immer schon oder noch nie gewusst.

Kann es denn wirklich sein, dass der DFB so lange nicht daran glaubte, dass ein zukünftiger Bundestrainer durchaus auch ein Kokain-Problem haben könnte?

Ich denke schon, dass man nicht unbedingt davon ausgehen konnte, dass ein derart profilierter, erfolgreicher und in der Öffentlichkeit stehender Mann so dämlich sein kann, sich mit Koks einzulassen. So etwas kommt schließlich immer raus. Denn es wird gerade bei Prominenten immer jemanden geben, der sein Wissen zu Erpressungsversuchen nutzen wird. Das war wohl sehr blauäugig von Daum, zu glauben, er käme mit so etwas durch.

Gibt es kein Verständnis für Daum von den Anhängern des oft als Kifferclub bezeichneten St. Pauli? Immerhin ist ja Jack Daniels der ehemalige Hauptsponsor.

Wir sind quasi als Koryphäen des gesunden Lebenswandels bekannt. Selbst beim Alkohol geht kaum etwas. Die Spieler und die Angestellten trinken niemals, die Fans nur hin und wieder das eine oder andere Schlückchen. Zum ehemaligen Hauptsponsor muss man übrigens sagen, dass es von Anfang an klar war, dass die Firma nicht als Sponsor im Jugendbereich auftreten würde, da legen wir Wert drauf.

Zur Zeit ist es schwer im Trend, ganze Bevölkerungsgruppen als Koks-Konsumenten zu outen. Reicht es nun?

Ich habe ein Problem damit, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schlecht und populistisch recherchiert wird. Immer wenn die einschlägigen Fernsehmagazine zum Beispiel was über Fußballfans gebracht haben, war das der letzte Müll. Zuletzt geschah das in einer Sendung - ich weiß leider nicht mehr bei welchem Magazin, aber sie sind ja auch alle irgendwie gleich -, in der die schlimmsten Hooliganszenen der letzten 30 Jahre zusammengeschustert worden waren. Natürlich waren es teilweise widerliche Szenen, aber sie kamen so rüber, als würde so etwas jedes Wochenende bei jedem Spiel passieren.

Aber schlechte News und Skandale verkaufen sich natürlich besser, das haben wir schon oft festgestellt. Baff, das Bündnis aktiver Fußballfans hat schon Kongresse mit bis zu 300 Teilnehmern aus dem In- und Ausland gemacht, bei denen für den Fußball sehr wichtige Themen behandelt wurden, die Bekämpfung des Rassismus in den Stadien etwa oder die Reduzierung der Stehplätze. Da kam dann niemand, obwohl vorher Agenturen und Zeitungen mit Pressemitteilungen überhäuft worden waren. Wenn wir aber ein Fax geschickt hätten mit der Ankündigung: »Achtung, dann und dort gibt es eine Riesenschlägerei mit garantiert zwölf Toten«, dann wären alle am Start gewesen.

Trotzdem können sich die St. Paulianer doch wohl kaum beklagen, die Berichte sind ja fast immer positiv.

Ja, bei St. Pauli geht es natürlich manchmal im Positiven an der Wahrheit vorbei. Wenn man zum xten Mal unwidersprochen als Freudenhaus der Liga dargestellt wird, mit dem immer gleichen Sermon von 1988, dann bringt einen das schon zum Gähnen. Denn natürlich ist auch bei uns die Fußballszene im Wandel, mit den entsprechenden Problemen. Ältere steigen aus oder ziehen sich nach und nach zurück, Jüngere wollen sich ausleben. Kabbeleien um die Vorherrschaft in der Szene sind die Folge. Andererseits ist der Zusammenhalt von früher nicht mehr so da, und dann noch die ständige Abstiegsangst und die finanziellen Probleme, die einem zu schaffen machen.

Wird Daum in Deutschland jemals wieder als Fußballtrainer arbeiten dürfen?

Was Maradona in Südamerika kann, das kann Daum ganz sicher auch. Da wird sich im Endeffekt, wie heißt das so schön, der Markt durchsetzen. Ein wieder auferstandener Trainer verkauft sich bestimmt besser als jemand, der gerade erst den A-Trainerschein gemacht hat. Wenn andere Leute Mist bauen und eine zweite Chance bekommen, wieso sollte das für Daum nicht gelten?

Vielleicht könnte er ja Trainer bei St. Pauli werden?

Ganz bestimmt, St. Pauli hat ein großes Herz und offene Arme für gestrauchelte Existenzen. Ein Trainer, der solche Erfolge erzielt hat wie Daum, kann jeder Mannschaft was beibringen. Allerdings haben wir im Moment keinen Bedarf. Daum würde aber ganz gut zu uns passen, er hat ja ein bisschen was Bodenständiges, Arbeiterklassenmäßiges - er kommt halt aus dem Ruhrgebiet, und das merkt man ihm immer noch an.

Zudem haben wir mit ihm eine sehr nette Geschichte erlebt. Unsere Amateure hatten einmal im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen gekickt. Obwohl sie mit 1:5 verloren haben, war die Stimmung richtig klasse, denn die Amateure hatten einfach gut gespielt, und deswegen waren auch nach dem Match noch viele Fans im Stadion und feierten. Nach der Pressekonferenz kam Daum quer über den Platz zur Fankurve und wollte etwas sagen. Man hat ihm dann ein Megaphon über den Zaun gereicht und er hat seine Hochachtung für die St. Pauli-Supporter ausgedrückt. Hier habe man heute Abend wieder gesehen, wo der Fußball in Wirklichkeit zu Hause sei, nämlich nicht in den VIP-Logen, sondern auf den Stehplätzen.