Uranmunition der Nato

Strahlendes Jugoslawien

Italien und Frankreich fordern Aufklärung über radioaktive Munition während des Jugoslawien-Krieges. Die deutsche Regierung gibt sich zurückhaltend.

Als vor wenigen Wochen ein im Kosovo stationierter Soldat der portugiesischen Streitkräfte an Leukämie starb, behauptete sein Vater, die Ursache dieser seltenen Form von Blutkrebs könnten die von den USA eingesetzten DU-Geschosse mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium-Geschosse) sein. Diese Vermutung wusste der portugiesische Generalstabschef gleich einzuordnen: Der Vater sei eben ein »serbischer Propagandist«.

Die Bemerkung könnte nun zur frühzeitigen Pensionierung des Armeechefs führen. Denn Portugals Premierminister Antonio Guterres fordert von der Nato rückhaltlose Aufklärung über die möglichen Folgen der Verwendung von uranhaltiger Munition. Das aus radioaktiven Abfallprodukten bei der Herstellung von Atomwaffen oder Kernbrennstoffen gewonnene Material wurde erstmals im Golfkrieg 1991 von den USA eingesetzt.

Auch der italienische Regierungschef Giuliano Amato ist empört. »Wir haben den begründeten Verdacht, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie sie immer von der Nato dargestellt werden«, meinte er vergangene Woche, als der achte Leukämie-Todesfall unter den ehemals in Bosnien und im Kosovo stationierten italienischen Soldaten bekannt wurde.

Gleichzeitig forderte Frankreichs Verteidigungsminister Alain Richard die USA und die Nato auf, zum Einsatz von DU-Geschossen in Bosnien und im Kosovo Stellung zu nehmen. Vier französische Soldaten, die auf dem Balkan im Einsatz waren, werden derzeit wegen Blutkrebs behandelt. Die spanische Presse spricht von einem Toten, ein griechischer Sfor-Offizier leidet an Leukämie. In Belgien sind fünf Soldaten an dieser Krebsform erkrankt. Schließlich reagierte auch EU-Kommissionspräsident Roman Prodi. Er verurteilte im italienischen Rundfunk (RAI) sogar grundsätzlich den Einsatz von Urangeschossen und forderte die USA auf, diese umgehend aus dem Verkehr zu ziehen.

Das US-Verteidigungsministerium hingegen sieht nach wie vor keinen Grund, die Verwendung von DU-Geschossen einzustellen. Sie beharrt darauf, dass die von ihnen in Bosnien und im Kosovo verwendete Munition nicht für die Leukämiefälle oder andere auftretende Krankheiten bei europäischen Soldaten verantwortlich sei.

Die irakische Bevölkerung dürfte die Erklärungen der US-Amerikaner an die eigenen Erfahrungen mit der Munition erinnern. Während des Golfkriegs 1991 verschossen die US-Streitkräfte im Irak insgesamt 315 Tonnen des radioaktiven Mülls, insgesamt 94 4000 Uran-Projektile wurden abgefeuert. Vor kurzem führten britische Experten im Südirak Untersuchungen durch, die ergaben, dass die Werte an einigen Stellen die in Deutschland als Jahresdosis zulässige radioaktive Strahlung um das 2 190-fache übertreffen.

Bernard D. Rosther, Chef der Abteilung des US-Verteidigungsministeriums, die für die Untersuchung des so genannten Golf-Krieg-Syndroms zuständig ist, spricht von 30 000 im Irak eingesetzten US-Soldaten, die an Krankheiten leiden, deren Ursache bisher offziell auf die Verwendung von Giftgas seitens der irakischen Streitkräfte zurückgeführt wurde. Rosther geht jedoch inzwischen davon aus, dass panzerbrechendes abgereichertes Uran die Erkrankungen ausgelöst haben könnte.

Kevin Bacon hingegen, ein Sprecher des Pentagon, vertritt weiterhin hartnäckig die These von der Ungefährlichkeit der uranhaltigen Geschosse: »Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Verwendung unserer Munition.« Er sollte es eigentlich besser wissen. Das Haager Kriegsverbrechertribunal beschäftigte sich im Juni 2000 mit der Angelegenheit. Damals forderte die jugoslawische Regierung, hohe Nato-Funktionäre wegen möglicher Kriegsverbrechen beim Angriff auf Jugoslawien anzuklagen und führte auch die Verwendung uranhaltiger Munition an.

Das Gericht lehnte die Klage erwartungsgemäß ab, dennoch heißt es in der Begründung: »Es gibt eine rege wissenschaftliche Debatte über die Folgen des Einsatzes dieser Waffen und aus unserer Sicht ist es möglich, dass in Zukunft eine solche Munition verboten wird, weil sie internationales Recht verletzt.« Trotzdem erklärte ein Sprecher der Nato am vergangenen Donnerstag, abgereichertes Uran sei nicht gefährlicher als Blei oder Quecksilber, kündigte aber an, sich diese Woche mit dem Problem zu befassen.

Für ein Verbot von DU-Geschossen spricht sich auch die finnische Pathologin Helena Ranta aus, die mit ihrer Untersuchung des angeblichen Massakers von Racak im Januar 1999 internationales Aufsehen erregte. Die Medizinerin hält die Beteuerungen der USA und der Nato für ein Vertuschungsmanöver. Bei der Verbrennung von DU-Munition werde feiner, leicht radioaktiver Uranoxidstaub freigesetzt. »Wenn man die Partikel inhaliert, kann es zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden kommen«, erläutert sie.

Insbesondere die französische und die italienische Regierung üben nun Druck auf die USA und die Nato aus. In Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, Finnland sowie der Türkei wurde mit gründlichen ärztlichen Untersuchungen aller ehemaligen Sfor- und Kfor-Soldaten begonnen. Und selbst das britische Verteidigungsministerium revidierte letztes Wochenende seine bisherige Position, dass der Einsatz von uranhaltiger Munition nicht nachweisbar mit Spätschäden verbunden sei.

Nur die deutsche Bundesregierung hat sich bislang weder auf eine offizielle Meinung zum Einsatz von Urangeschossen festgelegt, noch systematische Untersuchungen der ehemals auf dem Balkan stationierten bundesdeutschen Soldaten eingeleitet. Lediglich bei 118 von ihnen wurden Urinproben genommen. Auf die zur Feststellung von Krebserkrankungen notwendigen umfassenden Organuntersuchungen verzichtete man hingegen.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte nach der Auswertung der Stichproben, es gebe keine Hinweise auf Krebserkrankungen deutscher Soldaten, die von Uran verursacht worden wären. Ein 1997 im bosnischen Mostar stationierter Bundeswehrsoldat, der ein Jahr später an Leukämie erkrankte, meldete sich daraufhin und erklärte, er sehe sehr wohl einen Zusammenhang zwischen seiner Krankheit und seinem Kriegseinstz auf dem Balkan.

Nun regt sich sogar innerhalb der SPD Unmut über die Ignoranz der Bundesregierung. Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer wirft der rot-grünen Koalition die »Verharmlosung« des so genannten Balkan-Syndroms vor und fordert, sieselben Maßnahmen wie andere europäische Regierungen zu ergreifen.

Etwas inszeniert erscheint allerdings auch die Entrüstung der restlichen europäischen Staaten über die gesundheitsgefährdenden Folgen der Uranmunition. Denn alle Regierungen, die Soldaten ins Kosovo schickten, ließen zuvor wissenschaftliche Expertisen über mögliche Risiken des Kontakts mit Resten der uranhaltigen US-Munition anfertigen und verabschiedeten gleich zu Beginn des Kfor-Einsatzes strenge Verhaltensregeln.

Doch es verwundert kaum, dass die Forderung nach mehr Transparenz am deutlichsten von Italien und Frankreich an die USA und die Nato herangetragen wird. Denn die Regierungen beider Länder standen dem Nato-Angriff 1999 in Jugoslawien kritisch gegenüber und wollen nun offenbar noch einmal deutlich machen, dass sie von den USA quasi in den Krieg gezwungen wurden. Und dass sich die Bundesregierung als eine der vehementesten Befürworterinnen des Nato-Einsatzes jetzt vornehm zurückhält, verwundert ebenso wenig.

Die Auswirkungen der angeblich mit einzigartiger Durchschlagskraft ausgestatteten radioaktiven Munition auf die Bevölkerung in Jugoslawien und Bosnien sind hingegen bislang nur ein Randthema. Der Belgrader Ökologe Dejan Dimov spricht zwar gegenüber der Frankfurter Rundschau von einer Erhöhung der landesweiten Krebsrate um 30 Prozent. Auch ein kürzlich erstellter vorläufiger Bericht der UN-Umweltorganisation Unep bestätigt nach der Untersuchung von elf der mehr als 100 Einschlagstellen der Uranmunition im Kosovo eine erhebliche radioaktive Kontamination. Aber das wird wohl mit den üblichen Kollateralschäden verbucht.