Der Israel-Palästina-Konflikt und die deutsche Linke

Der Nakba-Trick

Wer das Rückkehrrecht der Palästinenser einfordert, will die Shoah bewältigen.

Unerträglich ist es jedoch, den (Nahost-) Konflikt für die eigene Geschichtsaufarbeitung zu instrumentalisieren«, schrieb Karin Joggerst an dieser Stelle in der Jungle World am 10. Januar. Was von Leuten zu halten sei, denen es »mehr um politische Befindlichkeiten wegen einer versäumten Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Position im Hinblick auf den Nahostkonflikt geht, als um die Lage in Israel und Palästina selbst« (ebd.), hatte bereits eine Woche zuvor eine andere linke Zeitung ausgeplaudert.

Ein Zoni der jungen Welt, den es in die »heimelige Höhle deutscher Berufsrassisten, den (!) demagogisch versierten Enkeln (!) eines Joseph Goebbels« (jW, 4. Januar) verschlagen hat, in »eine immer unübersichtlicher scheinenden Welt Kreuzberger Hinterhöfe«, dieser Zoni also war am 20. Dezember in eine antideutsche Veranstaltung, die in unerträglicher Weise zur unbedingten Solidarität mit Israel aufrief, geraten und konnte nur noch nach der Kiezmiliz rufen: »Wo war die Antifa, die doch sonst jedem Rassisten eins aufs Maul zu hauen verspricht?« So unerträglich nahe können sich zwei ansonsten spinnefeindliche linke Zeitungen kommen, wenn mal nicht vom Antisemitismus, den die eine bekämpft und die andere salonfähig macht, die Rede ist, sondern von der gebotenen Solidarität deutscher Linker mit Israel.

Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in der Jungle World zeigt, wie sehr diese Kritik und die Bestimmung des eigenen Verhältnisses zu Israel bereits auseinandergefallen sind. Auf der einen Seite setzen sich Leute kritisch mit dem linken Antisemitismus auseinander, was unbedingt zu unterstützen wäre, würden sie nicht in unheimlicher Weise sekundiert von seminaristischen Bemühungen um eine Auschwitz-Theorie, die ganz im Geist des modischen Antitotalitarismus - siehe Enzo Traverso - daherkommt. Nur scheinbar auf der anderen Seite spreizen sich die Spezialisten, die Länderkundler, die scheinbar ideologiefreien Beobachter des wirklichen Geschehens. »Eine linke Diskussion sollte sich zwar auch mit der eigenen Geschichte zur Palästina-Solidarität sowie zu Antizionismus und Antisemitismus befassen, dabei aber nicht die Realität in Israel und den Hintergrund des Konflikts missachten« (Joggerst). Diese Aufforderung wurde im widerständigen Friedrichshain, wo die Verhältnisse nicht so unübersichtlich sind wie in Kreuzberg, schon vor Monaten kongenial umgesetzt. Dort hing ein Lappen aus einem ehemals besetzten Haus, auf dem zu lesen stand: »gegen deutschen Antisemitismus und israelischen Imperialismus«. Das ganze vor dem Hintergrund der palästinensischen Landesfarben und drapiert mit einem Al-Aksa-Kämpfer mit Zwille und landestypischer Kopfwindel.

Doch bleiben wir beim Text und hören einen Vorschlag, der nicht aus Friedrichshainer Fenstern zu vernehmen ist und nicht Werner Pirkers jüngstem Schlachtgesang aus der jungen Welt entstammt: »Wenn es nicht nur um die Interessen der USA und Israel gehen soll, ist die israelische Anerkennung der Verantwortung für die Nakba und deren politische Umsetzung, die Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser bzw. eine angemessene Entschädigung der Betroffenen, ein entscheidender Faktor für einen dauerhaften Frieden.« Übersetzt in die Sprache der Parolen und Plakate ergibt das die Botschaft des Friedrichshainer Plakats, dieses Schurkenstücks aus linksdeutscher Geschichtsbewältigung und kraftstrotzendem deutsch-palästinensischen Antizionismus.

Doch zurück zum Zitat. Lassen wir einmal den deutlichen Bezug auf die antizionistisch/antiimperialistische »Brückenkopf-Theorie« beiseite und wenden wir uns dem exotischen Sound zu. Wem der etwas weihrauchgeschwängerte falsche Ton des Wortes Shoah unangenehm auffällt, wenn es von Deutschen gebraucht wird, dem müsste bei dem Wort Nakba ein noch schalerer Geschmack zurückbleiben. In beiden zunächst unverständlichen Bezeichnungen schwingt die Ahnung vom unbegreiflichen Ausmaß zweier Katastrophen mit, zugleich wird ihr tatsächlicher Gehalt dem Zugriff kritischer Beschäftigung entzogen. Die schlichte Übersetzung lautet hier: die Vernichtung von sechs Millionen europäischen Juden, dort: die Flucht von ca. 700 000 Palästinensern. Wer »Nakba« unhinterfragt übernimmt, wie in der Jungle World geschehen, spricht die Sprache der Al-Husseinis, Arafats, Saids oder die der Pirkers und anderer völkischer deutscher Kommunisten, denn er gebraucht diesen rhetorischen Marschflugkörper aus der Werkstatt palästinensischer Intellektueller, um zwei unvergleichliche Ereignisse miteinander zu identifizieren. Das ist angenehm für die palästinensische Bewegung und noch angenehmer für deutsche Linke, die die »Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Position im Hinblick auf den Nahostkonflikt« nicht versäumt haben. Mit dem Nakba-Trick wollen deutsche Internationalisten eine gigantische Geschichtsfälschung auffliegen lassen, die den Kolonisierten von den Kolonisatoren angetan worden sei. Was sie in Wirklichkeit betreiben, ist die Popularisierung einer Geschichtslüge, die Bedienung einer klassisch antisemitischen Verschwörungstheorie und vor allem die Bewältigung der Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen.

Unbestreitbar haben israelische Milizen 1947/48 die Flucht zahlreicher Palästinenser durch gezielte Gewaltakte gefördert. Ebenso unbestreitbar hat eine Vertreibung in toto nicht stattgefunden. Bereits 1947 hat sich die Mehrheit der palästinensischen Notablen abgesetzt, um vom Ausland ihr Volk mit Direktiven - zunächst für den Aufstand und dann für die Flucht - zu versehen. Dass sie damit nicht überall erfolgreich waren, bezeugt der Umstand, dass aus benachbarten Dörfern die eine Bevölkerung floh, im anderen aber blieb und heute noch dort lebt.

Das würde schon genügen zum Thema Nakba. Aber weiter: Die Geschichte des Palästina-Konflikts beginnt nicht 1947. Seit Anfang der zwanziger Jahre etablierte sich ein unverhohlener antisemitischer arabischer Nationalismus. In Beirut erschienen die Protokolle der Weisen von Zion in arabischer Übersetzung in Massenauflage, in Jerusalem trieb eine rührige NSDAP-Ortsgruppe ihr Unwesen, ein Onkel Arafats und jahrzehntelanger Führer der Palästinenser, Al Husseini, der sich auf seine Freundschaft mit Hitler zeitlebens einiges einbildete, setzte in den zwanziger und dreißiger Jahren alles daran, die Feindschaft der Palästinenser gegen die jüdischen Siedler zu schüren und antisemitisch aufzuladen, eine Stimmung, die immer öfter zu Morden an Siedlern führte. Und dass nicht wenige Stimmen aus der arabischen Welt Rommels Durchbruch in Ägypten herbeigesehnt hatten und dass schließlich in Ägypten, Syrien und Irak nicht wenige besiegte Judenmörder freundliche Aufnahme und neue Tätigkeitsbereiche fanden, gehört zu den Voraussetzungen der israelischen Staatsgründung.

Doch lieber lauscht man arabischen Ammenmärchen. Im Nahen Osten gebe es keinen Antisemitismus, hier hätten Juden und Muslime über Jahrhunderte freundschaftlich zusammen gelebt, erst durch den europäischen Antisemitismus und die jüdische Siedlungsbewegung sei es zu Problemen gekommen. Dass die arabischen Juden entrechtet und gedemütigt waren und immer in Angst vor Überfällen und Pogromen lebten - lange bevor sich der erste Siedler aus Europa blicken ließ -, davon kein Wort. Gewiss ist der Antisemitismus, wie er in Auschwitz zu seinem eliminatorischen Höhepunkt kam, deutsche Tat und deutsches Exportgut. Der Hass gegen die Juden als »Agenten der Zirkulation« ist im islamischen Kulturraum freilich älter und nicht erst seit der Balfour-Declaration von 1917 vorhanden. Aus altem Ressentiment und der Zustimmung zu einer höchst modernen Vernichtungstat eine Nationalideologie auf den Weg gebracht zu haben, ist eben nicht nur eine deutsche Leistung. Hier hat die arabische Ideologie deutliche Anleihen genommen bis hin zur Erfindung der Nakba, was auf Deutsch so etwas ähnliches wie verfolgende Unschuld heißen könnte.

Die letzte Bombe, die deutsche linke Realisten auf die Juden werfen, ist die Einforderung eines Rückkehrrechts der »vertriebenen« Palästinenser - eine gigantische sudetendeutsche Veranstaltung, die nicht zufällig seit dem Kosovo-Krieg Konjunktur hat. Vier Millionen Palästinenser - das sechsfache von 1948 - werden nach 53 Jahren zu Vertriebenen erklärt und Israel als historische Schuld angerechnet. Menschen, von denen über eine Million in den Autonomiegebieten in Lagern gehalten werden, die in den Nachbarstaaten als menschliche Verschiebemasse gegen Israel herhalten müssen und in ihrem furchtbaren Status »die prägendsten und grundlegendsten Elemente palästinensischer Geschichte« (Jungle World, 3/01) zu erkennen gezwungen werden; Leute, denen ihre arabischen Brüder und Schwestern das Ansiedlungs- und Staatsbürgerrecht verweigern, sie zusammenschießen, wenn sie frech werden, aber mit Waffen ausstatten, wenn es gegen die Juden gehen soll; diese Leute, die nicht die Waffen gegen ihre fiese Familie erheben, sondern ihren Kindern beibringen, ihre Heimat liege in einem Dorf in Israel, das seit 52 Jahren nicht mehr existiert, sollen heim nach Israel.

Selten hat es eine verrücktere Forderung gegeben. Irre und verbrecherisch, wenn sie scheinbar naiv von deutschen Linken vorgetragen wird, die sich nicht einmal schämen, die Anerkennung des Rückkehrrechts, die die Zerstörung Israels und die Ermordung und Vertreibung der dort lebenden Juden bedeuten würde, mit der Litanei vom Existenzrecht Israels zu verknüpfen.