Preußisch-bayerische Beziehungen

Im Land der Karpfenbratwurst

Was nach 300 Jahren von Preußen übrig blieb, haben auch die zugereisten Bayern lieb.

Von den Preußen hatte ich schon in meiner frühesten Jugend erfahren. Jedes Jahr kamen sie in Bataillonen, aufgeteilt in handlungsfähige Gruppen zu fünfzig Personen, in meine bayerische Heimatstadt an der Donau. Trotz fortgeschrittenen Alters waren sie zu allem bereit, insbesondere zum Ankauf eines so genannten Seppelhuts. Dieser graue Filzdeckel mit einer weißblauen Kordel verlieh seinem norddeutschen Träger den endgültigen Status eines King-Size-Vollidioten. Bis heute wird dieses exaltierte Produkt zu genau diesem einzigen Zweck hergestellt und in eigens dafür eingerichteten Läden teuer an den Preußen gebracht.

Die Preußen zeichneten sich vor allem durch eine Eigenschaft aus: Man hatte sie zu verachten. Sie sprachen eine andere Sprache und verstanden die unsere keineswegs. Diese Saupreußen mussten es einem blöden Zufall verdanken, dass sie im selben Staat lebten wie wir. Sie liefen durch die Stadt wie durch einen Zoo. Erst später wurde mir klar, dass nicht wenige meiner Landsleute tatsächlich unter dem von Thomas Bernhard entdeckten »Gebirgsschwachsinn« litten und durchaus eine genauere Betrachtung wert waren. Andererseits war es genau diese Haltung der zugereisten Norddeutschen, die einen verzweifelten Einheimischen dazu veranlasst haben mag, aus Protest gegen die jährlich stattfindende innerdeutsche Überfremdung die gesellschaftskritische Parole »Tourismus gleich Terrorismus« in der Altstadt anzubringen. Geholfen hat es nicht.

Der erste Preuße, den ich kennen lernte, hieß Jens und war geborener Freiburger. Er hatte eine Zeitlang in Hamburg gelebt, was ihn hinreichend als Preußen qualifizierte. Auf dem Pausenhof unserer Schule gab er mir einen Tritt in den Hintern, weil ich ein Metallica-T-Shirt trug und meine Haare hinten länger waren als vorne. Er war Punker und seine Haare waren vorne länger als hinten. Wir wurden gute Freunde und beschlossen, gemeinsam zu den Preußen zu fahren und meine Tante in Hamburg zu besuchen. An den Preußen in der Hafenstraße gefiel mir, dass sie Haschisch verkauften und gegen Reiche, für soziale Gerechtigkeit und in der Minderheit waren, also ungefähr so etwas wie die bayerische SPD.

Ich beschloss, selbst Preuße zu werden. Sprachlich gesehen war das ein interessanter Versuch, der bis heute nur teilweise als gelungen betrachtet werden kann und meinen Vater zu der regelmäßigen Behauptung veranlasste, dass Bayern nicht in Preußen liege. Das sollte sich ändern. Wenn Preußen nicht zu den Bayern kam, mussten die Bayern nach Preußen. Am Tag meiner letzten Abschlussprüfung stieg ich in einen dunkelblauen Volvo Kombi und zog nach Berlin um, wo es leckeres Preußenpils zu kaufen gab und lustige Wörter wie »Hausbesetzermatratze« kursierten.

Obwohl ich integrationswillig war, machten es mir die Preußen nicht leicht. Ein protestantischer Geschäftsmann vermietete mir eine Wohnung im toleranten Lichtenberg. Im Gegensatz zu dem von König Friedrich II. trocken gelegten Oderbruch stand der Hausflur oft metertief unter Wasser, so dass ein Verlassen der Wohnung teilweise unmöglich war. Im Supermarkt beeindruckten die Verkäuferinnen durch ihre weltoffene Art, die sie mit einem schneidig durch die Zähne gepfiffenen »Ham wa nich« zum Ausdruck brachten.

Trotz der hierzulande tradierten Sitte, Fremde wohlwollend zu behandeln und in Überschwemmungsgebieten anzusiedeln, gab es immer wieder Schwierigkeiten. So verstehen die Preußen nur, dass sie nicht verstehen wollen, wenn die Aussprache auf eine Herkunft aus Orten südlich von Dessau schließen lässt. Besonders Bestellungen an Imbissen wurden zum Debakel: Ich bestellte etwas und bekam etwas anderes!

Nicht jede Legende, die man sich über die Preußen erzählt, hat sich während meines langjährigen Aufenthaltes als wahr erwiesen. Gerne wird anlässlich des Preußenjahres behauptet, Preußen hätte seine Konflikte eher am Konferenztisch als auf dem Schlachtfeld gelöst. Das Gegenteil davon ist wahr: In Berlin zog es die Polizei stets vor, bei öffentlichen Demonstrationen für Toleranz und Redlichkeit die Teilnehmer mit Holzstücken zu bedienen. Das gab stets zu der Vermutung Anlass, die Beamten hätten die im Lagezentrum befindlichen Konferenztische in ihre Einzelteile zerlegt, um sich dann ganz dem Schlachtfeld widmen zu können.

Meiner Ansicht nach bemühen sich vor allem die Brandenburger, ihrem preußischen Erbe gerecht zu werden. Nicht umsonst setzte sich die Junge Union schon 1995 dafür ein, das Bundesland wieder Preußen zu nennen. Verzweifelt versucht der Brandenburger, sich in der Größe vergangener Tage zu suhlen. Nicht nur, dass er mit Jörg Schönbohm einen General zum Innenminister machte, der an die großen Leistungen der Heeresreformer Scharnhorst und Gneisenau 1807 (Einführung der Landwehr) anknüpfen will und bereits auf einen beträchtlichen Brandenburger Landsturm, bestehend aus jungen Männern mit disziplinierter Frisur und redlicher Fremdenfeindschaft, verweisen kann.

Auf einer Fahrradtour durch Brandenburg erfuhr ich auch zum ersten Mal, was unter dem Preußenschlag verstanden werden muss. In Lindow verzehrte ich eine Karpfenbratwurst, die ortsübliche Spezialität aus Tiermehl und Fischresten. Ein Bewohner des Ortes versicherte mir hinterher übrigens, ein zugereister Wessi habe die Ware erst Anfang der neunziger Jahre zur ortsüblichen Spezialität erklärt. Noch während wir bezahlten, hielt ein rotes Auto neben meinen Begleitern, zwei junge Männer stiegen aus, schlugen und traten mit Fäusten und Füßen auf meine Mitreisenden ein, stiegen wieder ein und fuhren weiter. Wahrscheinlich waren sie Opfer des Kapitalismus.

A propos fahren: Die wirklichen Erben des letzten Preußenkönigs Wilhelm II., der bekanntermaßen das ganze Deutsche Reich vor den Baum gefahren hat, sind jene mutigen Brandenburger, die jedes Wochenende mit heiterer Todesverachtung zu chancenlosen Überholmanövern ansetzen und damit den Weltruhm dieses Bundeslandes aufrechterhalten. Auf preußischem Boden kann noch heute jeder nach seiner Facon selig werden. Und das muss, wie es allerorten auch geschieht, gefeiert werden.